Mit Glück hat das nichts zu tun

Von Alexander Mey
Uwe Krupp hat die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft zum Gruppensieg bei der WM geführt
© Getty

Die deutsche Nationalmannschaft stellt bei der WM in der Slowakei die Eishockey-Welt auf den Kopf. Mit Russland und der Slowakei hat das DEB-Team zwei Medaillenfavoriten besiegt und steht als Gruppensieger fest. Nur Zufall? Keineswegs, denn es gibt Gründe für den Aufschwung.

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Ein bisschen ungläubig schauten die deutschen Spieler schon, als sie nach dem 4:3-Sieg gegen die Slowakei schon zum zweiten Mal hintereinander die deutsche Nationalhymne hörten. Die spielt man bei einer Eishockey-WM nämlich nur dem Sieger, und dass der sowohl gegen Russland als auch Gastgeber Slowakei Deutschland hieß, damit hat niemand gerechnet.

"Was wir hier gerade spielen, ist Wahnsinn", sagte Christoph Ullmann nach dem knappen Erfolg gegen die mit NHL-Stars gespickten Slowaken. Der Lohn ist der Gruppensieg mit sechs Punkten, die in die Zwischenrunde mitgenommen werden - mit Blick auf das Viertelfinale schon die halbe Miete.

Aber ist das alles wirklich nur Wahnsinn, Zufall oder Glück, was mit dem deutschen Eishockey seit dem vierten Platz bei der Heim-WM 2010 passiert? Keineswegs. Es gibt handfeste Gründe für den ersten WM-Gruppensieg seit dem des Deutschen Reiches 1933.

Grund 1: Deutschland schießt Tore

Gekämpft und gerackert haben DEB-Teams schon immer, aber sie hatten selten die Mittel und die taktische Einstellung, um daraus Zählbares zu machen.

Beim Blick in die Ergebnisse der letzten Turniere, vor allem derer vor der Amtsübernahme von Uwe Krupp 2005, fällt auf, dass ein deutsches Team gegen eine der vermeintlich großen Nationen so gut wie nie mehr als zwei Tore erzielen konnte. Und die waren auch noch oft Zufallsprodukte.

Deutsche Teams standen so gut es ging in der Abwehr und trauten sich nur bei Kontern mal nach vorne. Diese Philosophie hat Krupp mit den Jahren immer weiter verändert.

Mit dem Resultat, dass das DEB-Team sowohl gegen Russland als auch gegen die Slowakei in den ersten beiden Dritteln überlegen war und mehr Schüsse aufs Tor abfeuerte als die Startruppen. Die Angriffe waren perfekt einstudiert, die Lauf- und Passwege stimmten und die Abschlüsse waren sehenswert und teilweise eiskalt. Alle vier Tore gegen die Slowaken waren sehr gut herausgespielt.

"Wir wissen, dass wir in der Regel in der Defensive gut stehen. Daher haben wir in den letzten vier Wochen fast nur an der Offensive gearbeitet", erklärte Bundestrainer Krupp. "Wir haben einen Spielstil entwickelt, der uns effektiv macht. Die Jungs arbeiten hart, die machen alles, was der Trainer sagt. Bisher fehlten uns nur die Tore. Wir haben etwas in der Strategie geändert, ein paar Kleinigkeiten, jetzt funktioniert es."

Grund 2: Die Defensive blockt und blockt und blockt

Die von Krupp beschriebene Umstellung des Spielstils funktioniert natürlich nur aus einer grundsoliden Defensive heraus. Nach vorne wollte auch Krupps Vorgänger Greg Poss spielen, was jedoch in Hurra-Eishockey und dem Abstieg 2005 endete.

Beim aktuellen DEB-Team fällt auf, dass die Verteidiger den Raum vor dem Tor extrem gut ausblocken. Entweder, sie blocken die gegnerischen Stürmer so gut weg, dass diese keine Schüsse abfälschen können und gleichzeitig die Goalies freie Sicht haben, oder sie werfen sich gleich selbst hinein. Das aber nicht planlos sondern mit einem sehr guten Timing.

Besonders gegen die Russen ist diese Fähigkeit sehr stark aufgefallen. Frust bei den russischen Stars um Ilya Kovalchuk war die Folge. Der hing zusätzlich mit den konsequent zu Ende gefahrenen Checks der Deutschen zusammen, die ihren Gegnern permanent zusetzten.

 

Grund 3: Das Selbstvertrauen

"Wir sind wieder wer", heißt es doch immer so schön. Oder "mia san mia". Beides Floskeln, die das DEB-Team seit dem überraschenden vierten Platz bei der Heim-WM verinnerlicht zu haben scheint. Deutschland versteckt sich nicht mehr im eigenen Drittel vor den großen Namen im Eishockey, das Team hält dagegen.

Die Russen und die Slowaken taten sich auch deshalb so schwer, weil sie bereits in der neutralen Zone frech attackiert wurden. Sie kamen trotz ihrer individuell überlegenen Klasse nicht zu einem geordneten Kombinationsspiel.

"Die deutsche Mannschaft knüpft da an, wo sie bei der WM im vergangenen Jahr aufgehört hat. Es ist eine Struktur im Spiel zu erkennen, um die wir wussten und die sich auch heute wieder gezeigt hat", sagte Slowakei-Trainer Glen Hanlon nach der Niederlage seines Teams. Keine Spur von Überheblichkeit, er und sein Team nahmen die Deutschen von Beginn an ernst. Umso höher ist deren Sieg einzustufen.

