Schon zu Beginn seiner Karriere war Vettel ein Spitzname sicher: "Baby-Schumi". Auch wenn er dem widersprach, die Vergleiche mit seinem eigenen Kindheitsidol haben bis heute nicht aufgehört. Jetzt befeuert sie der Heppenheimer selbst, weil er die gleiche Entscheidung trifft.
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Zur Erinnerung: Als sich Schumacher 1995 für einen Wechsel von Benetton zu Ferrari entschied, waren die Italiener im Mittelfeld versunken. Der Kerpener Doppelweltmeister wusste derweil schon, dass sein bisheriger Erfolgsrennstall bald nicht mehr die große Geige spielen würde. Er wählte den Weg vom Textilhersteller zum Motorsport-Team schlechthin, schloss sich der Scuderia an und wurde bei ihr mit fünf weiteren Titeln zur Legende.
Denselben Weg will jetzt Vettel gehen. Der Vierfachweltmeister verlässt seine Förderer bei Red Bull, wie Schumi seinen Mentor Flavio Briatore. Er stellt sich in den Dienst des Cavallino Rampante, um mit dem in den letzten Jahren dauerhaft enttäuschenden Rennstall wieder ein Siegerauto auf die Beine zu stellen. Und er will sich selbst die Krone aufsetzen.
Kein besserer Zeitpunkt möglich
Der Zeitpunkt für diesen Wechsel könnte nicht besser gewählt sein. Red Bull ist nicht mehr das, was es einmal war. Renningenieur Guillaume Rocquelin wechselt Ende der Saison 2014 den Job, sein Chefmechaniker Kenny Handkammer musste schon vor dem Japan-GP die Segel streichen. Und der Vater des Erfolgs, Technikdirektor und Designpapst Adrian Newey, wendet sich zum Jahresende anderen Aufgaben zu, weil ihm die Regulierung des Formel-1-Reglements zu weit geht.
Gerade die letzte Personalie könnte sich entscheidend ausgewirkt haben. Zehn Konstrukteurs-Titel sammelte der geniale Brite im Laufe seiner Karriere, die von ihm ausgenutzten Schlupflöcher machten die Autos trotz teils schwächeren Motoren überlegen. Williams, McLaren, Red Bull Racing - nur Ferrari unterbrach die Dominanz kurz. Die Gefahr besteht, dass das Team aus Milton Keynes ähnlich endet.
Zudem hatte Vettel bei Red Bull ein weiteres Problem: Daniel Ricciardo. Der Teamneuling überzeugte in diesem Jahr. Wäre Vettel auch in der kommenden Saison hinter ihm gelandet, sein Marktwert hätte eine deftige Delle bekommen. Jetzt aber ist der Vierfachweltmeister der Scuderia angeblich mehr als 30 Millionen Euro pro Jahr wert.
Flucht vor dem ungewollten Umbruch
Viel entscheidender ist aber die Herausforderung, der sich Vettel jetzt stellt. Bei Red Bull müsste er einen Umbruch mitmachen, den er selbst kaum gewollt haben konnte. Wechselt er zu Ferrari, wird er dagegen der Leitwolf eines Neuaufbaus. Er flüchtet nicht vor dem Australier, sondern der unnötigen Veränderung. Selbst wenn er zu McLaren gehen würde, was durch die Aussagen von Alonso fast undenkbar scheint, hätte er dieselbe Aufgabe vor sich.
Auffällig sind auch die Parallelen der beiden Dauerkonkurrenten. Der Spanier hatte bei seinem Abschied zu Renault dieselben Voraussetzungen wie Vettel: Er wollte zu einer echten Legende werden, indem er Weltmeister mit dem historisch erfolgreichsten Team wird. Fest steht: An seiner persönlichen Schumacher-Kopie ist Alonso gescheitert.
Nun ist es an Vettel, es besser zu machen. "Wenn man es schafft, mit einem Traditions-Rennstall, einer Marke voller Emotionen Rennen und Meisterschaften zu gewinnen, dann ist das nach wie vor das Nonplusultra. Und das würde sicher die eine oder andere Situation für ihn verändern", sagte der Rekordweltmeister selbst im Oktober 2013.
Vettel wird seine Kritiker mundtot machen
Schafft Vettel es, wird er seine Kritiker mundtot machen, sich die Sympathien der meisten Formel-1-Fans erarbeiten und zu einer echten, wohl unerreichten Legende werden. "Baby-Schumi" ist dann endgültig Geschichte.
Die Kehrseite der Medaille: Schafft es Vettel nicht, zusammen mit den neuen Machthabern Sergio Marchionne und Teamchef Marco Mattiacci, die Weltmeisterschaft nach Maranello zu holen, endet er wie Alonso: Ein talentierter Fahrer, der nicht das Maximum aus seinen Möglichkeiten gemacht hat, weil er einem Traum hinterherrannte. Doch dieses Risiko kann sich ein Vierfachweltmeister leisten, er hat seinen Platz in den Geschichtsbüchern bereists mehr als nur gesichert.
Und die Perspektive ist blendend. Schon seit Jahren verpflichtet Ferrari von der Konkurrenz Top-Ingenieure wie James Allison. Kopiert der Heppenheimer auch hier Schumacher und bringt die halbe Führungsriege seines Weltmeisterteams mit nach Maranello, wird er auch dort Erfolg haben. Anpassungsschwierigkeiten sind nahezu ausgeschlossen. In seiner Toro-Rosso-Zeit hat Vettel unentwegt Italienisch gebüffelt. Vettel und Ferrari? Das passt einfach.
Sebastian Vettel im Steckbrief