Die Niederlage von Wladimir Klitschko gegen Tyson Fury bringt auch Trainer-Legende Ulli Wegner zum Kochen. Ein Gespräch über psychische Probleme des entthronten Ukrainers, fehlende Courage, Komiker Fury und die Gründe, warum Dr. Steelhammer niemals zu den ganz Großen seiner Zunft zählen wird.
SPOX: Herr Wegner, wie haben Sie die Niederlage von Wladimir Klitschko gegen Tyson Fury erlebt?
Ulli Wegner: Der Kampf war für mich eine riesige Enttäuschung. Nicht weil Klitschko verloren hat, sondern wegen der Art und Weise seiner Niederlage. Wenn man so lange dabei ist, an der Spitze steht und das Niveau praktisch bestimmt, dann muss man einfach anders auftreten.
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SPOX: Klitschko wirkte extrem verunsichert.
Wegner: Man hat deutlich gemerkt, dass er die drei Knockout-Niederlagen, die er bislang einstecken musste, auch nach all den Jahren noch immer im Kopf hatte. Er hat in seinen Kämpfen schon vor Fury oft ängstlich agiert, aus der Distanz geboxt und sobald es etwas enger wurde, sofort geklammert. Die Ringrichter haben ihn auch zu oft einfach gewähren lassen.
SPOX: Lag es also an einem Mangel an Qualität?
Wegner: Nein, dafür sind die technischen Fähigkeiten Klitschkos dann doch zu groß. Er verfügt zweifelsohne über die nötigen Qualitäten, die aber halt vor allem in der richtigen Distanz zum Tragen kommen. Sein Auftreten ist dann auch entsprechend souverän. Gegen Fury war er allerdings psychisch einfach nicht in der Lage, den Kampf zu gestalten. Fury hat ihn mit seinem Zirkus komplett durcheinandergebracht. Er hatte ja zwischenzeitlich beide Hände hinter dem Rücken, hat Klitschko veräppelt und trotzdem geht dieser da nicht rein und schlägt ein paar Hände. Absolut unverständlich.
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SPOX: An was hat es gefehlt?
Wegner: Er war vom Kopf her total überfordert. Es haben wieder Millionen Menschen eingeschaltet, im Stadion saßen 45.000 Zuschauer. Da muss ich als amtierender Weltmeister mit all meiner Erfahrung doch wirklich so viel Courage, so viel Ehre und Stolz haben, dass ich alles reinlege und vielleicht auch mal das Risiko erhöhe. Klitschko hat aber nichts gemacht. Das war maximal Schattenboxen - und über weite Strecken nicht mal das.
SPOX: Am Niveau des Kampfes kann es allerdings nicht gelegen haben.
Wegner: Das Niveau war nicht nur nicht sonderlich hoch, der Kampf war viel mehr ein riesengroßer Rückschritt. Das war so schrecklich, dass es nicht nur für Klitschko eine Blamage war, sondern eine für das Schwergewicht und sogar den gesamten Boxsport. Und das Schlimmste daran: Fury bekommt für solch eine Leistung auch noch vier Gürtel. Das zieht das Boxen so richtig runter. Wir hatten in der Vergangenheit so viele tolle Kämpfe, Boxer wie etwa Henry Maske, Sven Ottke oder Dariusz Michalczewski haben begeistert. Deshalb schockiert so eine Darbietung umso mehr.
SPOX: Sieht die Zukunft - vor allem im Schwergewicht - wirklich so finster aus?
Wegner: Da muss man differenzieren. Es wachsen ja bereits einige gute Boxer heran. Anthony Joshua beispielsweise ist jetzt schon eine Granate. Der Olympiasieg wird sicher nicht sein größter Erfolg bleiben. Wenn der Junge genug Zeit bekommt, dann wird er ein ganz Großer. Vor allem ist er aber bereits jetzt viel stärker einzuschätzen als Fury. Den würde er heute schon auseinandernehmen.
SPOX: Wie kann es dann sein, dass ein erfahrener Mann wie Klitschko so versagt?
Wegner: Fury ist nun wahrlich kein Mann, der eine Ausnahme darstellt - speziell nicht, wenn man sich seine boxerischen Mittel anschaut. Er tritt im Ring auf wie ein Komiker und boxt auch so. Und davon darf sich ein an sich gut ausgebildeter Boxer wie Klitschko einfach nicht so aus der Fassung bringen lassen, dass er wirkt wie ein Anfänger. Er muss Lösungen finden.
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SPOX: Und seine Ecke?
