DTM-Champion Pascal Wehrlein ist seinem Traum vom Weltmeister-Titel einen großen Schritt näher gekommen. Der 21-jährige Schwabe startet in der Saison 2016 für Manor in der Formel 1. Das Mercedes-Kundenteam ist nur eine Zwischenetappe, der Weg in den Silberpfeil vorgezeichnet.
Pascal Wehrlein wusste genau, wer ihm seinen Aufstieg in die Königsklasse ermöglicht hat. "Herzlichen Dank für die unglaubliche Unterstützung und Hilfe, dank der ich meinen Traum verwirklichen konnte", wandte er sich an Mercedes und "ganz besonders" Motorsportdirektor Toto Wolff, als ihn Manor den Medien vorstellte.
Über Monate hatte Mercedes im Verborgenen gearbeitet, um seinem talentierten Nachwuchsfahrer den Aufstieg zu ermöglichen. Wolff wollte dafür sogar ein drittes Auto in die Startaufstellung setzen, wie er gegenüber SPOX bestätigte.
"Ihre Frage trifft genau ins Schwarze. Die Antwort ist: Ja", sagte er beim DTM-Finale am Hockenheimring: "Ich finde, ein drittes Auto würde dem Fahrermarkt Bewegung verschaffen und es wäre für die Fans spannend, wie sich ein Wehrlein oder ein Stoffel Vandoorne in diesen Autos gegen die Superstars schlagen."
Manor war die letzte Option
Die anderen Teams sperrten sich gegen noch mehr Silber. Das neue Kundenteam Manor wurde zur einzigen Möglichkeit für Wehrlein.
Doch das Projekt drohte endgültig zu scheitern, weil die Hinterbänkler fast 20 Millionen Euro über ihre Cockpitvergabe einnehmen wollten. "Da schwirren Summen durch den Raum, die so für uns einfach nicht infrage kommen", erklärte Wolff noch im Januar und setzte sich im Endeffekt durch - offiziell ohne Zahlungen. Ein Rabatt bei der Motorenlieferung oder andere technische Unterstützung durch das Werksteam ist aber mehr als nur wahrscheinlich.
Wehrlein kann das egal sein. Er muss nur das machen, was er seit seinem Einstieg in den Formelsport immer getan hat: schnell sein.
Durschlagender Erfolg nach der Kartzeit
Die Formel-ADAC-Masters-Konkurrenten ließ Wehrlein in der Saison 2011 wie Amateure aussehen, als er acht von 16 Rennen gewann und die Meisterschaft für sich entschied. Mit Mercedes-Motor folgte im nächsten Jahr der vierte Platz in der FIA-Formel-3-EM.
Der Angriff auf den Titel war fest eingeplant, das erste Wochenende in Monza mit drei Podiumsplätzen bei einem Sieg erfolgreich bestritten, als Ralf Schumacher kurz vor der Saison 2013 seinen Rücktritt vom aktiven Motorsport bekanntgab.
Wolff hatte als frisch inthronisierter Nachfolger von Mercedes-Motorsportdirektor Norbert Haug ein ernstes Problem. Plötzlich hatte Mercedes ein Cockpit in der DTM frei - und keinen passenden Piloten.
Eine Beförderung als Risiko
Wolff ging das Risiko ein und beförderte Wehrlein ein Jahr früher als geplant. "Unsere Junioren haben alle großes Talent. Pascal Wehrlein zum Beispiel ist sehr jung und hat großes Potenzial. Er hat uns schon in der Formel 3 sehr viel Freude bereitet und kann sicherlich eine sehr erfolgreiche Karriere machen", sagte Wolff damals zu SPOX.
Allein die Resultate stimmten nicht. Drei zehnte Plätze und damit mickrige drei Punkte bescherten dem Junioren den letzten Platz in der Gesamtwertung. Beunruhigen ließ er sich nicht. Wehrlein lernte dazu, er schlug sich die Nächte bei den Meetings der Ingenieure um die Ohren. Mit Erfolg. Am Lausitzring feierte der Nachwuchspilot in der folgenden Saison seinen ersten DTM-Sieg.
Jüngster Rennsieger aller Zeiten. Die Lobeshymnen stellten sich spätestens ein, als Mercedes ihn nur einen Tag später zum Ersatzfahrer des Formel-1-Teams beförderte. Erstmals stand Wehrlein in der breiteren Öffentlichkeit positiv im Rampenlicht. Vier Monate zuvor war das noch ganz anders.
Der Unfall im DFB-Trainingslager
Zusammen mit Nico Rosberg hatte der damals 19-Jährige das DFB-Team bei der WM-Vorbereitung in Südtirol besucht. Bei einer PR-Fahrt sollte ein netter Werbeclip entstehen. Doch die Ausfahrt entwickelte sich zum Desaster.
Wehrlein kam von der abgesperrten Strecke ab. Sein Auto erfasste einen Touristen aus Thüringen, der schwer verletzt und von den Ärzten ins künstliche Koma versetzt wurde.
