Stefan Schaidnagel war das Mastermind hinter dem Aufschwung im deutschen Eishockey in den vergangenen Jahren. Der Architekt der olympischen Silbermedaille von Pyeongchang 2018. Schaidnagel war es, der Reformpakete schnürte und dringend benötigten frischen Wind in den Verband brachte.
Offenbar zu viel frischen Wind für den am vergangenen Wochenende verabschiedeten Ex-DEB-Präsidenten Franz Reindl. Die Folge: Im Dezember 2020 wurde die Trennung zwischen Schaidnagel und dem DEB kommuniziert. Offiziell "aufgrund unterschiedlicher Auffassungen über die Personalführung des Verbandes, unter denen eine weitere Zusammenarbeit nicht zielführend fortgeführt werden kann", wie es in der Mitteilung hieß.
Im großen SPOX-Interview blickt Schaidnagel auf seine Zeit beim DEB zurück und verrät, warum sich der Leistungssport in Deutschland aus seiner Sicht an einem ganz kritischen Punkt befindet.
Herr Schaidnagel, das offizielle Ende Ihrer Arbeit beim DEB liegt jetzt mehr als ein Jahr zurück. Ein Ende, das nach allem, was man hört, sehr unschön war. Seitdem ist es still um Sie geworden. Wie geht es Ihnen?
Stefan Schaidnagel: Vielen Dank für die Nachfrage, mir geht es zum Glück wieder sehr gut. Es war eine schwierige Zeit für mich und auch für meine Familie. Wenn man aus so einer Position ausscheidet und eine Zeit hinter sich lässt, in der so viel passiert ist, braucht man eine Phase der Verarbeitung. Es hat etwas gedauert, bis ich mich körperlich und auch mental wieder neu aufgestellt und mich sortiert hatte. Umso dankbarer bin ich, dass ich mich sehr gut konsolidiert und jetzt auch eine neue Aufgabe im Sports Consulting habe, die mir extrem viel Spaß macht.
Das offizielle Wording beim Abschied sagt gleichermaßen viel und wenig aus. Oft war von einem Spannungsfeld zwischen dem ambitionierten, vielleicht auch teilweise forschen Sportwissenschaftler Schaidnagel und dem Traditionalisten Reindl die Rede. Stimmt diese Beschreibung?
Schaidnagel: Es ist natürlich klar, dass der Abschied nicht von Harmonie geprägt war. Aber den einen Grund, an dem man es festmachen kann, gibt es nicht. Ich habe meinen Frieden mit dem Kapitel DEB gemacht und blicke nicht mehr zurück. Ich denke, das sieht man beim DEB genauso.
Haben Sie aber die Zeit für sich reflektiert? Waren Sie in der Nachbetrachtung an der einen oder anderen Stelle zu forsch?
Schaidnagel: Jeder Mensch sollte sein Handeln immer reflektieren, die Frage ist ja immer, ob das auch immer so von jedem gemacht wird. Ich kann für meinen Teil sagen, dass ich mir viele Gedanken gemacht habe. Und klar ist auch, dass niemand auf der Welt frei von Fehlern ist. Ich natürlich auch nicht. Ich kann aber sagen, dass ich jeden Abend guten Gewissens in den Spiegel schauen kann und immer einen ehrlichen Weg gegangen bin. Mich freut es auch, dass viele Leute mich positiv damit in Verbindung bringen, dass ich jemand war beim DEB, der angepackt hat. Der ehrlich versucht hat, Reformen anzustoßen und im Spitzenbereich eine neue Qualität reinzubringen. Ich konnte mithelfen, dass wir den Eishockeysport in Deutschland in eine gute Richtung entwickelt haben. Und - genauso wichtig - ich habe viele tolle Menschen kennenlernen dürfen. Das ist das Fazit, das ich immer wieder so ziehen und unterschreiben würde.
Eines der Streitthemen soll Ihre Forderung gewesen sein, dass die DEL ihr Kontingent an Importspielern reduzieren solle.
Schaidnagel: Bei dem Thema Importspieler in der DEL gibt es grundsätzlich ja zwei Dimensionen, eine sportfachliche und eine sportpolitische. Ich war naturgemäß immer davon getrieben, was meiner Meinung nach für die Sportart und für das Weiterkommen das Richtige ist. Wer meine Interviews aber genau beobachtet hat, der wird gemerkt haben, dass ich fünf Jahre lang jedes Mal klargemacht habe, dass der Zeitpunkt für eine Reduzierung der Ausländerplätze noch nicht gekommen ist, weil die angestoßenen Reformen erst greifen und ihre Wirkung entfalten mussten. Als das dann aber so weit war, wäre es doch im höchsten Maße seltsam gewesen, wenn wir nicht das Ziel gehabt hätten, die Reformen zu "krönen", das i-Tüpfelchen draufzusetzen und zum richtigen Zeitpunkt eine Reduzierung anzustoßen. Ich habe das im vielzitierten Interview beim Deutschland Cup auch nicht forsch oder aggressiv formuliert, sondern fachlich argumentiert, warum es gerade nach Olympia-Silber der perfekte Zeitpunkt wäre. Weil wir damals den Handlungsspielraum hatten und die öffentliche Wahrnehmung extrem positiv war. Ich habe übrigens aus dem Eishockey international, sowohl als auch sportartübergreifend, zum Beispiel aus dem Profifußball höchste Wertschätzung und sehr gutes fachbasiertes Feedback dafür bekommen. Wenn ein Sportdirektor in seiner Sportart nicht konstruktiv und kritisch Punkte ansprechen darf, dann müssen wir uns glaube ich grundsätzlich Gedanken machen, ob hier etwas falsch läuft.
