Die Scuderia Ferrari hat vor dem Großen Preis von Deutschland (alle Sessions im LIVETICKER) mit James Allison ihr technisches Oberhaupt verloren. Der Rennstall von Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen hinkt hinter den Erwartungen zurück, die Gründe sind vielfältig. Die Lösung soll intern erfolgen, dabei ist die offensichtliche Lösung ganz nah.
Ungarn, 24. Juli 2016: Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene holt zum Rundumschlag aus. Die Gerüchte um den bevorstehenden Abschied von Technikdirektor James Allison störten den Scuderia-Leiter.
"Vor zwei Monaten hieß es, dass ich das Team verlassen und James meine Position übernehmen soll. Jetzt heißt es, James soll gehen und ich seine Position übernehmen. Vielleicht kommt er ja zurück und übernimmt meine Position", sagte Arrivabene und wandte sich direkt an die Journalisten: "Es würde mich nicht überraschen, wenn die Gerüchte von denen gestreut werden, die ein Interesse daran haben, bei uns großes Durcheinander zu stiften. Solche Gerüchte helfen uns als Team überhaupt nicht. Lasst uns bitte einfach in Frieden arbeiten!"
Schon am Donnerstag hatte sich Sebastian Vettel beschwert. Er kritisierte ähnlich heftig die Medienvertreter. "Er ist unser Technischer Direktor und als solcher verantwortlich für die wichtigsten Dinge", stellte der vierfache Weltmeister bezüglich Allison klar. Die Scuderia könne über die Berichte "nur lachen": "Wir sollten mehr wissen." Taten sie aber nicht.
James Allison verlässt Ferrari
Nur sechs Tage nach Vettels Klarstellung, nur drei Tage nach Arrivabenes Medienschelte gab die Scuderia offiziell bekannt: James Allison verlässt Ferrari.
Drei Jahre dauerte der zweite Aufenthalt des Briten in Maranello. Drei Jahre voller Enttäuschungen.
Bei der Einführung des neuen Hybridreglements zur Saison 2014 war ausgerechnet der Antrieb der stolzen Sportwagenschmiede nicht konkurrenzfähig. Ein Kraftakt folgte, um die Power-Unit auf Mercedes-Niveau zu hieven. Doch aerodynamisch kommt das Auto noch immer nicht an die Konkurrenz heran.
Ist das der Grund für Allisons Abschied - die fehlende Wettbewerbsfähigkeit? Oder braucht der Familienvater nach dem plötzlichen Tod seiner Ehefrau einfach Zeit, um sich um seine Kinder zu kümmern?
Allison in der Formel 1: Erfolg, Erfolg, Erfolg
Welcher Grund auch hinter der Trennung steckt, er wirft Ferrari zurück. Denn Allison ist kein einfacher Ingenieur.
Schon in seiner Kindheit wurde der heute 48-Jährige von seinem Vater auf die moderne Formel 1 vorbereitet. Der Vier-Sterne-General der britischen Luftwaffe restaurierte in der Freizeit alte Autos und Flugzeuge. Klein-James studierte Maschinenbau in Cambridge und spezialisierte sich auf Aerodynamik.
Sein erster Job: Aerodynamiker bei Benetton. In den Jahren 2000 bis 2005 gehörte Allison der Scuderia erstmals an, je vier Konstrukteurs- und Fahrerweltmeisterschaften sprangen heraus. Anschließend ging er wieder nach Enstone, aus Benetton war Renault F1 geworden, Allison wurde stellvertretender Technikdirektor und war ab 2009 schließlich hauptverantwortlich. Er führte Lotus an die Spitze, bevor er 2013 als Chassisverantwortlicher nach Maranello zurückkehrte und schnell wieder zum Technikdirektor umgewandelt wurde.
Allison ist ein Allrounder, der Ferraris Einzelabteilungen zu einem großen Ganzen zusammenfügen sollte. Nur hat das nicht geklappt.
Räikkönen ohrfeigt Allison verbal
Was Kimi Räikkönen in Silverstone äußerte, war eine Ohrfeige für den Briten. "Uns fehlt Abtrieb. Auf einer Strecke wie dieser ist es deshalb nicht gerade nicht einfach", so der Iceman: "Ich bin sicher, die nächsten Kurse sind normaler für uns. Aber Downforce würde überall helfen. Sie ist das, was wir für jede Streckenart brauchen. Das soll nicht heißen, wir könnten andere Bereiche nicht verbessern - jeder Bereich kann verbessert werden. Aber Downforce ist das größte Problem." Allison, der studierte Aerodynamiker, nicht fähig, ein abtriebsstarkes Auto bauen zu lassen.
