Liebe SPOX-Leser,
Mehrfach habe ich aus der Community Anfragen bekommen, ob ich denn nicht mal Formel-1-Technik genauer erklären könne, oder bin darum gebeten worden, mal über das ein oder andere Technikthema etwas zu schreiben. Ich bin sehr stolz, Euch nun zusammen mit der SPOX-Redaktion gleich eine ganze Technik-Serie präsentieren zu können und dafür auch eine entsprechende Plattform geboten zu bekommen.
Damit Ihr die Rennen vielleicht mit einem anderen Fokus verfolgen könnt und die Formel 1 von ihrer interessanten Seite kennen lernt, werde ich in den nächsten Wochen einen kleinen Einblick in die Einmaligkeit der Technik geben. Dann verschwinden vielleicht die vorschnellen Schmährufe auf bestimmte Regeländerungen.Kommentare wie "bei Testfahrten geht es doch um nichts" oder "wow, ist Team XY weit hinten" wird der eine oder andere vielleicht nach dem Lesen meiner Texte überdenken. Bei genauerer Betrachtung kann man jeder einzelnen Runde Erkenntnisse abgewinnen über die Probleme, Entwicklungen und Vorteile der einzelnen Teams. Testfahrten und Trainings sind mehr wert als jedes Rennen, egal wie viele Punkte man holt.
In den nächsten Wochen wünsche ich Euch also viel Spaß mit meinem Versuch, die Spannung und das Interesse an der Formel 1 zu erhöhen. Bei inhaltlichen Unklarheiten scheut Euch bitte nicht, die Kommentarfunktion zu nutzen und zu fragen.
In den bisherigen Teilen der Serie habe ich Euch schon den Motor , den Antrieb, die Reifen und die Aufhängung erklärt. Im fünften und letzten Teil geht es um die Bremsen.
Die Bremsen
Wochenlang schreibe ich über bestmögliche Energieübertragung zur maximalen Beschleunigung und heute soll es darum gehen, die ganzen Mühen wieder einzubremsen? Richtig! Dennoch behandeln wir abschließend ein sehr spannendes Thema.
Aus physikalischer Sicht könnte man Bremsen wohl auch ganz simpel als Energieumwandler bezeichnen. Energie resultiert im Prinzip aus mechanischer Arbeit; in diesem Fall durch die Verbrennung von Treibstoff im Motor. Ein Fahrzeug, welches mit 300 km/h über eine Gerade fährt, ist physikalisch betrachtet ein mechanisch beschleunigter Körper.
Die gesamte, durch die Verbrennung gewonnene, Energie liegt nun in bewegter Form vor. Tritt der Pilot auf die Bremse, wird diese Bewegungsenergie in Wärme-, eigentlich müsste man Hitzeenergie sagen, umgewandelt (Stichwort: Energieerhaltungsprinzip).
Von 400 Grad auf 1200 Grad Celsius
Am Ende der Zielgeraden im königlichen Park von Monza verzögern die Boliden in knapp zwei Sekunden auf circa 140 Metern von 340 km/h auf 60 km/h. Allein in diesem kurzen Zeitraum erhitzen sich die Bremsen von circa 400 Grad Celsius auf bis zu 1200 Grad Celsius. Viel mehr können die rund drei Zentimeter dicken Bremsscheiben aus Karbon auch kaum vertragen.
Deswegen werden diese Spitzenwerte auch nur am Bremshöhepunkt erreicht und die Scheiben, mit einem Durchmesser von rund 28 Zentimetern, müssen schleunigst wieder heruntergekühlt werden. Dieses Beispiel zeigt schon die enorme Kraft und Leistungsfähigkeit einer Formel-1-Bremse.
Ich denke zwar, dass es nun kaum noch nötig ist, genauer auf die Unterschiede zu Ihrem Straßenwagen einzugehen, dennoch ein paar kleine Zahlenspiele. Haben Sie Ihr Auto schon mal auf 100 km/h beschleunigt und sind dann voll in die Eisen gestiegen bis zum Stillstand? Welche Wegstrecke haben Sie benötigt?