"Die Jungs sind Krieger. Sie kämpfen für Deutschland. Wenn sie das Trikot überziehen, geht ein Ruck durch die Mannschaft", sagte Krupp. Verteidiger Korbinian Holzer konkretisierte: "Das hat mit der Heim-WM im letzten Jahr angefangen. Die Truppe von 2010 ist fast zusammen geblieben und jeder glaubt an jeden." Das merken auch die Gegner.

Eine wichtige Rolle beim Aufbau des neuen deutschen Selbstvertrauens hat sicher auch die Vorbereitung gespielt. Bei der Euro Hockey Challenge maß sich das DEB-Team nicht mit vermeintlichen Abstiegskonkurrenten, es spielte gegen Schweden und Finnland - und besiegte die Finnen sogar einmal.

Das veranlasste Goalie Dennis Endras schon vor der WM im SPOX-Interview zu der Feststellung: "Wir haben in der Vorbereitung gezeigt, dass wir mit den großen Nationen mithalten und sie sogar schlagen können. Wir haben Finnland geschlagen, warum sollen wir ein eventuelles Spiel bei der WM nicht mit Selbstvertrauen angehen?"

Grund 4: Die Goalies

Deutschland hatte auch zu Zeiten von Helmut de Raaf und Karl Friesen schon sehr gute Torhüter, aber Dennis Endras und dessen Backup Dimitri Pätzold zeigten in ihren WM-Spielen eine besondere Klasse. Sie waren jeweils besser als ihre Gegenüber Evgeni Nabokov und Jaroslav Halak, beide gestandene NHL-Stars.

Sie sind der Rückhalt, den das deutsche Team bei allem Selbstvertrauen, bei aller taktischen Finesse und bei allem Kampfgeist zum Überleben braucht. "Du kannst einen so großen Gegner nur schlagen, wenn du einen überragenden Torwart hast", sagte Thomas Greilinger im SPOX-Interview.

Endras feierte gegen die Russen mit 31 Saves den ersten Shutout eines deutschen Goalies gegen den Rekordweltmeister. Pätzold schaffte gegen die Slowaken 35 Saves bei 38 Schüssen.

Grund 5: Die Eishockey-Welt ändert sich

Zum Schluss noch eine Tendenz, die sich bei Weltmeisterschaften seit wenigen Jahren manifestiert, die aber nicht nur das deutsche Team betrifft. Die klare Trennung zwischen den etablierten großen Nationen und den Teams, die zwischen Abstiegs-, Zwischen- und Finalrunde pendeln, gibt es nicht mehr.

2010 standen die Schweiz, Dänemark und Deutschland im Viertelfinale, die USA spielte dafür in der Abstiegsrunde. 2011 hat Frankreich die Schweiz in die Verlängerung gezwungen, Norwegen hat Schweden geschlagen und sogar Slowenien schnupperte sowohl gegen die Slowakei als auch gegen Russland am Punktgewinn.

Das zeigt: Die großen Nationen sind zwar individuell immer noch deutlich überlegen, vor allem, wenn sie wie die Slowaken quasi in Bestbesetzung mit allen NHL-Stars antreten. Aber sie können nicht mehr erst im Viertelfinale anfangen, mit vollem Einsatz zu spielen. 70 Prozent reichen mittlerweile nicht einmal mehr für das sichere Erreichen der Zwischenrunde.

Das ist ein Lernprozess, den offensichtlich noch nicht alle erfolgsverwöhnten Teams durchlaufen haben. Vordergründig mögen sie ihre Gegner ernst nehmen, im Hinterkopf sind Deutschland oder Norwegen aber immer noch keine dauerhafte Herausforderung.

Fazit: Das deutsche Eishockey steht in der Endphase der Arbeit von Bundestrainer Uwe Krupp so gut da wie vielleicht noch nie. Das Team ist jung, es kämpft, es ist mutig, es ist taktisch hervorragend geschult und es schießt mittlerweile sogar Tore.

Zudem fehlen sogar noch die besten Spieler aus der NHL, die im Gegensatz zu anderen Nationen keine elitären Fremdkörper sondern voll ins Team integriert sind. Bundestrainer Krupp betont mit Recht: "Nichts von dem, was wir erreicht haben, hatte mit Glück zu tun."

Aber trotzdem ist Vorsicht vor zu großer Euphorie geboten. Was bei allen positiven Tendenzen im deutschen Eishockey fehlt, um dauerhaft den Schritt in die Top Sechs der Welt machen zu können, ist die nackte Qualität.

Deutsche Eishockeyspieler werden in der Breite nie auch nur annähernd so gut sein wie russische, kanadische oder schwedische. Es muss alles passen, damit ein DEB-Team Russland und die Slowakei in Bestbesetzung schlägt. Das hat es in den letzten beiden Jahren getan, aber das muss nicht so bleiben.

Vor allem dann nicht, wenn der Nachfolger von Uwe Krupp den riesigen Fußstapfen nicht gewachsen sein sollte.

Der Spielplan der Eishockey-WM in der Slowakei

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