Einfach und unfehlbar

Benedikt TreuerAdrian Fink
10. Januar 201600:04
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In Deutschland und vielen anderen Ländern ist der Fußball die populärste und am meisten diskutierte Sportart. Das ist auch bei SPOX so. Doch in Zeiten von Hawkeye und Milliarden-Verträgen gibt es noch immer zu viele Aufreger, die für Zuschauer und Beteiligte mehr Ärger als Freude bedeuten. Im SPOX-Wunschkonzert beleuchten wir zwei Aspekte, die den Fußball womöglich interessanter, zeitgemäßer und einfach besser machen könnten - zwei andere Sportarten liefern die Vorlage.

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Hand ist Hand? Schön wär's!

Von Benedikt Treuer

Leon Andreasen sei Dank! Die Bundesliga-Vorrunde zeigte einmal mehr, dass es sie wirklich gibt: eindeutige Handspiele im Fußball. Mit einem perfekten Unterarm-Bagger und einem der klarsten Handtore der Bundesliga-Geschichte schenkte der Hannoveraner im Oktober seinem Team in Köln den wichtigen 1:0-Auswärtserfolg.

Dass Schiedsrichter Bastian Dankert und seine Kollegen die Situation aber gar nicht sahen und entsprechend auch nicht bewerteten, war fast genauso blöd wie die Tatsache, dass bei Handspielen selten so eine Klarheit vorliegt wie im Fall Andreasen.

Selbst im gleichen Spiel hatte es zuvor schon so eine knifflige Szene gegeben: Pawel Olkowskis Flanke lenkte Christian Schulz im Strafraum mit der Hand ab - auch wenn sich der 96-Kapitän vom Ball wegdrehte: Manch ein Schiedsrichter hat schon für weniger gepfiffen. Dankerts Pfeife blieb stumm. "Konsequente Linie", könnte man sagen.

Leidige Diskussion von großem Ausmaß

Was aber, wenn ein Pfiff viel weitreichendere Auswirkungen hat? So, wie im Relegationsspiel zwischen dem KSC und dem HSV im Sommer: Jonas Meffert bekam einen Schuss von Slobodan Rajkovic aus kurzer Distanz wenige Zentimeter vor der Strafraumgrenze an den Ellenbogen.

Der Karlsruher hatte seinen Arm angewinkelt und sich leicht weggedreht. Schiedsrichter Manuel Gräfe entschied dennoch auf Freistoß - in der 90. Minute praktisch die letzte Chance für den HSV, doch noch den Ausgleich zu erzielen und damit den Abstieg zu verhindern.

Marcelo Diaz' Fortsetzung der Geschichte ist hinlänglich bekannt. Wie gesagt: Es war nur ein Pfiff. Aber ein Pfiff, der in seiner Konsequenz die Arbeit einer ganzen Saison zunichtemachte. Und es wurde diskutiert, viel diskutiert. Wer Recht hat, ist jedoch schwer zu sagen. Dabei gibt es doch eigentlich ein Regelwerk.

FIFA-Regelwerk: Mehr Fragen als Antworten

Laut FIFA-Statuten liegt ein Handspiel vor, wenn der Spieler den Ball mit der Hand oder dem Arm absichtlich berührt. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Ball die vorgesehene Flugrichtung verändert oder ein gegnerischer Spieler dadurch nicht in Ballbesitz gelangt. Einzig und allein die Absicht ist entscheidend.

Stuft der Schiedsrichter die Bewegung als unabsichtlich ein, kann er sie auch nicht bestrafen. Die FIFA sagt, der Unparteiische soll auf eine Bewegung der Hand zum Ball achten und nicht umgekehrt. Auch die Entfernung zwischen Spieler und Ball sei zu beachten. Der Schiedsrichter muss also auch beurteilen, ob der Spieler überhaupt eine Chance hatte, dem Ball auszuweichen.

Vor der Saison 2011/12 gab die FIFA eine neue Leitlinie an die nationalen Verbände weiter, die die Entscheidungsfindung um eine neue Definition bereicherte. Demnach wird bei der "Vergrößerung der Körperfläche" gepfiffen. Dann spiele es auch keine Rolle, aus welcher Distanz der Schuss abgegeben wurde - wie so oft erschwert eine vermeintlich verbesserte Fassung des Regelwerks den Schiedsrichtern ihre Arbeit zusätzlich, denn viele Ermessensentscheidungen können gänzlich unterschiedlich ausgelegt werden.