Das Zauberwort: Karbon
Ein Formel-1-Bolide braucht knapp 17 Meter und 1,4 Sekunden. Dabei wirken etwa 5,4G auf das Fahrzeug. Ein reguläres Straßenauto benötigt um die 35 Meter, je nach Modell natürlich. Eine Formel-1-Bremse in Ihrem VW Golf eingebaut würde Sie von 30 km/h in nur 4 Metern zum Stillstand bringen.
In diesem Fall sollten Sie sich aber vorher darum kümmern, dass der Airbag auslöst, sonst rennen Sie in den Folgetagen mit einer schönen Gesichtsmaske herum.
Das Zauberwort heißt hier Karbon. Seit dieser Werkstoff zu Beginn der neunziger Jahre Einzug in die Formel 1 gehalten hat, ist die Bremsleistung bis heute an einem absoluten Höhepunkt angelangt. Karbon hält mit vergleichsweise geringen Verschleißerscheinungen mehr als 800 Erhitzungen über 1000 Grad Celsius pro Grand Prix aus.
Extreme Umgewöhnung
Dabei wiegt es auf Grund der geringen Materialdichte wenig - 1 Kilogramm pro Scheibe. Die Produktion einer Scheibe dauert mehrere hundert Arbeitsstunden. Die Scheibe wird mehrfach "gebacken", beschichtet und verdichtet. Das macht die Bremsscheiben auch gleichzeitig zu einem der teuersten Einzelteile eines Formel-1-Boliden.
Eine Bremsscheibe kostet circa 1500 Euro, macht für einen Satz 6000 Euro. Bedenkt man, dass jedes Auto in einer Saison circa 50 komplette Sätze verbraucht, so geben die Teams alleine für Bremsscheiben pro Auto, pro Saison 300.000 Euro aus.
Aus fahrerischer Sicht fährt sich eine Karbonbremse sehr unterschiedlich zu Stahlbremsen. Im ersten Moment nach dem Durchtreten des Bremspedals fühlt es sich an, als geschehe nichts.
Karbon greift im Gegensatz zu Stahl erst ab circa 800 Grad Celsius so richtig brutal. Als Pilot ist das eine extreme Umgewöhnung, da man nach einer halben Sekunde dermaßen hart nach vorne gerissen wird, ohne Korrelation zur Pedalbewegung.
Wie in einem Straßenwagen
Rein technisch funktioniert eine Formel-1-Bremse wie in einem Straßenwagen. Die Bremsscheibe rotiert mit der Geschwindigkeit des Rades. Tritt der Pilot das Bremspedal, drückt er über die Bremsflüssigkeit die Bremsbacken zusammen, welche die Bremsscheibe und damit das Rad durch Reibung herunterbremsen.
Die Bremsflüssigkeit ist in der Fahrzeugnase in Zylindern platziert. Auch die Flüssigkeit für das hintere Bremssystem ist dort aus Platzgründen untergebracht. Beide Systeme (vorne und hinten) müssen nach dem Reglement getrennt voneinander operieren, damit das Fahrzeug bei Ausfall eines Systems trotzdem gebremst werden kann.
Bremssättel und -scheiben werden in der Formel 1 derzeit nur von wenigen Herstellern gefertigt. Zu ihnen zählen: Brembo, Hitco, Carbon Industries, AP Racing und Alcon. Nicht immer kommen Scheiben und Sättel von einem Hersteller.
Optimales Temperaturfenster: Zwischen 400 und 1000 Grad
Auch haben einige Fahrer ihre Vorlieben und vertrauen auf andere Hersteller im Gegensatz zu ihren Teamkollegen. 2007 fuhren Hamilton und Alonso beispielsweise unterschiedliche Bremsen. Lewis vertraute auf Carbon Industries, Fernando auf Hitco-Scheiben.
