Formel 1 - Analyse zum Aston-Martin-Erfolg beim Bahrain-GP: Kam Vettels Rücktritt ein Jahr zu früh?

Christian Guinin
06. März 202308:30
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Beim Saisonauftakt in Bahrain fährt Aston Martin in Person von Fernando Alonso einen Podiumsplatz ein und präsentiert sich als ernsthafter Herausforderer der Top-Teams. Für die Briten ist es ein entscheidender und lange vorausgeplanter Schritt auf dem ambitionierten Weg an die Weltspitze. Ärgern darf sich vor allem Sebastian Vettel.

Wer Fernando Alonso schon etwas länger verfolgt, der weiß, dass der Spanier ein offenes Buch ist. Egal ob ausschweifende Jubelergüsse oder wutentbrannte Schimpftiraden - der zweifache Weltmeister versteckt seine Emotionen äußerst ungern und nur sehr selten. Da ist es also wenig verwunderlich, dass er nach seinem dritten Platz beim F1-Saisonauftakt in Bahrain aus dem Schwärmen überhaupt nicht mehr herauskam.

"Es ist einfach surreal, das zweitbeste Auto im ersten Rennen zu haben", lobhudelte Alonso im Post-Race-Interview. "Ich hätte gedacht, es wäre unmöglich. Red Bull, Mercedes, Ferrari waren letztes Jahr in einer eigenen Liga und wir haben gedacht, es würde vielleicht zwei Jahre dauern, diese Performance zu erreichen und den Abstand zu verringern. Hier in Bahrain sieht es so aus, als hätten wir das in acht Monaten geschafft."

Und diese ungezügelte Positivität kommt nicht von ungefähr. Beim Rennen im Wüstenstaat untermauerte Aston Martin die starken Eindrücke der Testfahrten. Während man vor dem Saisonauftakt hier und da noch leise Zweifel hegte, ob die Performance der Truppe in British Racing Green tatsächlich mit der von Red Bull, Ferrari oder Mercedes mithalten könne, strafte man am Rennsonntag sämtlich Kritiker Lügen.

Nach einem etwas schwächeren Start kämpfte sich Alonso mit zunehmender Renndistanz immer besser in den Grand Prix hinein. Ab dem zweiten Stint lag seine Pace auf Augenhöhe mit den Mercedes, mit zunehmendem Reifenverschleiß wurde der Spanier dann immer stärker. George Russell, Lewis Hamilton und Carlos Sainz wurden alle nacheinander Opfer des ehemaligen Weltmeisters - in teils Weltklasse-Manier kassierte der Spanier seine Kontrahenten und schlüpfte bis auf Rang drei durch. Der starke Gesamteindruck wurde durch Teamkollege Lance Stroll unterstrichen, der trotz starker Schmerzen in beiden Handgelenken immerhin Russell knackte und seinen Boliden auf P6 abstellte.

Fernando Alonso wurde beim Bahrain-GP Dritter.getty

Formel 1: Aston Martin bedient sich bei der Konkurrenz

Doch woher kommt der plötzliche Performanceschub der Briten? Immerhin kämpfte das Team im vergangenen Jahr noch mit Konkurrenten der Hausnummer Alfa Romeo, McLaren und Alpine um Punkteplatzierungen. Von Podestplätzen oder gar Siegen wagte niemand zu sprechen. Einige Ausnahmen gab es zwar - beispielsweise den dritten Platz beim Großen Preis von Aserbaidschan 2021 -, die guten Ergebnisse waren zumeist jedoch Fehlern der Gegner und nicht unbedingt eigener Stärke zu verdanken.

Das, so scheint es zumindest, hat sich 2023 geändert. Schon als die Briten 2021 als Namensgeber des 2018 gegründeten Rennstalls Racing Point in die Formel 1 einstiegen, steckte man sich hohe Ziele. Im Rahmen eines Fünfjahresplans sollte das Team aus dem grauen Mittelfeld an die Weltspitze geführt werden. Dafür wurden in den vergangenen Jahren immense Anstrengungen unternommen, qualifiziertes Personal unter Vertrag zu nehmen. Eine wirkliche Steigerung stellte sich zunächst nicht ein, die beiden letzten Saisons schloss man lediglich auf dem siebten Platz der Konstrukteurswertung ab.

Mittlerweile scheinen die personellen Änderungen aber zu greifen. Zwei Namen, die dabei vordergründig genannt werden müssen und als Gesichter des Aufschwungs gelten, sind Eric Blandin und Dan Fallows. Ersterer stieß bereits 2021 zum Team und übernahm bei den Briten die Leitung der Aerodynamik-Abteilung. Zuvor war er in dieser Position bereits bei Mercedes tätig, in der Vergangenheit arbeitete er aber auch für die Scuderia Ferrari und Red Bull. Bei den Österreichern traf er unter anderem auf Fallows, welcher seit 2022 Technischer Leiter bei Aston Martin und damit auch der federführende Kopf hinter dem aktuellen Boliden ist.

Mike Krack ist seit 2022 Teamchef von Aston Martin.getty

Formel 1: Über 150 neue Mitarbeiter im Jahr 2021

Was auffällt: Vor allem bei Konkurrenten, die in vergangenen Jahren große Erfolge feiern konnten, wurde sich kräftig bedient. So wurden viele kluge Köpfe und Architekten der Mercedes-Dynastie, welche zwischen 2014 und 2021 die Formel 1 dominierte und acht Konstrukteurs-Weltmeisterschaften in Folge holte, auf der Suche nach einer neuen Herausforderung ins AM-Lager geholt.

