"Ich habe mich ein bisschen aufgeregt. Ich hoffe, das kann man verstehen. Das Adrenalin war am Anschlag. Er ist von der Strecke gefahren und hat dann einfach keinen Platz gemacht", fasste Vettel die Situation gegen Ende des Mexiko-GP zusammen.
Verstappens Medium-Slicks waren nach über 50 Runden auf dem Autodromo Hermanos Rodriguez am Ende. Vettel hatte 20 Umläufe weniger auf seinen gleichharten Slicks absolviert. Zwei Runden vor Schluss sah er seine Chance aufs Podium gekommen.
"Ich habe ihn in die Bredouille gebracht, er hat einen Fehler gemacht", sagte Vettel. Der Niederländer bremste Turn 1 zu spät an, fuhr quer durchs die Auslaufzone und blieb so trotz seines Fehlers vor dem Deutschen.
Beleidigungen und deutliche Gesten
"Er muss mich vorbeilassen! Er muss mich vorbeilassen!", fluchte Vettel schon im Rennen, als Verstappen keinen Platz machte, und beleidigte ihn: "Weg mit dir! Weg mit dir! Verdammte *****! Er ist ein ****!"
Die Emotionen hatten sich bis nach der Zieldurchfahrt nicht gelegt: Vettel preschte mit Vollgas neben Verstappen, zeigte ihm als Zeichen des Missfallens den ausgetreckten Zeigefinger. Verstappen streckte seine Faust in Richtung des dreifachen Weltmeisters aus. "Ich werde jemanden schlagen", kündigte Vettel im Auto an. Mehrere Teammitglieder holten den Deutschen im Parc fermé ab.
"Ich war sehr geladen. Ich war sauer, dass er mir die Position nicht gegeben hat, nachdem er abgekürzt hat", sagte Vettel später. Erst Teamchef Maurizio Arrivabene hatte ihn beruhigen können.
Die Stewards gaben Verstappen schließlich eine Fünf-Sekunden-Strafe, weil er die Strecke verlassen und sich so einen Vorteil verschafft hatte. Der 19-Jährige verfolgte den Platztausch beim Blick auf den Zeitenmonitor im Podium-Room live mit. Während der Verantwortliche des Automobilweltverbands, Herbie Blash, eilig den Niederländer entfernte, durfte Vettel aus dem Parc fermé heranjoggen und seinen Platz einnehmen.
Red Bull konnte die Bestrafung des eigenen Talents überhaupt nicht nachvollziehen. "Es ist jammerschade, dass so ein tolles Finish mit guten Zweikämpfen durch so eine Strafe entschieden wird", sagte Helmut Marko bei Sky und griff seinerseits Sebastian Vettel an.
Red Bull: Vettel-Manöver strafwürdig
Als Verstappen ihn nach der Querfeldeinfahrt weiter aufhielt, war der Deutsche im Kampf gegen den heraneilenden Daniel Ricciardo seinerseits in die Bredouille gekommen. "Durch die Situation konnte ich meinen Speed nicht fahren. Dann kam Daniel von hinten. Das möchte ich mir nochmal angucken. Das war eng", sagte Vettel, der in der vorletzten Runde einen Angriff des Australiers auf der Bremse abwehrte.
Dabei verließ Vettel beim Anbremsen von Turn 4 die Außenbahn und orientierte sich zur Mitte. Ein Zucken war nicht erkennbar, doch erst in Japan hatte die FIA klargestellt, dass eine Änderung der Fahrtrichtung beim Bremsvorgang ab sofort verboten ist.
"Der zieht komplett nach links rein, von der Ideallinie weg. Da wird Politik betrieben, die nicht nachvollziehbar ist", regte sich Marko über Vettels Fahrweise auf: "Ich habe noch nie so deutlich ein Manöver beim Anbremsen gesehen wie jenes von Vettel, der Ricciardo mehr oder minder ins Auto gefahren ist. So ein Super-Finish mit so einer idiotischen Entscheidung zu entwerten."
Einen Einspruch seitens seines Teams werde es nicht geben, sagte Marko. Allerdings hatte Red Bull einen Mitarbeiter zu den Rennkommissaren geschickt, um auf die Fehler von Vettel hinzuweisen. Die leiteten daraufhin eine Ermittlung ein.
Ricciardo nach Vettels Verteidigung sauer
"Ich glaube, Seb hat genau das gemacht, worüber sich zuletzt jeder beschwert hat", gab Ricciardo nach dem Rennen an. Vettel war einer der Wortführer, die Verstappens wiederholte Richtungswechsel beim Bremsen im Saisonverlauf wiederholt kritisiert hatten. Dass er nach dem Mexiko-GP auf dem Podium feiern konnte, wollte Ricciardo nicht wahrhaben: "Jetzt lächelt er... Keine Ahnung, aus meiner Sicht hat er es nach dem Move nicht verdient, da oben zu stehen."
Ricciardo war der Meinung, Vettel habe eine Strafe verdient. "Ich habe gesehen, dass er die Gerade in der Mitte verteidigt. Ich wollte auf die Außenbahn. Dann sah es so aus, als würde er aufmachen, also habe ich mich auf die Innenbahn festgelegt", gab der Australier die Situation wieder: "Ich hatte die Bahn und dann hat er einfach während des Bremsens immer weiter die Tür zugemacht. Ich habe meine Räder blockiert, um eine Kollision zu verhindern. Aber er hat immer weiter zugemacht. Am Ende hatte ich überhaupt keinen Platz mehr. Das hat mich frustriert."
