Die Meldung trudelt am Donnerstagvormittag ein: Felipe Massa und Claire Williams, stellvertretende Teamchefin des gleichnamigen Teams, laden zu einer Pressekonferenz um 13.45 Uhr ein. Das kann nur eines bedeuten, da sind sich alle Medien sicher: Der Brasilianer wird seine Formel-1-Karriere nach 15 Jahren beenden.
Dem Umstand entsprechend schnell füllt sich das Williams-Motorhome mit Reportern und Fotografen. Auch die Familie des 35-Jährigen findet sich in den Raum ein, sitzt sogar in der ersten Reihe.
Dann, pünktlich am Nachmittag, fängt ein sichtlich bewegter Massa an zu sprechen. "Nachdem ich vor 27 Jahren mit dem Kartfahren angefangen habe und nach 15 Jahren in der Formel 1, wird das meine letzte Saison werden. Es werden meine letzten acht Rennen werden", sagt er: "Ich danke jedem, der mich durch meine Karriere begleitet hat."
Damit ist das, was seit Monaten in den Medien immer wieder spekuliert wurde, nun also Gewissheit. Nach dann 250 GP-Starts macht Massa Schluss. Der Große Preis von Abu Dhabi Ende November wird das letzte Formel-1-Rennen des sympathischen Südamerikaners sein.
Schumacher "wie ein Lehrer"
"Es war uns eine Ehre, die vergangenen drei Jahre mit Felipe zusammenzuarbeiten und es wird traurig werden, wenn er geht", dankte Claire Williams dem scheidenden Piloten: "Er kam zu uns in einer Zeit, als bei uns große Veränderungen vollzogen wurden, und sein Talent, seine Erfahrung und sein Enthusiasmus waren wichtige Faktoren bei der Entwicklung des Teams."
Massa, der für die Saison 2017 noch nicht vom Team bestätigt war, machte sich die Entscheidung nicht leicht. "In den vergangenen Monaten habe ich viel über meine Zukunft nachgedacht", verriet der Mann mit der Startnummer 19.
Dass er ausgerechnet in Monza sein Karriereende bekanntgab, war dabei kein Zufall. "Vor zehn Jahren hat ein Fahrer ebenfalls seinen Rücktritt in Monza bekanntgegeben. Und der hatte einen größeren Einfluss auf meine Karriere als jeder andere: Michael Schumacher."
Der Rekordweltmeister war 2006 Massas Teamkollege, als dieser von Sauber zu Ferrari wechselte. Es entwickelte sich eine enge Beziehung zwischen den beiden Fahrern. Der Kerpener galt als Massas Mentor, war für ihn "wie ein Lehrer".
Acht Jahre Ferrari
"Wir stehen uns sehr nahe und ich zähle ihn zu meinen Freunden. Ich verbinde viele schöne Erinnerungen mit ihm. Es schmerzt mich, dass er nicht mehr dabei ist. Er fehlt mir sehr", zeigte sich Massa nach Schumachers verheerenden Ski-Unfall tief bestürzt.
Indirekt hatte Schumacher seinem damaligen Stallgefährten sogar den Verbleib bei Ferrari gerettet. Weil der Deutsche seine Karriere nach der Saison 2006 beendete, wurde das Cockpit, für das Kimi Räikkönen vorgesehen war, bei der Scuderia frei. Massa durfte den Italienern somit treu bleiben - und tat das dann für ganze acht Jahre.
Zuvor ging Massa für Sauber an den Start. Nach seinem Debüt 2002 kehrte er nach einer Saison als Ferrari-Testfahrer zu den Schweizern zurück. In den folgenden Jahren zeigte er neben Teamkollegen wie Nick Heidfeld und Giancarlo Fisichella sein Talent und empfahl sich endgültig für das Traditionsteam aus Maranello.
Der 30-Sekunden-Weltmeister
Bei den Roten erlebte Massa eine Zeit, die von Höhen und Tiefen geprägt war. Eine Zeit, in der er elf Siege feiern durfte und gleichzeitig den bittersten Moment seiner Karriere verkraften musste. Der Moment, in dem Massa bereits für 30 Sekunden Weltmeister war - ehe ihm Lewis Hamilton mit einem Überholmanöver in der letzten Kurve gegen Timo Glock den Titel doch noch entriss.
Die anschließenden Szenen auf dem Siegerpodest sind bis heute unvergessen: Massa, der erster brasilianischer Champion seit Ayrton Senna hätte werden können, lässt sich unter Tränen von den heimischen Fans feiern, schlägt sich auf die Brust und zeigt damit die Emotionen, die den Sport so einzigartig machen.