Unterschiedliche Hersteller bedeuten logischerweise auch unterschiedliche Eigenschaften. Das Temperaturverhalten, das heißt das Temperaturfenster, in dem die Bremsen optimal arbeiten, ist beispielsweise verschieden. Aber auch Abrieb, Kühlreaktion und ähnliches sind Eigenschaften, die je nach Hersteller variieren.
Generell lässt sich aber sagen, dass eine Bremse während des Rennens zwischen 400 Grad und 1000 Grad Celsius ihr optimales Temperaturfenster besitzt. Über die Größe der Kühlöffnung kann man diese Fenster beispielsweise beeinflussen. Sinkt die Temperatur unter 400 Grad Celsius, bringt die Bremse in den ersten Zehnteln des Bremsvorgangs zu wenig Verzögerung.
"Fahrtwind" in die Bremse
Steigt die Temperatur über 1000 Grad Celsius, ist der Verschleiß an der Scheibe und den Sätteln größer als im idealen Temperaturfenster (zu sehen, wenn "aus" den Vorderreifen schwarze Staubwolken austreten). Ideal wäre eine Temperaturvarianz zwischen 600 und 1000 Grad Celsius.
Hauptaugenmerk der Teams bei der Entwicklung der Bremskühlung gilt also einem System, welches die Bremsen schnell herunterkühlt, jedoch nicht zu stark kühlt. Aus diesem Grund ist die Luftführung durch die Bremse hindurch eine eigene Wissenschaft und in keiner Rennserie so speziell wie in der Königsklasse.
Durch einen Lufteinlass an der Radinnenseite gelangt "Fahrtwind" in die Bremse, die heute ein geschlossener Kasten ist. Die Bremsscheibe selbst ist perforiert, anders könnte die Scheibe gar nicht so schnell abgekühlt werden. Wichtig bei der Luftführung durch die Bremsscheibe ist der Luftauslass.
Unterdruck an der Radaußenseite erzeugen
So startete Ferrari 2007 erstmals mit Radabdeckungen. Entgegen des weit verbreiteten Aberglaubens geht es dabei nicht primär um eine strömungsoptimierte Luftführung um die Reifen, viel mehr geht es um die Beschleunigung der das Rad umströmenden Luft, um einen Unterdruck an der Radaußenseite zu erzeugen, der die Luft aus der Bremse mit steigender Geschwindigkeit stärker "heraussaugt" und so stärker kühlt.
Die Bremsen erreichen daher erst kurz vor der nächsten Bremsphase die Minimaltemperatur und nicht schon zu früh, sodass sie immer auf idealer Betriebstemperatur sind. Erst in dieser Saison wurden die Abdeckungen so geformt, dass sie aerodynamisch spürbare Effizienz erzielten.
Schade, da sie in diesem Jahr abgeschafft wurden. Daher experimentierten in diesem Jahr einige Teams wieder vermehrt mit Bremsventilatoren, die man sich eben wie kleine Ventilatoren vorstellen kann, die parallel zur Bremsscheibe drehen und so die Kühlung verbessern.
Manül sagt danke
Abschließend möchte ich mich für die gebotene Plattform und tolle Zusammenarbeit hier bedanken. Ich hoffe, ich konnte mit meinen Beiträgen das Verständnis für die Technik, die hinter diesem Sport steht, verfeinern. Denn fernab vom medialen Hype um Schumis Comeback gibt es weitaus mehr Aspekte, die diese Rennserie sehenswert machen.
Und ebenfalls sollten einige diese Sichtweise als Anstoß nehmen, Kommentare wie "Bei Testfahrten geht es doch um nichts" oder "Wow ist McLaren weit hinten" zu überdenken. Denn bei genauerer Betrachtung kann man jeder einzelnen Runde Erkenntnisse abgewinnen über die Probleme, Entwicklungen und Vorteile der einzelnen Teams. Testfahrten und Trainings sind mehr wert als jedes Rennen, egal wie viele Punkte man holt.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen noch eine spannende Saison 2010 und verabschiede mich ganz herzlich von dieser großen Bühne.