Man solle ihn nicht falsch verstehen. Er möge hartes Racing, so Ricciardo: "Ich mag es, wenn sich jemand verbremst und sogar kleine Berührungen sind in Ordnung. Aber dieses ganze Moving under Braking macht man nur, wenn man überlistet wurde. Das hatte ich heute getan. Seb war da, er bewegte sich, ich fuhr rein, ich hatte die Schachpartie gewonnen. Und dann merkt er: 'Oh, ich habe es versemmelt und muss meinen Fehler wieder gut machen. Aus meiner Sicht ist das nicht in Ordnung."
Selbst Verstappen mischte sich ein und wandte sich an Vettel: "Ich kann das wenigstens ordentlich machen. Er weiß nicht, wie man das macht. Es ist lächerlich, was er getan hat. Daniel war schon neben ihm und hat die Tür einfach zugemacht. Sie haben sich berührt."
Vettel wird ebenfalls bestraft
Die Stewards schlossen sich letztlich den Gedanken von Red Bull an. Vettel wurde nachträglich mit einer Zehn-Sekunden-Strafe belegt und musste Platz 3 nach dem Rennen an Ricciardo abgeben. Der Deutsche landete im Klassement als Fünfter noch hinter Verstappen (4.).
"Unser Podestplatz war heute zu 100 Prozent verdient", ließ Teamchef Maurizio Arrivabene anschließend wissen: "Das gesamte Team hat echten Charakter bewiesen und die Fahrer haben einen tollen Job abgeliefert. Leider wurde uns das Ergebnis aufgrund von Bürokratie genommen. Ich finde die Entscheidung als übertrieben und ein Stück weit als unfair."
Bestrafter Verstappen wie straffreier Hamilton
Überraschenderweise stellte Riccirado nicht infrage, dass sein Teamkollege eine Strafe verdiene. "Ehrlich gesagt verstehe ich den Start nicht. Wie man in Führung liegen, sich verteidigen, die Strecke verlassen und weiter in Führung bleiben kann", spielte Ricciardo auf Rennsieger Lewis Hamilton an.
Der Weltmeister war ähnlich wie später Verstappen quer durchs Gras gefahren und hatte seine Position genauso wenig abgegeben. Bei Hamilton sahen die Stewards nicht nur von einer Strafe ab, sie leiteten nicht mal eine Untersuchung ein. "Ich glaube, Lewis hätte eine Strafe verdient gehabt. Ich glaube, jeder, der das macht, verdient eine Strafe."
Da Hamilton jedoch unbestraft blieb, sah sich Verstappen im Recht. "Es war wie das, was in der ersten Runde passiert ist. Lewis ist da von der Strecke abgekommen, hat aber keine Strafe bekommen. Das ist lächerlich", regte er sich über seine Strage auf.
Verstappen will Vettel wieder in die Schule schicken
Der Niederländer empfahl Vettel, der ihn über Funk beleidigt hatte, zurück zur Schule zu gehen, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern. "Er schreit herum und ich weiß nicht, wie oft er irgendwelche Schimpfwörter benutzt hat. Er sollte zurück in die Schule gehen. Das ist doch lächerlich. Ich werde mit ihm sprechen. Er ist immer frustriert. Einfach ein sehr frustrierter Kerl." Marko schloss sich an: "Das ist eines vierfachen Weltmeisters nicht würdig."
Sogar der oberste Regelhüter des Weltverbands blieb nicht unverschont. Weil Verstappen nicht direkt im Rennen bestraft wurde, hatte Vettel sein Team per Funk angehalten, die Sache bei Charlie Whiting anzusprechen. Als das Team ihm erklären wollte, was Whiting gesagt hatte, unterbrach der Pilot: "Hier ist eine Nachricht für Charlie: Fuck off! Fuck off!"
Vettel gab an, sich direkt nach dem Rennen bei Whiting entschuldigt zu haben. "Ich habe sofort mit ihm gesprochen, aus Respekt. Das sollte man nicht sagen. Ich verstehe aber nicht, dass man mich da in eine Ecke stellt", so der dreifache Weltmeister. Was bei dem Gespräch herausgekommen sei, wollte eine Reporterin zu Vettels Missfallen wissen: "Das geht euch nichts an!"
Lauda regt sich über Verstappen auf
Der Ferrari-Pilot war unterdessen nicht der einzige Deutsche, der ein Hühnchen mit Verstappen rupfen wollte. Auch Nico Rosberg war weniger gut auf ihn zu sprechen. Der Red Bull hatte seinen Mercedes beim Start berührt. "Da kam ein Red-Bull-Kamikaze von hinten an", sagte der WM-Führende lapidar, sprach aber gleich mehrere halsbrecherische Szenen an.
"Inakzeptal", nannte Silberpfeil-Aufsichtsratschef Niki Lauda die Fahrweise des Teenagers: "Nico war klar vorn und Verstappen rammt ihn von der Strecke. Das hätte Nico die Weltmeisterschaft kosten können. Sowas ist nicht akzeptabel. Es ist Verstappens Fehler, er fährt zu aggressiv. Irgendwann muss er das realisieren. Würde er nicht so aggressiv fahren, würde er sich viel schneller entwickeln. Sein Talent ist unglaublich, aber er zerstört alles mit solch dummen Aktionen."
Die ausgestreckte Faust in Richtung Vettel sei "die nächste Unverschämtheit" gewesen, so Lauda: "Ich weiß nicht, wo diese Arroganz herkommt. Ich verstehe es nicht. Es ist aussichtlos. Die Wut der anderen Fahrer wird größer und größer."
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