Formel 1 - Erkenntnisse zum Italien-GP: Der Gewinner heißt Max Verstappen

Christian Guinin
12. September 202121:38
Max Verstappen kollidierte beim Großen preis von Italien mit Lewis Hamilton.imago images / HochZwei
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Während Max Verstappen den Großen Preis von Italien trotz seines Ausfalls als heimlicher Sieger verlässt, macht McLaren den nächsten Schritt zu einem Top-Team. Die Strecke in Monza bietet derweil paradoxerweise ein gutes Spektakel. Die Erkenntnisse zum Italien-GP.

1. Der Gewinner heißt Max Verstappen

Vielen Formel-1-Fans wird beim Crash von Max Verstappen und Lewis Hamilton beim Großen Preis von Italien unweigerlich ein ähnlicher Vorfall aus dem Jahr 1989 ins Gedächtnis gerufen worden sein. Beim damaligen vorletzten Saisonrennen, dem Großen Preis von Japan, kollidierten die beiden McLaren-Piloten und WM-Führenden Ayrton Senna und Alain Prost.

Sieben Runden vor Rennende versuchte der an P2 liegende Senna in der berühmten Casino-Triangle-Schikane ein Überholmanöver gegen seinen Teamkollegen, Prost schmiss - mit Blick auf die WM-Wertung, welche er mit 16 Punkten anführte - jedoch die Tür zu. Beide Piloten schieden aus (Senna wurde nachträglich disqualifiziert), letztlich sicherte sich Prost vorzeitig den WM-Titel.

Von vielen Fans und Verantwortlichen aus dem Mercedes-Lager wird Verstappen nach dem heutigen Rennsonntag eine ähnliche Herangehensweise wie damals Prost vorgeworfen. Verstappen habe den Zweikampf mit Hamilton in der Variante del Rettifilo absichtlich zum Äußersten kommen lassen, um seinem Kontrahenten wichtige Punkte im Kampf um die Weltmeisterschaft zu kosten. Mercedes-Teamchef Toto Wolff sprach nach dem Rennen sogar von einem "taktischen Foul" des Niederländers.

Von purer Absicht zu sprechen, wie es von Seiten Mercedes zu vernehmen ist, ist vielleicht etwas zu hart, schließlich gehören, wie auch Verstappen später betonte, zu einem Unfall immer zwei Piloten. Zudem ließ Hamilton dem WM-Führenden bei dessen wagemutigem Manöver tatsächlich nicht sonderlich viel Platz. Wenn der Brite einen Unfall also unbedingt vermeiden hätte wollen, hätte er das gekonnt. Nur eben mit dem Nachteil des verlorenen Platzes gegenüber Verstappen.

Verstappen ging Risiko eines Crashes bewusst ein

Mit Sicherheit lässt sich aber sagen, dass Verstappen das Risiko eines möglichen Crashs bewusst einkalkulierte und akzeptierte. Er hätte die Kollision nämlich ebenfalls problemlos vermeiden können, wenn er einfach geradeaus durch die Auslaufzone gefahren wäre. Doch das wollte er augenscheinlich nicht. "Man muss sich vertrauen können", sagte er nach dem Rennen bei Sky. "Ich wollte nicht gleich den einfachen Weg nehmen, sonst bekommst du wie Checo (RB-Teamkollege Sergio Perez; Anm.d.Red.) eine Strafe. Dieses Szenario wollte ich nicht", so der Niederländer.

Schließlich war ein Sieg in Monza nach dem vermasselten Start und Boxenstopp sowie mit Hamilton vor ihm liegend in weite Ferne gerückt. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte man wichtige Punkte im WM-Kampf verloren. So aber reist Verstappen auf einer absoluten Mercedes-Lieblingsstrecke mit zwei Zählern plus im Gepäck (zweiter Platz im Sprint-Qualifying) nach Russland.