Ist die Antwort auf Ferraris Probleme wirklich so einfach? Wohl kaum.
Ferrari hat es schon Jahre vor James Allisons zweiter Amtszeit in Maranello geschafft, bei der Chassis-Entwicklung den Anschluss zu verlieren. Red Bull und McLaren sind der Scuderia enteilt. Selbst Mercedes ist vorbeigezogen.
Der SF16-T ist verglichen mit der Konkurrenz aber schlechter auf einer Runde als das Vorjahresauto. Ferrari hat nicht nur ein aerodynamisches Problem, auch die Reifen bekommen Räikkönen und Vettel nicht ordentlich aufgeheizt. Das Auto arbeitet nur in einem kleinen Temperaturfenster bei Hitze so, wie es gewünscht ist. Dazu baut die Strategie-Abteilung noch immer gerne Fehler ein.
Kurzum: Es krankt an allen Ecken. Nur der Antrieb scheint in Ordnung.
Mario Binotti: Die interne Lösung
Kein Wunder, dass Mattia Binotto die Aufgaben übernimmt, die bisher Allison hatte. Seit 1995 dient er der Scuderia, erst als Ingenieur im Testteam, später im Rennteam, mit Ausnahme einer kurzen Stippvisite als Renningenieur immer in der Motorenabteilung.
Binotti zeichnete verantwortlich für die Verbesserung der Power Unit seit dem Fehlschlag der Saison 2014. Sein erfolgreiches Projektmanagement soll er nun auf alle Abteilungen des Teams anwenden.
Doch funktioniert dieser Plan? "Ich denke, wir haben die richtigen Leute an Bord", sagt Vettel: "Die Dinge entwickeln sich in die richtige Richtung. Jetzt gibt es eine große Änderung, aber das beeinflusst die zukünftige Arbeit nicht."
Vettels Worte klingen immer gleich, seitdem er sich der Scuderia angeschlossen hat. Nur geht es wirklich nach vorn?
Zwei Siege in den ersten zehn Rennen der Saison 2015, keiner in der Saison 2016. Dazu die größer gewordene Lücke zu Mercedes, der deutliche Rückschritt im Vergleich zu Red Bull. "Wir arbeiten schon voll am Auto für 2017, aber das tut wohl jeder", so Vettel und meint damit das Design-Team unter Simone Resta.
Ferrari braucht aerodynamischen Durchbruch
Ferrari braucht einen Befreiungsschlag. Die Bedeutung der Aerodynamik steigt zur neuen Saison weiter an, McLaren wird dank Hondas Fortschritten immer besser, auch Renault holt weiter auf.
Es droht nicht nur der Verlust von Rang zwei in der Konstrukteurshackordnung. Läuft es richtig schlecht, könnte die Scuderia sogar auf Rang 6 zurückfallen.
Denn nur 100 Kilometer von Maranello treibt ein Mann sein Unwesen, der eigentlich perfekt zur Scuderia passen würde: James Key.
James Key würde Ferraris Probleme lösen
Der 44 Jahre alte Brite stieg bei Jordan in die Formel 1 ein und wurde nach der Übernahme durch Midland blutjung zum Technikdirektor. Unter seiner Leitung baute die Truppe in Silverstone nach dem neuerlichen Verkauf an Vijay Mallya den Force India, mit dem Giancarlo Fisichella beim Belgien-GP erst auf die Pole-Position und dann auf Platz 2 fuhr.
Eine Eintagsfliege? Bei weitem nicht. Bei Sauber löste Key im April 2010 BMW-Mann Willy Rampf ab, binnen zwei Jahren fuhren die Schweizer wieder aufs Podium. Seit September 2012 ist Key bei Toro Rosso angestellt. Schon in der Saison 2015 fuhr Max Verstappen das Auto zweimal auf Rang 4, zuvor war der Truppe aus Faenza seit dem Jahr 2008 kein Top-5-Resultat mehr gelungen.
Die einzige Frage: Will Key, der für einen Wechsel zu Ferrari nicht mal umziehen müsste, sich das Mammutprojekt in Rot überhaupt antun? Toro Rosso fährt aktuell mit den Vorjahresmotoren der Scuderia. Zur Saison 2017 bekommt der Rennstall wie das Mutterteam, Red Bull Racing, neue Renault-Aggregate.
Toro Rosso kann somit abermals auf sämtliche mit der Power Unit zusammenhängenden Teile zurückgreifen, die Red Bull in Milton Keynes entwickelt. Es könnte für Key im Vergleich zu Ferrari der einfachere Weg sein, um ein wirkliches Topauto zu produzieren.
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