Ermittlungen wegen fahrlässiger Körperverletzung auf den Unfall im DFB-Trainingslager folgten. Die Staatsanwaltschaft Bozen stellte fest, dass die Hauptschuld beim Mercedes-Piloten lag. Dass der Tourist die Absperrung überwunden hatte, spielte nur eine geringe Rolle. Wehrlein war auf regennasser Fahrbahn zu schnell unterwegs gewesen und hatte obendrein den Sicherheitsabstand unterschritten. Er kam mit einem Schock davon.
Es war Wehrleins Glück, dass sich Mercedes uneingeschränkt hinter seinen Fahrer stellte. Nach italienischem Recht hätte das Unfallopfer einen Strafantrag stellen müssen, damit der Unfallfahrer belangt wird. Mittlerweile ist die Untersuchung abgeschlossen.
Das Schweigegelübde
"Der Schock über die tragischen Ereignisse sitzt sehr tief. Meine ganze Hoffnung und meine Gedanken sind bei den beiden Verunglückten und ich bete, dass wir bald positive Nachrichten bekommen werden. Ich danke allen für die Unterstützung in diesen schweren Stunden", teilte er in der Nacht nach dem Unglück via Facebook mit.
Bis heute spricht Wehrlein nicht über die Zeit nach dem Unfall. Das Image des schnellen und verantwortungsbewussten Rennfahrers sollte ungetrübt bleiben.
Schon seit der Aufnahme in den ADAC-Förderkader im Jahr 2008 und dem anschließenden Start im Kartteam von Rekordweltmeister Michael Schumacher, hatte er Schulungen im Umgang mit den Medien erhalten. Mercedes führte die Ausbildung fort. Die Bemühungen zeigten Wirkung.
Glattgebügelt nannten einige die Antworten, professionell war die andere Sichtweise. Statt wie zu seiner Juniorenzeit Michael Schumacher und Lewis Hamilton als Vorbild anzugeben, war er einige Zeit später Fan von Schumi-Rivale Mika Häkkinen. Er sei durch väterliche Prägung schon immer Mercedes-Fan gewesen.
Der Eklat von Spielberg
Erst als Timo Scheider den Meisterschaftsführenden im ersten DTM-Rennen 2015 am Red-Bull-Ring in Spielberg auf Befehl von Motorsportchef Wolfgang Ulrich abschoss, zeigte Wehrlein sein wahres Gesicht. Es war erfreulicherweise menschlich.
"Wenn Audi auf diese Art eine Meisterschaft gewinnen muss, dann würde ich sagen, dass sie heute einen großen Krieg begonnen haben", regte er sich bei Autosport auf: "Ich hoffe, das hat ernste Konsequenzen. Ich hoffe, jeder schreibt über diese Situation, was Audi angefangen hat. Und ich hoffe, dass nächste Woche keiner einen Audi kauft."
Wehrlein zeigte, dass er Ecken und Kanten hat, wenn er nicht an der kurzen Leine gehalten wird. Der Schieb-ihn-raus-Skandal brachte der DTM auch deshalb Aufmerksamkeit. Wehrleins Kommentare führten trotzdem zu negativen Reaktionen der Medien.
Unglaubliche Konstanz führt zu Rekord
Auf der Strecke war an Wehrleins Leistungen zu diesem Zeitpunkt sowieso kein Zweifel mehr möglich. Trotz seiner Jugend legte er eine Konstanz an den Tag, die seine erfahreneren Kollegen neidisch machte. In 15 von 18 Rennen landete er in den Punkterängen, selbst Gary Paffett versuchte sich beim Setup etwas abzuschauen. Einen Tag vor seinem 21. Geburtstag löste Wehrlein schließlich Paul di Resta als jüngsten DTM-Champion aller Zeiten ab.
Bei Manor bekommt der Deutsche nun die Chance, fernab des Drucks der großen Teams sein Können für das Werksteam zu verfeinern. Ein Silberpfeil-Cockpit könnte dabei schneller herausspringen als aktuell vorstellbar.
Silberpfeil-Chance eindeutig vorhanden
"Wenn es schädlich für das Team werden sollte, würde das bedeuten, dass wir die langfristige Konstellation im Team mit den Fahrern nicht aufrechterhalten", hatte Wolff seine Stammfahrer Lewis Hamilton und Nico Rosberg schon im Dezember gewarnt: Die "schwierige Beziehung der Fahrer ist eine unserer Schwachstellen."
Mit Wehrlein, der seine DTM-Startnummer 94 auch in der Formel 1 behalten wird, steht Wolff bald ein Formel-1-erfahrenes Druckmittel zur Verfügung. Nicht umsonst bleibt der in Sigmaringen geborene Württemberger mit mauritischen Vorfahren Ersatzfahrer des Werksteams.
"Jetzt liegt es an mir, die Chance zu ergreifen und die Leistung auf der Strecke zu bringen", stellte Wehrlein bei seiner Manor-Präsentation fest. Mit Mercedes-Antrieb, Chassisteilen von Williams und dem entschlossen Personal rekurtierenden Manor-Team, das ab sofort Zugang zum Weltmeister-Windtunnel in Brixworth hat, scheinen schon in der Debüt-Saison Punkte möglich.