Noch heute scheint Massa nicht über diese Niederlage hinweg gekommen zu sein. Als den schlimmsten Moment in seiner Karriere bezeichnete er jetzt das Crash-Gate vom Singapur-GP 2008.
Durch den absichtlichen Unfall von Nelson Piquet Jr. verlor Massa das Nachtrennen auf dramatische Art und Weise: In Führung liegend musste er durch das heraufbeschworene Safety Car unplanmäßig an die Box, riss beim Stopp den Tankschlauch mit und fiel so ans Ende des Feldes zurück. "Ohne diesen Vorfall wäre ich wohl Weltmeister geworden", ist sich Massa sicher.
Eine Feder kostet fast das Leben
Den größten Cut in seiner Laufbahn erlebte der Mann aus Sao Paulo aber wohl erst ein Dreivierteljahr später - ausgelöst durch eine Feder. Im Qualifying zum Ungarn-GP 2009 löste sich bei Rubens Barrichello das 800 Gramm schwere Metallteil und traf Massa bei Tempo 240 km/h mit voller Wucht am Kopf.
Der Vater eines Sohnes wurde sofort bewusstlos und raste in die Reifenstapel. Ein komplett geschwollenes Auge, ein Schnitt an der Stirn sowie eine Schädelfraktur und eine Gehirnerschütterung waren die Folgen. Dem Tod ist er nur knapp entkommen.
Alonso, der Feind im eigenen Stall
Massa musste den Rest der Saison aussetzen und bekam 2010 einen Teamkollegen vor die Nase gesetzt, der ihm viel Kummer bereiten sollte: Fernando Alonso. Mit dem Spanier hat er seitdem eine schwierige Beziehung. "Er stand im Mittelpunkt, nicht ich. Vorher war das kein Problem. Mit Kimi habe ich auf Augenhöhe gearbeitet und das Team hat auf uns beide gehört", erzählte Massa der Sport Bild im Nachhinein.
Dass der damalige Teamchef Stefano Domenicali den Fokus auf Alonso richtete, war ersichtlich. Höhepunkt dieser Bevorteilung war die zum damaligen Zeitpunkt verbotene Teamorder beim Deutschland-GP 2010 in Hockenheim.
Vor Alonso in Führung liegend bekam Massa von seinem damaligen Renningenieur Rob Smedley den vielsagenden Funkspruch "Fernando ist schneller als du. Kannst du bestätigen, dass du diese Nachricht verstanden hast?". Eine Runde später ging Massa vom Gas und ließ seinen Konkurrenten vorbei. Eine Schmach, die ihm den zwölften Sieg verwehrte.
"Als hätte ich Gold gewonnen"
"Ich genieße hier bei Williams viel Respekt, habe das Gefühl, dass die Leute auf mich hören. Ich fühle mich wichtig. Das Gefühl hatte ich bei Ferrari nicht mehr", beschrieb Massa die Stimmung bei dem englischen Traditionsteam, zu dem er 2014 wechselte und für das er bislang vier Podestplätze einfahren konnte - zuletzt vor genau einem Jahr in Monza.
Ob in den letzten acht Rennen nochmal ein ähnlicher Erfolg herausspringt, ist fraglich. Zu stark sind die Mercedes, Red Bulls und Ferraris aktuell. Seinen Abschied vermiesen lassen will sich der gewohnt emotionale Massa davon aber nicht: "Ich werde versuchen, die Rennen zu genießen. Es ist nun aber einfach Zeit zu gehen. Und ich will es noch erhobenen Hauptes tun. Ich fühle mich stark. Wenn ich jetzt noch mehr sage, muss ich anfangen zu heulen."
Den Kollegen wird Massa jedenfalls fehlen. "Wir werden ihn hier vermissen", sagte Sebastian Vettel: "Ich wünsche ihm alles Gute für die Zukunft. Er ist nicht nur ein toller Rennfahrer, er ist auch ein toller Kerl." Stallgefährte Räikkönen schloss sich an: "Es ist natürlich schade, dass er geht. Wir hatten eine gute Beziehung zueinander, als wir im gleichen Team waren."
Wenn Massa auch der ganz große Triumph verwehrt blieb, er blickt dennoch glücklich auf seine Karriere zurück: "Sie hat mir mehr gegeben als ich erwartet hatte. Es ist, als hätte ich die Goldmedaille gewonnen."
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