Regen? Das stand in der Formel 1 mal für Spannung. Für Action. Für Unvorhersehbares. Für die spannendsten Rennen überhaupt.
Es zeigte sich, wer wirklich fahren kann, wer die Autos unter schwierigsten Bedingungen unter Kontrolle hält. Mit Geschick und Glück konnten sich auch diejenigen Piloten ins Rampenlicht fahren, die aufgrund ihres unterlegenen Autos sonst keine Chance hatten. Wie Stefan Bellof in Monaco.
Welcher Formel-1-Fan erinnert sich nicht gerne an den Beginn des Großen Preises von Malaysia 2001, als die Fahrer reihenweise von der Strecke rutschten und allesamt zum Reifenwechsel mussten? Oder an den Großen Preis von Deutschland 2007, den Ersatzfahrer Markus Winkelhock bei seinem Debüt im unterlegenen Spyker zwischenzeitig anführte, weil er als Einziger auf Full Wets ins Rennen ging?
Uneinigkeit über Safety-Car-Start
Solche Regenrennen scheinen mittlerweile der Geschichte anzugehören. Denn: Sobald die Strecke vor dem Start so nass ist, dass Full Wets aufgezogen werden müssen, ruft die Rennleitung das Safety Car auf die Strecke. Echtes Racing ist dann nicht mehr möglich.
Zwei Rennen fanden in dieser Saison zu Beginn bei Nässe statt: Sowohl in Monaco als auch in Silverstone entschied Renndirektor Charlie Whiting, das Fahrerfeld hinter dem Safety Car loszuschicken. Erst acht Mal gab es dieses Szenario zuvor in der Formel-1-Geschichte überhaupt.
Für den Großbritannien-GP war das die richtige Entscheidung, meinte die Vielzahl der Fahrer. "Das war definitiv ein Safety-Car-Start. Es war super nass und es stand viel Wasser", sagte McLaren-Pilot Jenson Button. Auch Sebastian Vettel und Carlos Sainz Jr. stimmten zu: "Der Start musste hinter dem Safety Car stattfinden, weil du sonst im Mittelfeld nichts siehst."
Hamilton kritisiert SC-Start
Einzig Lewis Hamilton war anderer Meinung. "Wir hätten ganz normal aus der Startaufstellung starten können. Es gab ein paar Pfützen, das wäre tricky geworden. Aber genau darum geht es doch beim Rennfahren", sagte der spätere Sieger und erinnerte sich an die Vergangenheit: "2008 war mehr Wasser auf der Strecke und wir sind aus der Startaufstellung losgefahren."
Neben dem Safety-Car-Start sorgte vor allem die lange Schleichfahrt hinter Safety-Car-Pilot Bernd Mayländer für großes Unverständnis. Fünf Runden blieb der ehemalige DTM-Pilot draußen. Das Bild dabei war skurril: Die Sonne schien, stellenweise war der Asphalt ganz und gar trocken.
"Nach ein oder zwei Runden war ich bereit zum Racing", meinte Red-Bull-Youngster Max Verstappen. Button klagte: "Das Safety Car hätte zwei Runden früher reinkommen müssen."
"Das sind keine Touristen!"
Die Situation erinnerte an den Monaco-GP Ende Mai. Damals kehrte das Safety Car sogar erst nach sieben Runden zurück in die Boxengasse, die Kritik war riesig. "Das ist lächerlich!", polterte Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve damals bei Motorsport-Magazin.com: "Das sind keine Touristen, sondern die bestbezahlten Rennfahrer der Welt."
Sky-Experte Marc Surer wunderte sich mitten in der Safety-Car-Phase: "Noch mehr Runden? Ich weiß nicht, worauf die warten. Wollen sie warten, bis die Strecke trocken ist? Ich verstehe das nicht. Das ist kein Racing."
Es scheint, als wollten die Verantwortlichen mit der Freigabe des Rennens immer so lange warten, bis die Strecke das meiste Wasser verloren hat. Bis also die Intermediates ohne großes Risiko aufgeschnallt werden können. Da stellt sich die Frage: Wozu gibt es eigentlich noch den richtige Regenreifen?
Sowohl in Monaco als auch in Silverstone kamen einige Fahrer direkt mit zum Restart in die Box, um auf den profilärmeren Pirelli-Satz zu wechseln - und fuhren gleich die schnellsten Rundenzeiten.
Ist der Vollregenreifen zu schlecht?
Vettel macht jedoch nicht die Rennleitung dafür verantwortlich, sondern den Reifenhersteller. "Was kritisiert werden muss, ist, dass niemand wirkliches Vertrauen in die Full Wets hat", sagte der Heppenheimer: "Man muss viel Risiko eingehen und auf die Intermediates wechseln, auch wenn es am Anfang noch Aquaplaning gibt. Denn die sind einfach schneller. Der Full Wet ist nur gut genug, um dem Safety Car zu folgen."
Den Zuschauern eine mehrere Runden andauernde - nicht unbedingt notwendige - Schleichfahrt zu liefern, statt pure Rennaction zu bieten, wirkt sich negativ auf das Image der angeschlagenen Königsklasse aus. "Solche Sachen helfen nicht, den Fanrücklauf zu verhindern, weil die Fahrer nicht wie Gladiatoren, sondern schwach aussehen", meint Villeneuve.
Bianchi als Damoklesschwert
Und doch: Charlie Whiting und Co. sind in einer Zwickmühle. Manch einer würde sogar sagen, ihnen sind die Hände gebunden. Seit dem schweren Unfall von Jules Bianchi beim Großen Preis von Japan 2014 hängt das Thema Sicherheit wie ein Damoklesschwert über den FIA-Verantwortlichen.
Trotz regennasser Fahrbahn brach die Rennleitung das Geschehen damals nicht ab. Bianchi raste in ein Bergungsfahrzeug und fügte sich schwerste Kopfverletzungen zu. Nach neun Monaten im Koma starb der talentierte Franzose. Die Familie gab mittlerweile bekannt, rechtliche Schritte gegen die FIA einleiten zu wollen.
Die Offiziellen sind also gebrandmarkt. Ein ähnlich verheerender Unfall muss unter allen Umständen vermieden werden. Ob es jedoch sinnvoll ist, den vermeintlich besten Fahrern der Welt kein Fahren bei Nässe zuzutrauen und den Begriff des Regenrennens ad absurdum zu führen? Die Kritik an Whitings Vorsicht wird es auch in Zukunft geben.
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