Im Nachhinein bekam Verstappen von den Rennstewards zwar noch eine 3-Platz-Grid-Strafe für das Rennen in Sotschi aufgebrummt, das dürfte ihm in Anbetracht der Umstände aber egal sein. Vor dem Wochenende war von Red Bull die Marschroute "Schadensbegrenzung betreiben" vorgegeben worden, das wurde allemal erreicht. Im Kampf um den Fahrertitel wurde der Vorsprung ausgebaut, in Sachen Konstrukteurs-WM verlor man nur wenige Zähler. Alles in allem kann man Verstappen und Red Bull, trotz eines eigentlich verkorksten Sonntags, somit ohne Frage als heimliche Gewinner des Italien-GPs 2021 bezeichnen.

2. McLaren kann 2022 ein Big-Player werden

Ja, der Sieg von Daniel Ricciardo beim Italien-GP wurde durch eine ordentliche Portion Glück begünstigt. Und ja, der Autodromo Nazionale di Monza ist für sein nicht unbedingt überholfreundliches Layout bekannt, was dem Australier ebenfalls in die Karten gespielt haben dürfte.

Und dennoch lässt sich mit Sicherheit sagen, dass der erste Doppelsieg des britischen Traditionsteams seit dem Kanada-GP 2010 (damals noch mit Lewis Hamilton und Jenson Button) keineswegs von ungefähr kam. Schon oft schnupperten die orangenen Boliden in den vergangenen Jahren an einem GP-Sieg, letztlich fehlte aber oft das letzte Quäntchen Glück oder aber das eigene Unvermögen kam dazwischen. Der Doppel-Triumph in Monza ist nun der Höhepunkt des Weges, den McLaren seit einigen Jahren konsequent geht.

Blickt man einige Jahre zurück, war dieser Weg so nicht unbedingt zu erahnen. Nach der Trennung von Partner und Motorenlieferant Mercedes im Jahr 2014 ging es mit den Leistungen des ehemals so erfolgreichen und geschichtsträchtigen Teams kontinuierlich bergab. In Erinnerung bleiben schwache Platzierungen in den WM-Wertungen sowie bitterböse Funksprüche eines Fernando Alonso, der sich das ein oder andere Mal lautstark über den schwachen Honda-Motor sowie das nicht konkurrenzfähige Chassis beschwerte.

Vorbei schienen die Zeiten, in denen große Fahrer wie Ayrton Senna, Alain Prost, Mika Häkkinen, Kimi Räikkönen, Jenson Button, Lewis Hamilton oder der eben angesprochene Alonso um Siege und Titel mitkämpfen konnten. Zwischen 2014 und 2019 fuhren die Briten keinen einzigen Podestplatz ein, 2017 setzte man einen traurigen Höhepunkt, als man die Konstrukteurswertung als neuntbestes von zehn Teams abschloss.

Daniel Ricciardo, Lando Norris und McLaren machten in dieser Saison große Fortschritte.getty

McLaren hat ein starkes Team zusammengestellt

Doch das gehört der Vergangenheit an. Seit 2019 zeigt man sich stabilisiert, die vergangene Saison beendete man zum ersten Mal seit knapp zehn Jahren wieder als einer der besten drei Rennställe in der WM-Wertung. Das liegt zum einen an einem Auto, welches sich Jahr für Jahr besser mit den Boliden der Top-Teams messen kann und zum anderen an einem, zur Saison 2019 eingetretenen, radikalen Führungswechsel. Mit dem Niederbayer Andreas Seidl als Teamchef und dem erfahrenen James Key als technischen Direktor sind absolute Fachleute nach Woking gewechselt und ordnen dort seitdem alles dem Erfolg unter.

McLaren hat sich in den vergangenen Jahren ein Team aufgebaut, welches sich in der Qualität und Kompetenz vor den Mercedes' und Red Bulls nicht verstecken braucht. In der Hybrid-Ära mag das aufgrund der großen Hypothek, die zwischen 2014 und 2017 aufgebaut wurde, für einen Angriff auf die Top-Teams noch gereicht haben, im kommenden Jahr werden die Karten aber bekanntlich neu gemischt.