Wie stellt man eine "unnatürliche Handbewegung" beziehungsweise eine "fußballtypische Körperhaltung" fest? Woher weiß der Schiedsrichter, ob der Spieler "den Kontakt zwischen Ball und Hand vorhersehen" kann oder nicht? Es gibt in fast jeder Situation einfach zu viele Faktoren, die für oder gegen eine Absicht sprechen können, sodass die Ursache eines Handspiels kaum einheitlich bewertet werden kann.

Das Vorbild heißt Hockey

Dabei könnte alles so viel einfacher sein - für den Schiedsrichter, die Spieler und letztlich auch die Fans. Wie es sinnvoll und unmissverständlich funktioniert, und das auch ohne Murren, zeigt schließlich der Hockeysport.

Dort ist eine Berührung des Balls mit dem Fuß ein Fehler, ganz egal, ob es Absicht war oder nicht. Große Diskussionen gibt es keine, die Regel wird nicht hinterfragt. Sie wird von allen akzeptiert und umgesetzt.

Dass man wohl keine Ideallösung finden kann, scheint klar. Es wird immer Interpretations- und Entscheidungsspielräume geben, die womöglich in diverse Richtungen ausgelegt werden können. In Sachen Einfachheit, Verständlichkeit und Angreifbarkeit macht eine Anpassung der Handregel im Fußball - in Anlehnung an die Hockeyregeln - aber auf jeden Fall Sinn. Der Grundsatz sollte sein, die Regeln nicht komplizierter als notwendig zu gestalten. SPOX

Hand ist Hand? Schön wär's!

Natürlich hätte solch eine Regelanpassung im Weltsport Fußball große Diskussionen zur Folge. Immerhin würde man den Aspekt "Unabsichtlichkeit" mit dieser Entscheidung gänzlich ausklammern. Und doch würde man feststellen: Es ist wohl der einzige Wermutstropfen, den diese Änderung mit sich trüge. Skepsis und Kritik würden daher schnell abebben.

Denn gerade in Fällen, in denen ein Pfiff zukunftsweisende Konsequenzen für die Beteiligten hat, würde sich die Vereinfachung der Handregel auszahlen. Die Schiedsrichter müssten ihre Bewertung nur noch auf einer Ebene vornehmen: Handkontakt oder nicht? Absicht zu beurteilen, ist deutlich schwieriger, als eine Berührung wahrzunehmen, die man in Zweifelsfällen spätestens mit einem Videobeweis feststellen könnte.

Bis man diese Überlegung ernsthaft im Weltverband anstellt, werden weiterhin deutlich mehr falsche oder nicht klar auslegbare Schiedsrichterentscheidungen getroffen werden - mit verärgerten Benachteiligten und Profiteuren, die den Erfolg nur mit Beigeschmack genießen können. Handspiel ist Handspiel? Schön wär's, wenn es so einfach wäre.

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Videobeweis für mehr Klarheit!

Von Adrian Fink

Es ist einer der größten Skandale der jüngeren Bundesliga-Geschichte: Die Ecke kommt herein, Stefan Kießling köpft daneben, durch ein Loch im Netz landet der Ball aber im Tor und Dr. Felix Brych zeigt zur Mitte. Die Liga hat ihr nächstes Phantomtor. Doch anders als noch bei den irregulären Treffern von Thomas Helmer 1994 oder Arne Larsen Okland 1981 wäre Kießlings Phantomtor 2013 absolut vermeidbar gewesen. Denn die Technologie des 21. Jahrhunderts offenbart neue Möglichkeiten als noch vor 20 Jahren.

So ist der Videobeweis bei vielen anderen Sportarten wie zum Beispiel beim Football, Basketball, Baseball, Feldhockey, Eishockey, Fechten, Tennis oder etwa Rugby längst gang und gäbe. Besonders beim Rugby hat sich der Einsatz der technischen Hilfsmittel zum essentiellen Bestandteil des Spiels entwickelt.

"Anfangs durften die Schiedsrichter nur nachschauen, ob ein Try erfolgreich war oder nicht. Mittlerweile wurden die Möglichkeiten erweitert und die Referees dürfen bei strittigen Situationen überprüfen lassen, ob es ein Foul war oder nicht", erklärt der deutsche Rugby-Bundestrainer Frederik Potgieter gegenüber SPOX.

"Glaube, Videobeweis wäre nächster Schritt"

Als Team- und Ballsportart kann Rugby mit seiner entfernten Ähnlichkeit in Sachen Dynamik und Geschwindigkeit dem Fußball in diesem Fall als Vorbild dienen. Denn auch beim Rugby gab es - wie beim Fußball heute - Gegenstimmen, die befürchteten, dass der Fluss des Spiels verloren gehen könnte. "Heute sehen die meisten Leute aber den Vorteil der Technologie", so Potgieter, der anfügt: "Allerdings ist es beim Rugby einfacher, weil die Beteiligten generell offener gegenüber Dingen sind, die das Spiel verändern."