Wegner: Ich würde niemals über Trainerkollegen etwas Schlechtes sagen. Das ist nicht meine Art. Außerdem ist es ja nicht so, dass ich dabei war. Ich weiß nur, dass sein Bruder ihn immer wieder aufgefordert hat, sich zusammenzureißen. Bei Vitali war die Enttäuschung wohl am größten.
SPOX: Die gewünschte Reaktion blieb aber aus.
Wegner: Wladimir hat den boxerischen Hintergrund, ist zudem ein gebildeter Mann. Deshalb verstehe ich das einfach nicht. Als Amateur hast du nur wenige Runden Zeit, um Anpassungen vorzunehmen. Er hatte aber zwölf, zu reagieren und seine Titel zu verteidigen. Das Problem liegt wahrscheinlich am ehesten im Verhältnis zwischen Trainer und Boxer.
SPOX: Was macht Coach Johnathon Banks denn falsch?
Wegner: Ich kann das nur von außen beurteilen. Ich glaube aber nicht, dass er das Trainingsprogramm und die Inhalte bestimmt, sondern Klitschko selbst das Zepter in der Hand hält. Wenn man als Trainer eine solche Schwäche offenbart, dann merkt das der Sportler. Für Klitschko ist Banks nur ein Handlanger und das ist das Schlimmste, was passieren kann. Neue Reize sind so nicht vorhanden und wenn ein Trainer um seine Position kämpfen muss und seine Ideen nicht vermitteln kann, um Einfluss auf seinen Sportler zu nehmen und ihn zu führen, dann wird dieser in gewissen Stresssituationen immer versagen.
SPOX: Wäre der Kampf also unter Klitschkos ehemaligem Trainer Emanuel Steward, der inzwischen leider verstorben ist, also anders ausgegangen?
Wegner: Da wäre ich mir nicht so sicher. Steward hat immer "fertige" Leute bekommen, Weltmeister, die schon etwas konnten und den wichtigsten Teil ihrer Entwicklung hinter sich hatten. Unter ihm ist Klitschko zudem ebenfalls schon ausgeknockt worden. Der entscheidende Mann für Klitschko war viel mehr der ebenfalls verstorbene Fritz Sdunek. Er war ein absoluter Ausnahmetrainer. Vitali ist nicht umsonst bei ihm geblieben.
SPOX: Nach zwei Niederlagen unter Sdunek war dennoch eine Trennung erfolgt.
Wegner: Klar, Sdunek war der Schuldige - so wie es immer ist, wenn Boxer verlieren. Der Trainer ist schuld. Das ist zu einfach. Dabei ist die Realität viel tiefgreifender. Nach der Pleite gegen Lamon Brewster wurden Klitschko vor allem die richtigen Gegner serviert, Gegner die machbar waren. Speziell bei den freiwilligen Titelverteidigungen war nichts dabei. Deshalb sind die Auftritte auch so souverän ausgefallen. Klitschko konnte glänzen, da er nicht gefordert wurde. Seine Aura hat das Übrige getan und das, obwohl er drei Niederlagen kassiert hatte - und zwar schwere. Da ist er durch den Ring gekrabbelt und zwar auf allen Vieren.
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SPOX: Dennoch gelang ihm die zweitlängste Regentschaft in der Geschichte des Boxens.
Wegner: Wie er das im Endeffekt alles ausgespielt hat, ist natürlich eine Leistung. Das ändert aber nichts an dem Problem, dass die Verhältnisse bei Klitschko nicht zu stimmen scheinen. Der Führende muss immer der Trainer sein, nur dann kann er das Potenzial ausschöpfen. Manfred Wolke hat beispielsweise immer das Maximum herausgeholt, auch aus Leuten wie beispielsweise Axel Schulz. Er hat ihn auf ein Leistungsniveau gebracht, das selbst mich als Trainer überrascht hat. Es ist immer eine Frage der Möglichkeiten. Manche haben mehr, andere weniger. Es liegt am Trainer, diese zu fördern. Sonst geht selbst ein Kampf gegen mittelmäßige Gegner irgendwann nach hinten los.
SPOX: Was zeichnet einen guten Coach aus?
Wegner: Wenn es nicht so läuft, dann muss die psychische Komponente stimmen. Und das schafft der Sportler in der Regel nicht alleine. Da ist der Trainer gefordert. Die wichtigste Fähigkeit ist, dass er vorangehen kann. Er muss die Stärke dazu haben. Sollte er seine Position aber im Vorfeld schon nicht behaupten können, muss er sich eigentlich eingestehen, dass es so nicht geht.
SPOX: Was wäre in so einem Fall die richtige Reaktion?
