SPOX: Dennoch gelang ihm die zweitlängste Regentschaft in der Geschichte des Boxens.
Wegner: Wie er das im Endeffekt alles ausgespielt hat, ist natürlich eine Leistung. Das ändert aber nichts an dem Problem, dass die Verhältnisse bei Klitschko nicht zu stimmen scheinen. Der Führende muss immer der Trainer sein, nur dann kann er das Potenzial ausschöpfen. Manfred Wolke hat beispielsweise immer das Maximum herausgeholt, auch aus Leuten wie beispielsweise Axel Schulz. Er hat ihn auf ein Leistungsniveau gebracht, das selbst mich als Trainer überrascht hat. Es ist immer eine Frage der Möglichkeiten. Manche haben mehr, andere weniger. Es liegt am Trainer, diese zu fördern. Sonst geht selbst ein Kampf gegen mittelmäßige Gegner irgendwann nach hinten los.
SPOX: Was zeichnet einen guten Coach aus?
Wegner: Wenn es nicht so läuft, dann muss die psychische Komponente stimmen. Und das schafft der Sportler in der Regel nicht alleine. Da ist der Trainer gefordert. Die wichtigste Fähigkeit ist, dass er vorangehen kann. Er muss die Stärke dazu haben. Sollte er seine Position aber im Vorfeld schon nicht behaupten können, muss er sich eigentlich eingestehen, dass es so nicht geht.
SPOX: Was wäre in so einem Fall die richtige Reaktion?
Wegner: Man muss dann einen gemeinsamen Lösungsweg finden. Ein Trainer kann nur dann seine Rolle entsprechend ausführen, wenn sich der Schützling auch auf ihn einlässt. Wenn er sich auf das Wissen und die Erfahrung verlässt, die Autorität anerkennt und sich führen lässt. Ist das nicht der Fall, dann muss man so klug sein, sich zu trennen.
SPOX: Sie sprechen aus Erfahrung.
Wegner: Es kann immer sein, dass ein Schützling sein Potenzial nicht abruft. Ich habe drei Niederlagen in vier Kämpfen mit Arthur Abraham durchgemacht. Das war für mich sehr, sehr schlimm. Vielleicht war es für mich sogar schlimmer als für den Jungen. Ich weiß es nicht. Es ging um meine Ehre. Ich hätte Arthur aber nie im Stich lassen können. Im Endeffekt hatte ich die Kraft, ihn da wieder rauszuholen. Das ging aber nur, weil er auch mitgemacht hat. Er hat sich auf mich verlassen und ist den Weg mitgegangen. Das war nicht einfach, er ist schließlich nicht leicht zu führen.
SPOX: Bei Klitschko hatte man gegen Fury nicht den Eindruck, dass es um seine Ehre ging.
Wegner: Nein, um Ehre schien es nicht zu gehen. Klitschko stand im Ring, als würde er sein Geld verwalten wollen. Er hat nichts riskiert. Überhaupt nichts. Dabei ist er eigentlich ein gut ausgebildeter Mann, der aufgrund der Tatsache, dass ihn sein Management so hochgebracht hat und er all diese Zeit ungeschlagen war, selbstsicher hätte sein müssen. Aber davon war nichts zu erkennen. Ich habe jedenfalls noch nie einen so schlechten Weltmeisterschaftskampf erlebt.
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SPOX: Es war also ein Armutszeugnis?
Wegner: Auf jeden Fall, nur so kann man das sehen. Klitschkos Leistung war ein Armutszeugnis, Furys ebenfalls. Klitschko hätte um seine Ehre kämpfen müssen, davon war aber nichts zu sehen. Wer so auftritt, der hat keine Ehre.
SPOX: Hat er mit seinem Auftreten sein Image nachhaltig beschädigt?
Wegner: Das mit dem Ruf ist immer so eine Sache. Mit dem Ruhm umzugehen, ist sehr schwer. Viele sind daran gescheitert, es hat sie innerlich zerrissen. Man muss auch mit Niederlagen umgehen können, nur dann hat man überhaupt die Chance, im Gedächtnis zu bleiben. Das muss er nun beweisen.
SPOX: Zu den Großen seiner Zunft kann er so aber wohl kaum gehören.
Wegner: Dass er dort nicht einzuordnen ist, war vorher klar. Er wurde vor allem eins: gut gemanagt. Die großen Gegner fehlen einfach. Das ging lange gut und dann kommt so ein Komiker daher und gewinnt. Das ist Wahnsinn. Was Fury aus boxerischer Sicht im Ring macht, mag lustig aussehen, gut ausgebildet ist er aber nicht. Angesichts der Leistung, die er gezeigt hat, kann man nur sagen, dass er ein Stümper ist. Und trotzdem hat er verdient gewonnen. Beide hingen teilweise aufeinander wie Anfänger, das war eine schreckliche Vorstellung. 45.000 Zuschauer - und dann hat er keine Ehre? Da gibt es nichts zu drehen und zu wenden. Diese Scharte muss das Boxen erstmal wieder ausbessern.
SPOX: Klitschko selbst hat die Chance dazu, sollte er seine Rückkampfklausel ziehen.
Wegner: Er hat doch gar keine Wahl, er muss sie ziehen. So kann jemand wie er doch nicht abtreten. Wenn Klitschko es dennoch macht, wird ihn diese Niederlage das ganze Leben lang verfolgen. Er hat eine Verantwortung sich selbst gegenüber, aber auch gegenüber seinen Fans. Es ist nicht nur die Niederlage, die sonst hängen bleibt, sondern vor allem die miserable Qualität des Kampfes insgesamt. Es war einfach eine absolute Katastrophe, wie er sich dargestellt hat.
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SPOX: Wäre das Resultat im Falle eines Rückkampfes ein anderes?
Wegner: Da es primär eine psychische Frage war und das Niveau von Fury äußerst überschaubar ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass Klitschko nochmal so verlieren wird. Das Beste wäre allerdings, wenn Vitali seine politische Karriere in Kiew ruhen lassen und die Sache selbst in die Hand nehmen würde. Wie es damals mit Corrie Sanders der Fall war. Den hat er schließlich auch weghauen, nachdem Sanders Wladimir ausgeknockt hatte. Mit einem halben Jahr Training würde Fury gegen ihn fürchterlich K.o. gehen.
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