Konkret meint der Südafrikaner den Weltverband World Rugby, der den Videobeweis trotz des Gegenwinds durchgeprügelt hat. Nach der Einführung wurde das System Schritt für Schritt getestet, bis es vor ein paar Monaten sogar bei der WM in England eingesetzt wurde. Potgieter sieht den Verband in der Pflicht: "Wenn man jeden fragt, bekommt man 1000 Meinungen. Es ist wichtig, dass eine Instanz die Verantwortung übernimmt. Beim Fußball müsste die FIFA diese Rolle einnehmen."

Dem 34-Jährigen zufolge würde der Videobeweis den Schiedsrichter aus dem Fadenkreuz nehmen. "Es gibt ja bereits die Torlinientechnik. Ich glaube, der Videobeweis wäre der nächste Schritt und erleichtert dem Schiedsrichter die Aufgabe, da er bei wichtigen Szenen nachfragen kann."

Großer Zuspruch von den Fans

Während sich die Unparteiischen beim Fußball regelmäßig heftigster Kritik ausgesetzt sehen, werden die Referees beim Rugby mit größtem Respekt und Akzeptanz behandelt. Beleidigungen oder öffentliche Schuldzuweisungen sind ein No-Go. Kein Wunder, dass sich Herbert Fandel, Vorsitzender der DFB-Schiedsrichter-Kommission, für die Einführung ausgesprochen hat.

Zumindest hierzulande erfährt die Idee auch bei den Anhängern großen Zuspruch: Eine überwältigende Mehrheit der deutschen Fans von knapp 84 Prozent hat sich für den Videobeweis in der Bundesliga ausgesprochen. Das ergab eine Umfrage des unabhängigen Marktforschungsunternehmens SLC Management.

Bei all der Freude über die neu gewonnenen Möglichkeiten ist es allerdings wichtig, dass das technische Hilfsmittel nicht inflationär herangezogen wird. "Wie beim Rugby geht es darum, die richtige Balance zu finden, sonst dauert das Spiel zu lange", weiß Potgieter. Beim oben genannten Beispiel hätte der Videobeweis den Spielfluss allerdings sogar beschleunigt. Denn statt minutenlanger Hoffenheimer Proteste hätte ein Video-Schiedsrichter die Situation in wenigen Sekunden klären können.

Spielfluss kaum gestört

Um die Spielzeit generell nicht unnötig in die Länge zu ziehen, muss es klare Vorgaben geben, wann der Videobeweis eingefordert werden kann. Einerseits sollte nicht nur der Schiedsrichter Anspruch auf die Technologie, sondern auch beide Trainer eine gewisse Anzahl von Challenges zur Verfügung haben. Andererseits dürfen aber keinesfalls triviale Entscheidungen, die einen Einwurf oder Eckball zur Folge haben, überprüft werden. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Bei fundamentalen Situationen wie potentiellen Elfmetern oder möglicherweise entscheidenden Abseitspositionen ist der Videobeweis hingegen überfällig. Auch bei gefährlichen Foulspielen wie kürzlich bei Sebastian Boenisch kann die Technologie für Klarheit sorgen, um die angemessene Strafe festzulegen.

Zu diesem Zweck könnte ein Video-Schiedsrichter seinem Kollegen auf dem Platz per Headset die entsprechenden Informationen mitteilen. Der Spielfluss würde in diesem Fall kaum gestört werden. "Ich glaube, dass das technisch bald möglich ist und man nicht immer abwarten muss, bis die Situation unterbrochen ist", ist der Rugby-Bundestrainer überzeugt.

Mehrgewinn für die Zuschauer

Unabhängig davon, dass der Spielfluss unvermeidbar hin und wieder ins Stocken gerät, überwiegen ganz klar die Vorteile und der Videobeweis birgt einen deutlichen Mehrwert für die Zuschauer: Beim Rugby werden die Video-Überprüfungen live auf dem Stadionbildschirm übertragen - zusätzliches Mitfiebern ist garantiert.

Die Arbeit des Referees wird offen dargelegt und im besten Fall können die Fans die Einschätzung des Schiedsrichters nachvollziehen, wodurch die Akzeptanz der Unparteiischen wächst. Der Videobeweis ist also mehr Chance als Gefahr. Wiederholungen von Bundesligapartien wegen fälschlich gegebener Phantomtore sollten dann der Vergangenheit angehören.

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