Auch vom aktuellen Weltmeisterteam Red Bull warb man einige hochrangige Mitarbeiter ab, darunter Andrew Alessi, der bei Aston Martin heute für die Konstruktion, Planung, Produktion und den Betrieb der Aerodynamik-Abteilung verantwortlich ist. Über 150 neue Mitarbeiter soll man nach Angaben des ehemaligen Teamchefs Ottmar Szafnauer allein im Jahr 2021 eingestellt haben, beinahe sämtliche Führungspositionen wurden neu besetzt.

Dass diese aggressive Abwerbungsstrategie bei der Konkurrenz nicht unbedingt auf große Begeisterung stößt, dürfte jedem klar sein. Vor allem das Know-How einiger neuer AM-Mitarbeiter über die Abläufe, Prozesse und die Fahrzeugentwicklung der Big Player stellt sich als problematisch heraus, wie Red Bulls Motorsportchef Helmut Marko am Rande des Bahrain-GPs anmerkte.

"Wenn man die Autos vergleicht, dann sieht man, dass der Aston Martin dem Red Bull am ähnlichsten ist. Das hat sicher seine Gründe", entgegnete Marko auf die Frage, welchen Anteil der abgewanderte Fallows am starken Aston-Martin-Boliden habe: "Und es ist ja nicht nur Fallows zu Aston Martin gegangen, sondern auch einige andere Mittarbeiter. Und offensichtlich haben die ein gutes Gedächtnis."

Ungeachtet der Kritik scheint das Konzept des britischen Traditionsteams aber aufzugehen. Über die vergangenen Jahre hat sich Aston Martin ein konkurrenzfähiges Gesamtkonstrukt zusammengebastelt, bei dem nun alle Zahnräder ineinander zu greifen scheinen.

Helmut Marko äußerste leise Kritik an den Abwerbungs-Praktiken von Aston Martin.imago images

Formel 1: Vettel-Rücktritt sieht unvorteilhaft aus

War die Entwicklung hin zur Weltspitze also schon länger vorherzusehen? Diese Frage wird sich vermutlich auch Sebastian Vettel nach dem gestrigen Sonntag gestellt haben. Schließlich saß der Heppenheimer in den vergangenen beiden Jahren für die Briten am Steuer und leistete wichtige Entwicklungsarbeit. Sichtbare Fortschritte kamen aber nicht dabei herum.

Auch deshalb, das betonte Vettel bei seinem Abschied, habe er seine Formel-1-Karriere letztlich beendet. Die unbedingte Überzeugung an den Erfolg des AM-Projekts war bei ihm offensichtlich nicht mehr gegeben. Ein "Weiter so" im Niemandsland des Tableaus kam für Vettel nicht mehr infrage - ein Fahren nur um des Fahrens Willen. "Nach meinen Erfolgen in der Vergangenheit dürfte es nur logisch sein, dass ich gewinnen will. Davon wird also meine Zukunft abhängen", sagte er etwa im Februar 2022.

Dass von Aston Martins Seite Interesse an einer Fortsetzung der Zusammenarbeit bestand, ließ Teamchef Mike Krack einige Male durchsickern. Zu einem Umdenken sollte es aber nicht mehr kommen, im vergangenen Juli verkündete Vettel die bekannte Konsequenz. Seinen Rücktritt lässt das in der Summe natürlich nun in einem unvorteilhaften Licht erscheinen. Anstelle von Alonso könnte auch er im heutigen Aston Martin sitzen, hätte er doch nur noch ein Jahr länger abgewartet. Gleichzeitig muss man Vettel aber auch in Schutz nehmen.

Der Aufstieg der Briten hatte sich in der Vergangenheit nämlich zwar durchaus angedeutet - für ein Scheitern ist das gesamte Projekt schlichtweg zu ambitioniert - eine Garantie, vor allem für einen kurzfristigen Erfolg, gab es aber nicht. Hätte Vettel sein Karriereende hinausgezögert und wäre ein weiteres Mal am Ende des Feldes herumgegurkt, hätte man ihm das wohl in ähnlicher Weise vorwerfen können.

Sky-Experte Nico Rosberg haderte auf die Nachfrage, ob Vettel seinen Rücktritt nun bereuen würde, glaubt aber letztlich: "Er hat es so entschieden, wie es für ihn am besten war."

Auch Ralf Schumacher betonte, dass es für Vettel bei Aston Martin zuletzt auch innerhalb des Teams nicht immer so leicht gewesen wäre. Deswegen sei er sicherlich nun froh, stressfrei Zuhause bei der Familie zu sein - unabhängig der TV-Bilder eines jubelnden Fernando Alonso.

Sebastian Vettel fuhr im letzten Jahr noch für Aston Martin.getty

Formel 1: Der WM-Stand (nach 1 von 23 Rennen)

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull25
2Sergio PérezRed Bull18
3Fernando AlonsoAston Martin15
4Carlos SainzFerrari12
5Lewis HamiltonMercedes10
6Lance StrollAston Martin8
7George RussellMercedes6
8Valtteri BottasAlfa Romeo4
9Pierre GaslyAlpine2
10Alexander AlbonWilliams1
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Red Bull43
2Aston Martin23
3Mercedes16
4Ferrari12
5Alfa Romeo4
6Alpine2
7Williams1
8AlphaTauri0
9Haas0
10McLaren0