Wegner: Man muss dann einen gemeinsamen Lösungsweg finden. Ein Trainer kann nur dann seine Rolle entsprechend ausführen, wenn sich der Schützling auch auf ihn einlässt. Wenn er sich auf das Wissen und die Erfahrung verlässt, die Autorität anerkennt und sich führen lässt. Ist das nicht der Fall, dann muss man so klug sein, sich zu trennen.
SPOX: Sie sprechen aus Erfahrung.
Wegner: Es kann immer sein, dass ein Schützling sein Potenzial nicht abruft. Ich habe drei Niederlagen in vier Kämpfen mit Arthur Abraham durchgemacht. Das war für mich sehr, sehr schlimm. Vielleicht war es für mich sogar schlimmer als für den Jungen. Ich weiß es nicht. Es ging um meine Ehre. Ich hätte Arthur aber nie im Stich lassen können. Im Endeffekt hatte ich die Kraft, ihn da wieder rauszuholen. Das ging aber nur, weil er auch mitgemacht hat. Er hat sich auf mich verlassen und ist den Weg mitgegangen. Das war nicht einfach, er ist schließlich nicht leicht zu führen.
SPOX: Bei Klitschko hatte man gegen Fury nicht den Eindruck, dass es um seine Ehre ging.
Wegner: Nein, um Ehre schien es nicht zu gehen. Klitschko stand im Ring, als würde er sein Geld verwalten wollen. Er hat nichts riskiert. Überhaupt nichts. Dabei ist er eigentlich ein gut ausgebildeter Mann, der aufgrund der Tatsache, dass ihn sein Management so hochgebracht hat und er all diese Zeit ungeschlagen war, selbstsicher hätte sein müssen. Aber davon war nichts zu erkennen. Ich habe jedenfalls noch nie einen so schlechten Weltmeisterschaftskampf erlebt.
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SPOX: Es war also ein Armutszeugnis?
Wegner: Auf jeden Fall, nur so kann man das sehen. Klitschkos Leistung war ein Armutszeugnis, Furys ebenfalls. Klitschko hätte um seine Ehre kämpfen müssen, davon war aber nichts zu sehen. Wer so auftritt, der hat keine Ehre.
SPOX: Hat er mit seinem Auftreten sein Image nachhaltig beschädigt?
Wegner: Das mit dem Ruf ist immer so eine Sache. Mit dem Ruhm umzugehen, ist sehr schwer. Viele sind daran gescheitert, es hat sie innerlich zerrissen. Man muss auch mit Niederlagen umgehen können, nur dann hat man überhaupt die Chance, im Gedächtnis zu bleiben. Das muss er nun beweisen.
SPOX: Zu den Großen seiner Zunft kann er so aber wohl kaum gehören.
Wegner: Dass er dort nicht einzuordnen ist, war vorher klar. Er wurde vor allem eins: gut gemanagt. Die großen Gegner fehlen einfach. Das ging lange gut und dann kommt so ein Komiker daher und gewinnt. Das ist Wahnsinn. Was Fury aus boxerischer Sicht im Ring macht, mag lustig aussehen, gut ausgebildet ist er aber nicht. Angesichts der Leistung, die er gezeigt hat, kann man nur sagen, dass er ein Stümper ist. Und trotzdem hat er verdient gewonnen. Beide hingen teilweise aufeinander wie Anfänger, das war eine schreckliche Vorstellung. 45.000 Zuschauer - und dann hat er keine Ehre? Da gibt es nichts zu drehen und zu wenden. Diese Scharte muss das Boxen erstmal wieder ausbessern.
SPOX: Klitschko selbst hat die Chance dazu, sollte er seine Rückkampfklausel ziehen.
Wegner: Er hat doch gar keine Wahl, er muss sie ziehen. So kann jemand wie er doch nicht abtreten. Wenn Klitschko es dennoch macht, wird ihn diese Niederlage das ganze Leben lang verfolgen. Er hat eine Verantwortung sich selbst gegenüber, aber auch gegenüber seinen Fans. Es ist nicht nur die Niederlage, die sonst hängen bleibt, sondern vor allem die miserable Qualität des Kampfes insgesamt. Es war einfach eine absolute Katastrophe, wie er sich dargestellt hat.
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SPOX: Wäre das Resultat im Falle eines Rückkampfes ein anderes?
Wegner: Da es primär eine psychische Frage war und das Niveau von Fury äußerst überschaubar ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass Klitschko nochmal so verlieren wird. Das Beste wäre allerdings, wenn Vitali seine politische Karriere in Kiew ruhen lassen und die Sache selbst in die Hand nehmen würde. Wie es damals mit Corrie Sanders der Fall war. Den hat er schließlich auch weghauen, nachdem Sanders Wladimir ausgeknockt hatte. Mit einem halben Jahr Training würde Fury gegen ihn fürchterlich K.o. gehen.
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