Importspieler: "... dann lügt er sich selbst in die Tasche"
Zumal Sie das Interview im Zusammenhang mit dem Spiel gegen die Schweiz gegeben haben. Die Schweiz, wo pro Team maximal vier Ausländer (bei 12 Mannschaften in der Liga) auf dem Spielberichtsbogen stehen dürfen, ist vielleicht das perfekte Beispiel, oder nicht?
Schaidnagel: Absolut. Die Schweiz ist diesen Schritt ja bereits viele Jahre früher gegangen. Mit dem Ziel, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren, ohne große Ausschläge nach oben oder nach unten. Das Resultat waren zwei Silbermedaillen bei Weltmeisterschaften. Und als auch in der Schweiz hitzige Diskussionen aufgekommen sind, ob man wieder erhöhen sollte, hat das Schweizer Eishockey ein eindeutiges Statement gesetzt. Wir erinnern uns an die Szenen, als die Spieler, selbst die Importspieler, alle nach dem Bully an die Bande gefahren sind, um ein Zeichen zu setzen. Eine Art Ministreik. Und die Schweiz hat das nicht aus Nationalismus gemacht, sondern weil sie ihre Eishockey-Kultur und das Erreichte hochhalten wollen. Es geht immer wieder darum, Nachhaltigkeit zu generieren. Um das Aneinanderreihen von positiven Ergebnissen. Wenn man glaubt, mit Olympia-Silber gefolgt von einem sechsten Platz und einem vierten Rang ist man oben angekommen, dann ist das einfach falsch. Du musst deinen Erfolg untermauern und noch härter arbeiten als vorher.
Die DEL soll sich überfahren gefühlt haben. Nachvollziehbar?
Schaidnagel: Ehrlich gesagt entbehrt das jeglicher Grundlage. Es gab die ganze Zeit Gespräche darüber mit der DEL. Es ging auch nie darum, sofort von 9 auf 6 zu reduzieren, es hätte auch schrittweise passieren können. Ebenso hat dies Marco Sturm als Bundestrainer klar benannt. Zumal das Ziel der Reduzierung formuliert wurde, als ich noch nicht mal im Verband gearbeitet habe. Wenn sich dann jemand überrumpelt gefühlt hat, lügt er sich selbst in die Tasche.
Die Silbermedaille 2018 in Pyeongchang war eine Sternstunde im deutschen Eishockey und auch Ihr Erfolg. Sie haben schon bei den Weltmeisterschaften 2016 und 2017 mit Marco Sturm, der damals Bundestrainer war, einen Fahrplan entwickelt. Wie sah der aus?
Schaidnagel: Wir haben uns viele Nächte um die Ohren geschlagen, das stimmt. Marco und ich haben uns sehr gut ergänzt und sehr professionell zusammengearbeitet. Er hat etwas geliefert, was ich nicht konnte. Und umgekehrt. Das hat einfach gepasst, auch menschlich. Für uns war es damals in erster Linie wichtig, dass wir die Mannschaft und den gesamten Staff mitnehmen. Dass sich jeder als Teil des Ganzen sieht. Dass jeder auch die ganze Zeit weiß, was auf unserem Weg zu Olympia passiert. Transparenz und Offenheit haben wir großgeschrieben. Wie kontaktiere ich die Spieler? Wie oft kontaktiere ich die Spieler? Wie rede ich mit ihnen?
Was heißt das konkret?
Schaidnagel: Bei Maßnahmen hatten die Spieler zum Beispiel bei ihrer Ankunft einen Brief des Trainers oder Sportdirektors auf ihrem Zimmer, der motivieren und die Erwartungshaltung beschreiben sollte. Die Jungs sollten auch verstehen, dass wir das tun, was wir sagen. Wir haben ein auf Vertrauen und Wertschätzung basierendes Klima aufbauen wollen, das uns dann wiederum die Möglichkeit gibt, Bestleistung einfordern zu können. Was die Spieler dann in so einer Atmosphäre auch sehr gerne zurückgeben. So ist mit der Zeit der berühmte Geist entstanden vor Olympia. Man sagt immer so schön, dass die Vorbereitung die halbe Miete ist. Aber es ist so. Unser Grad der Organisiertheit war so hoch, dass wir uns die bestmögliche Chance auf Erfolg gegeben haben. Natürlich brauchst du im Verlauf eines Turniers dann auch das nötige Quäntchen Glück, aber der Spirit war so stark, dass extrem viel hätte passieren müssen, um dieses Team aus der Bahn zu werfen.
Die deutschen Gruppenspiele bei der WM in Finnland
Mannschaft 1 | Mannschaft 2 | Termin |
Deutschland | Kanada | 13.05.2022, 19:20 Uhr |
Slowakei | Deutschland | 14.05.2022, 19:20 Uhr |
Frankreich | Deutschland | 16.05.2022, 19:20 Uhr |
Deutschland | Dänemark | 19.05.2022, 15:20 Uhr |
Deutschland | Italien | 20.05.2022, 15:20 Uhr |
Kasachstan | Deutschland | 22.05.2022, 15:20 Uhr |
Deutschland | Schweiz | 24.05.2022, 11:20 Uhr |