Dann wird eine neue Rennwagengeneration an den Start gehen, alle zehn Teams fangen quasi wieder bei null an. Hält man sich man die gewaltigen Sprünge McLarens in kürzester Zeit vor Augen, ist ein Status als Top-Team 2022 nicht unwahrscheinlich. Hinzu kommt, dass man mit Daniel Ricciardo einen erwiesen schnellen Mann sowie mit Lando Norris einen künftigen Weltmeister-Anwärter in den beiden Cockpits sitzen hat. Mit der "Papaya-Crew" (Zitat Ricciardo) ist in der kommenden Saison zu rechnen.

3. Monza bleibt ein Paradoxon

Oft gilt in der Formel 1 die Regel: Gibt es auf einer Strecke mindestens eine lange Gerade, darf man sich auf das ein oder andere Überholmanöver freuen. Der Autodromo Nazionale di Monza ist so eine Strecke, schließlich gehört die Start-und-Zielgerade zu einer der längsten im F1-Kalender. Dennoch ist das Überholen beim Italien-GP äußerst kompliziert.

In schnellen Kurven wie etwa den beiden Lesmos, der Variante Ascari oder der letzten Kurve, der Curva Parabolica, führt die verwirbelte Luft des Vordermannes dazu, dass aerodynamischer Anpressdruck verloren geht. Das ist auf jeder Strecke ein bekanntes Phänomen, auf einem Hochgeschwindigkeitskurs wie Monza aber in extremem Ausmaß.

Durch die flach eingestellten Flügel bauen die Autos ohnehin schon wenig Anpressdruck auf. Wenn dieser dann auch noch verloren geht, ist das Fahrverhalten in den schnelleren Kurven kaum noch zu beherrschen. So ist es schwierig, an einen Gegner so nahe heranzufahren, dass man ihn ernsthaft angreifen kann. Max Verstappen und Lewis Hamilton, die den kompletten ersten Stint hinter den beiden McLaren-Piloten hinterherhingen, können ein Lied davon singen.

Nach sonderlich viel Action hört sich das nicht an. Und dennoch bot der Italien-GP mit dem Crash zwischen Verstappen und Hamilton sowie dem Doppelsieg von McLaren eines absoluten Saison-Highlights - mal wieder. Schon im vergangenen Jahr gab es in Monza ein denkwürdig chaotisches Rennen. Damals siegte AlphaTauri-Pilot Pierre Gasly, während sich Verstappen mit Motorschaden verabschiedete und Hamilton nach Safety Car und Strafe mit dem siebten Platz zufrieden geben musste.

Monza hat enge Kurven und lange Geraden

Neben der erwähnten Überholproblematik bieten Monza nämlich noch eine andere, komplette gegensätzliche Seite zu den vielen langen Geraden. Mit der Variante del Rettifilo (Kurven eins und zwei) sowie der Variante della Roggia (Kurven vier und fünf) hat der Italien-GP zwei der engsten und langsamsten S-Kurven überhaupt im Gepäck. Da diese auf längere Vollgasabschnitte folgen, sind harte Duelle, Berührungen und letztlich auch Kollisionen vorprogrammiert.

Am heutigen Sonntag war Daniel Ricciardo ein Nutznießer dieses Paradoxons: Den einerseits langen, aber überholunfreundlichen Geraden und andererseits den engen und unfall-freundlichen S-Kurven. Auch der F1-Fan profitiert von diesem Gegensatz. Denn so bietet die eigentlich so langweilige Strecke Monza doch immer einen gewissen Grad an Action.

Formel 1: Die WM-Wertung nach 14 von 22 Rennen

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull226,5*
2Lewis HamiltonMercedes221,5*
3Valtteri BottasMercedes141
4Lando NorrisMcLaren132
5Sergio PerezRed Bull118
6Charles LeclercFerrari104
7Carlos SainzFerrari97,5*
8Daniel RicciardoMcLaren83
9Pierre GaslyAlphaTauri66
10Fernando AlonsoAlpine50
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Mercedes362,5*
2Red Bull344,5*
3McLaren215
4Ferrari201,5*
5Alpine95
6AlphaTauri84
7Aston Martin59
8Williams22
9Alfa Romeo3
10Haas0

*Beim 12. WM-Lauf in Belgien wurden aufgrund der nicht vollständig absolvierten Renndistanz nur halbe Punkte vergeben.