Der Umzug am Donnerstag führte Alexandra Popp und Kolleginnen endgültig vor Augen, welchen Stellenwert sie mittlerweile genießen. Schließlich war das Fünf-Sterne-Hotel in Hertfordshire ein früherer Adelssitz und bietet neben einem Golfplatz auch einen preisgekrönten Wellness-Bereich. Den Luxus, den die UEFA dem EM-Finalisten gönnt, haben sich die deutschen Fußballerinnen redlich verdient. Die Heimat jedenfalls liegt ihren neuen Lieblingen zu Füßen.
Sogar der Bundeskanzler wird am Sonntag (18.00 Uhr live auf DAZN) live vor Ort die Daumen drücken, wenn die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) vor knapp 90.000 Fans nach dem neunten EM-Titel greift. "Ich freue mich darauf, nach London zu fahren und das Team im Traumfinale gegen die Gastgeberinnen aus England im Wembley-Stadion zu unterstützen", twitterte Olaf Scholz nach dem 2:1 (1:1) im Halbfinale gegen Frankreich.
Die Chancen, dass der Kanzler auf der Insel etwas zu feiern hat, stehen nicht schlecht. Denn angeführt von Torgigantin Popp und ausgestattet mit einer überragenden Mentalität hat der Rekordeuropameister in kaum für möglich gehaltener Manier überzeugt. Mit fünf Siegen in fünf Partien sind die Deutschen, deren schwache Form in den Monaten vor dem Turnier für große Zweifel gesorgt hatte, ins Endspiel gestürmt. Die Serie hat dazu geführt, dass erstmals seit dem Olympiagold 2016 wieder ein Titel winkt.
Obwohl der dickste Brocken noch aus dem Weg geräumt werden muss, herrscht in den Reihen des zweimaligen Weltmeisters große Zuversicht. "Ich bin schon seit zehn Jahren dabei - und so einen Teamspirit habe ich noch nie erlebt", sagte Popp mit Blick auf die Neuauflage des Finals aus dem Jahr 2009. Damals feierten die DFB-Frauen, die noch nie ein EM-Endspiel verloren haben, beim 6:2 den bisher höchsten EURO-Finalsieg der Geschichte.
13 Jahre nach dem Endspiel von Helsinki hat die Finalteilnahme diesmal allerdings einen weitaus größeren Stellenwert. Die gesellschaftspolitische Dimension im Kontext des Strebens nach Gleichberechtigung, die auch der Scholz-Besuch unterstreicht, ist unübersehbar. Dass die Halbfinal-Übertragung im ZDF von 12,19 Millionen Menschen verfolgt wurde und der Kicker erstmals in seiner Geschichte die Frauen als Top-Thema auf die Titelseite hievte, freut auch die DFB-Spitze.
DFB-Frauen: Lob auch vom Präsident Neuendorf
"Das sind Spielerinnen, die einer größeren Öffentlichkeit wahrscheinlich vor wenigen Wochen noch gar nicht so bekannt waren und die auf einmal in aller Munde sind. Das ist genau das, was wir uns wünschen und brauchen", lobte Präsident Bernd Neuendorf: "Das sind Botschafterinnen für den Frauenfußball insgesamt."
Dass diese Botschafterinnen wie von Scholz gefordert auf eine Erhöhung ihrer Prämien (30.000 Euro für den Finaleinzug, 60.000 Euro für den Titelgewinn) hoffen dürfen, ist aber (noch) unwahrscheinlich. Neuendorf verwies auf die abgeschlossenen Verhandlungen. Das letzte Wort scheint allerdings noch nicht gesprochen. Schließlich erneuerte DFB-Geschäftsführer Oliver Bierhoff seine Einladung an Scholz, um mit dem Kanzler über "Equal Pay" zu sprechen.
Akut sind aber erst einmal die sportlichen Themen. Nach der Kabinenfeier zu den Klängen des 90er-Hits Cotton Eye Joe und mit dem ein oder anderen Bier blickte Martina Voss-Tecklenburg voller Freude voraus. "Es wird ein großartiges Fußballfest", sagte die Bundestrainerin, die leise auf die Rückkehr von Klara Bühl (Corona) hofft: "Wir wollen etwas rocken in Wembley."
Ob das gelingt, scheint vor allem an Popp zu hängen. Schließlich ist die Kapitänin die erste Spielerin in der EM-Historie, die in fünf aufeinanderfolgenden Einsätzen bei einer Endrunde getroffen hat. Gegen Frankreich erzielte die 31-Jährige, der vor der EURO nur eine Reservistenrolle zugedacht war, ihre EM-Tore Nummer fünf und sechs (40./76.). Dank Popp spielte der erste Turnier-Gegentreffer durch das Eigentor von Torhüterin Merle Frohms (44.) keine Rolle.
Der Stolz auf das Erreichte war bei Popp weder zu übersehen noch zu überhören. "Kein Schwein hat mit uns gerechnet", sagte die Matchwinnerin: "Und nun spielen wir in Wembley im Finale gegen England vor 90.000 Fans." Inklusive Olaf Scholz.