SPOX: Nach zwei Wochen Länderspiel-Pause geht es sofort rund mit drei Spielen in sieben Tagen: Dem mühsamen 3:2 in Braunschweig und der Niederlage gegen Chelsea folgt nun das Derby gegen Dortmund. Letztes Jahr erlebten Sie nach einem starken Start auf Schalke zum ähnlichen Zeitpunkt einen Leistungsknick. Welche Lehren zogen Sie daraus?
Roman Neustädter: In der Vorsaison war vieles Neuland für mich, vor allem die Dreifachbelastung mit Bundesliga, Pokal und Champions League. Für mich gibt es bis heute noch nichts Besseres, als immer zu spielen, allerdings habe ich meine Meinung etwas relativiert. Pausen sind wichtig und es gibt einen Grund, warum alle großen Mannschaften häufig rotieren. Direkt nach dem Wechsel zu Schalke hatte ich im Grunde durchgespielt, wurde nur in der zweiten Pokal-Runde gegen Sandhausen nicht aufgestellt...
SPOX: ... woran Sie sich noch so gut erinnern?
Neustädter: Ja, weil es das Schönste überhaupt ist, auf dem Platz stehen zu dürfen. Dennoch: Wenn ich ehrlich bin, hätte ich mir schon damals eingestehen müssen, dass mir die Pause sehr gut tat. Dieses Jahr setzen wir das entsprechend häufiger um, dass ich zum Durchschnaufen komme. Ich merke, dass ich deswegen fitter bin, vor allem im Kopf.
SPOX: Fitter im Kopf?
Neustädter: Die Leute sehen nur das, was auf dem Platz passiert. Doch häufig wird unterschätzt, wie es mental an die Substanz geht. Nach einer Partie ist es so bei mir: Ich kann nie gut schlafen, weil ich voller Adrenalin bin und im Kopf immer wieder ein Spielfilm der gesamten 90 Minuten abläuft. Ich gehe alle Situationen noch einmal durch, die guten und die schlechten Aktionen. Den Tag darauf benötigt man komplett zur Regeneration - und am zweiten Tag steht in englischen Wochen schon die Abreise zu einem Auswärtsspiel an. Körperlich ist das zu verkraften, die Trainingslager sind ja so konzipiert, dass man die Belastung wegsteckt. Doch für den Kopf ist es schwierig. Das soll jedoch nicht wehleidig erscheinen: Wir verdienen alle gutes Geld und werden dafür bezahlt, diesem Druck standzuhalten.
SPOX: Wie finden Sie in der Freizeit die Mitte? Schalten Sie komplett vom Fußball ab?
Neustädter: An einem Sonntagabend, nach dem Training und einem Bundesliga-Spiel am Tag zuvor, schaue ich mir nicht unbedingt schon wieder Fußball an, da muss ich abschalten. Oder ich schlafe beim Fernsehen einfach auf der Couch ein. (lacht) Ansonsten schaue ich so oft es geht Fußball, nicht zum bloßen Zeitvertreib, sondern um mir etwas abzuschauen Das ist fundamental. Wie bewegt sich ein Sechser? Wie verhält sich ein Sechser in einer vergleichbaren Situation, bei der mir ein Fehler unterlaufen war? Wann attackiert ein Sechser den ballführenden Gegenspieler direkt oder wann lässt er sich fallen? In jedem Spiel kann ich etwas lernen.
SPOX: Von wem lernen sie am meisten? Ihre Spielweise erinnert an Barcelonas Sergio Busquets. Wegen Ihrer Eleganz wurden Sie sogar mit Franz Beckenbauer verglichen, wegen des Laufstils mit Michael Ballack.
Neustädter: Die Vergleiche sind eine große Ehre, wenngleich ich sie nicht ernstnehmen kann. Ich versuche einfach, mein eigener Spielertyp zu sein - auch wenn es natürlich Ähnlichkeiten gibt. Wenn ich sehe, mit welcher Ruhe Busquets agiert, wenn ihn zwei Spieler angreifen und ihm im Bruchteil einer Sekunde eine Lösungsidee einfällt, ist es der beste Anschauungsunterricht, den man bekommen kann. Mir gefällt genauso Michael Carrick von Manchester United. Über ihn reden nicht so viele Leute, trotzdem ist er ein fantastischer Sechser. Ich analysiere ihn häufig am Fernseher und zähle seine Ballkontakte. Er braucht fast immer nur ein oder zwei Kontakte, um den Ball zu kontrollieren und sofort weiterzuleiten. Extrem spannend ist es zu beobachten, wie sich Carrick mit dem Körper zum Spielgeschehen orientiert oder wie er zum Ball steht.
SPOX: Für den Laien klingt es wenig spektakulär.
Neustädter: Ich freue mich wie jeder Fan, wenn ich ein Spektakel sehe mit hohem Tempo und guten Kombinationen. Genauso wichtig ist es jedoch aufzupassen in Spielen, wo es langsam zugeht und womöglich nicht so viele atemberaubende Aktionen passieren. In solchen Spielen ist in der Regel das taktische Verhalten wichtiger - und daraus kann man vor allem Lehren für die Champions League ziehen, in der weniger Tore fallen und mehr Wert auf eine Grundordnung gelegt wird als in der Bundesliga.
Roman Neustädters Statistiken in dieser Bundesliga-Saison
SPOX: Nur: Mit 19 Gegentoren stellt Schalke die mit Abstand schlechteste Abwehr in der oberen Bundesliga-Tabellenhälfte.
Neustädter: Wir hatten einige Ausreißer nach unten wie gegen Hamburg, in Wolfsburg, gegen die Bayern oder das unnötige 3:3 in Hoffenheim. Dennoch finde ich, dass wir immer besser eine taktische Balance finden. Was wir nicht vergessen dürfen: im Vergleich zum Vorjahr ist die Mannschaft deutlich jünger. Mittlerweile haben wir uns mehr und mehr gefangen und vor allem in der Champions League merkt man trotz des 0:3 gegen Chelsea deutlich unseren Entwicklungsschritt. Man merkt vom Kopf und vom Körper, dass wir uns besser an die englischen Wochen gewöhnen.
SPOX: Die vielen Gegentore in der Bundesliga müssen Sie als defensiven Mittelfeldspieler besonders schmerzen.
Neustädter: Chelsea ist ein sehr gutes Vorbild. Sie holten 2012 mit einer überragenden Defensivleistung sogar die Champions League, obwohl andere Mannschaften besser besetzt waren. Es war zugegeben eine Portion Glück dabei, gleichzeitig stand der Triumph für eine bestimmte Art der Qualität. Chelsea wollte so lange wie möglich die Null halten, dafür nahmen selbst die Stürmer den defensiven Mittelfeldspielern und Abwehrspielern enorm viel Arbeit ab, damit so wenige Bälle wie möglich durchkamen. Und vorne hatte Chelsea Spieler, die mit einer Aktion alles entscheiden konnten. Deshalb muss uns immer bewusst sein: Die Defensive ist der Motor der gesamten Mannschaft.
SPOX: Das Derby gegen Dortmund wird auch dadurch entschieden, wer das Mittelfeld regiert.
Neustädter: Jermaine Jones, der jetzt leider verletzte Marco Höger, Leon Goretzka mit seinem großen Potenzial, selbst Kevin-Prince Boateng kann da spielen: Wir wissen, dass es vor allem im defensiven Mittelfeld unverzichtbar ist, durchtauschen zu können, weil ein Sechser pro Spiel 12, 13 Kilometer laufen muss.