Auch vier Tage nach dem 1:3 in Mönchengladbach stand beim FC Bayern die Aufarbeitung des schlechten Rückrundenstarts auf dem Programm - diesmal medial. Mit Jerome Boateng stellte sich am Dienstag im Pressegespräch jener Mann den Fragen, der in Gladbach besonders in den Fokus geraten war. FCB-Ehrenpräsident Franz Beckenbauer hatte das Zusammenspiel zwischen Rechtsverteidiger Boateng und Vordermann Arjen Robben hart kritisiert und war bei "Sky" zum Urteil gekommen: "Die beiden passen nicht zusammen."
Es waren also keine schöne Themen, mit denen sich Boateng erstmal auseinanderzusetzen hatte. Hat Beckenbauer denn recht? Warum hat es nicht geklappt? Was war mit der Mannschaft los? Solche Fragen prasselten auf den 23-Jährigen ein. Vielleicht ging auch deshalb ein kleiner Nebensatz Boatengs im ersten Moment unter: Man müsse diese Probleme untereinander besprechen, sagte er, und "beim nächsten Mal besser machen - wenn es dazu kommt."
Wenn es dazu kommt...Vier kleine Worte, die zeigen, dass für Boateng das Gladbach-Spiel eine entscheidende Wende sein könnte. Denn so bitter die Niederlage für das Team und so schlimm der Mittelfußbruch von Daniel van Buyten war: Für Boateng öffnet sich dadurch eine Tür zu seiner Lieblingsposition als Innenverteidiger.
Boateng: "Ich muss mich innen nicht beweisen"
Boateng hat nie einen Hehl daraus gemacht, am liebsten innen zu spielen. Bereits zu seiner Man-City-Zeit hatte er im SPOX-Interview bekräftigt: "Ich habe vor dem Wechsel gesagt, dass ich nur nach Manchester komme, wenn ich innen spiele." Dem war nicht immer so - und auch beim FCB wurde er bisher öfter als Rechtsverteidiger eingesetzt.
Im Winter-Trainingslager in Doha untermauerte Boateng im Interview mit der "Welt", generell hätten ihn "die Bayern ja als Innenverteidiger geholt." Das unterstrich er am Dienstag erneut: "Jeder Spieler hat eine Lieblingsposition, bei mir ist die innen."
Und die ist jetzt nach van Buytens Verletzung erstmal für acht Wochen frei. Eine Sache wollte Boateng aber sofort klarstellen: "Ich muss mich innen nicht beweisen. Ich habe als Innenverteidiger schon gute Spiele am Anfang der Saison gemacht."
Das belegen auch die Statistiken: Von seinen 13 bisherigen Saisonspielen in der Bundesliga bestritt er sechs als Innenverteidiger. Im Abwehrzentrum gewann er starke 70 Prozent seiner Zweikämpfe und hat damit die besseren Werte als Holger Badstuber (67 Prozent), der zum besten Innenverteidiger der Hinrunde gewählt wurde. Zum Vergleich: Als Rechtsverteidiger entschied Boateng laut Impire-Datenbank nur 55 Prozent der Zweikämpfe für sich.
Nur ein Foul in 464 Innenverteidiger-Minuten
Ein Blick in die Daten bestätigt auch Boatengs große Stärken: Das Stellungsspiel und seine Schnelligkeit. In den sechs Spielen bzw. 464 Minuten als Innenverteidiger beging er nur ein Foul - ein fantastischer Wert für einen Defensivspieler.
An Selbstvertrauen mangelt es Boateng also zu Recht nicht. Er sei "überzeugt", Badstubers Niveau zu haben, wenn er dauerhaft im Abwehrzentrum spielen würde: "Wir haben gemeinsam einige Spiele in der Innenverteidigung gemacht und dabei wenig Gegentore zugelassen."
Auch das stimmt: Mit Badstuber und Boateng im Abwehrzentrum bekam der FCB in sechs Ligaspielen vier Gegentore, allerdings verloren die Münchner drei dieser Partien und Boateng sah in Hannover Rot.
Aufzuholen hat Boateng auf anderen Gebieten. "In der Offensive und im Spielaufbau kann ich mich verbessern", sagt er über sich selbst. Im Gegensatz zu Badstuber (82) und van Buyten (83) hat Boateng als Innenverteidiger nur 60 und damit deutlich weniger Ballkontakte pro Spiel als die beiden.
Kein Tor in 98 Bundesliga-Spielen
In Sachen Offensivstärke ist er besonders van Buyten weit hinterher: Während der Belgier auf sechs Scorerpunkte (4 Tore, 2 Vorlagen) kommt und Badstuber auf immerhin zwei Assists, hat Boateng erst eine Vorlage vorzuweisen.Von Treffern gar nicht zu reden: Boateng wartet nach 98 Bundesliga-Spielen immer noch auf sein erstes Tor - kein anderer aktueller Liga-Feldspieler bestritt so viele Spiele, ohne auch nur einmal zu treffen.
Die mangelnde Torgefahr dürfte Boateng erstmal aber nicht beunruhigen, schließlich soll er in erster Linie Tore verhindern, und nicht erzielen. Vielmehr dürfte ihm die Gewissheit, über einen längeren Zeitraum innen spielen zu können, Selbstvertrauen geben - und auch von einem weiteren "Problemchen" ablenken. Denn so gern Boateng innen spielt und sich darauf freut: Im Nationalteam sind seine Chancen größer als Rechtsverteidiger.
Ein Problem? Nicht für Boateng: "Löw weiß ja, dass ich rechts und innen spielen kann. Wenn er jetzt für die EM rechts mit mir plant, ist dann immer noch genug Zeit vor dem Turnier."
Die nächsten Wochen könnten entscheidende für Boateng werden. Entscheidend, um seinem Traum ein großes Stück näher zu kommen: "Ich möchte irgendwann ein reiner Innenverteidiger sein."
Jerome Boateng im Steckbrief