Gerade im Ruhrpott, wo der Fußball auf ganz besondere Art geliebt wird, wo die Verehrung des Vereins bisweilen außergewöhnliche Züge annimmt, ist eine Bindung zum Publikum elementar.
Es gab Zeiten auf Schalke, da wurden Spieler wie Carlos Großmüller, Ze Roberto II oder Vicente Sanchez verpflichtet, die selbst den meisten Experten wenig sagten.
Unter Felix Magath wurde es gar noch wilder. So meinte Clemens Tönnies damals etwas süffisant: "Wenn wir noch einen mehr dazu nehmen, brauchen wir einen Knickbus um die Mannschaft zu transportieren." Manche Fans fragten sich in jenen Zeiten: Wofür steht der FC Schalke 04 eigentlich?
Goretzka-Transfer ein Statement
Im Sommer kämpfte Königsblau um Leon Goretzka. Der Transfer zog sich, doch nach langem Hin und Her wechselte der 18-Jährige für rund 3,5 Millionen Euro vom VfL Bochum zu S04.
Seitdem liest sich seine Bilanz ganz ordentlich: Sechs Bundesligaeinsätze, zwei Kurzeinsätze in der Champions League gegen Steaua Bukarest und PAOK Saloniki. Am Wochenende erzielte er sein erstes Bundesliga-Tor.
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"Ich habe mich natürlich sehr gefreut", sagte er nach dem 3:2-Sieg über Eintracht Braunschweig: "Viel wichtiger war aber, dass wir das Spiel gewonnen haben." Goretzka stellt sich nicht gerne in den Mittelpunkt.
Da hatte man auf Schalke schon ganz andere Fälle. Felix Magath wurde seiner Zeit fuchsteufelswild, als der damals 19-jährige Lewis Holtby in einem seiner ersten Bundesligaspiele einen Konter nicht sauber ausspielte und stattdessen die Kugel von der Mittellinie aufs Tor drosch.
Nur noch Neustädter
Solche Dinge sind Goretzka eher fremd. Noch stellt er auch keine Ansprüche und sieht die Zeit in Gelsenkirchen als Lernphase: "Ich bin bislang sehr zufrieden, auch wenn ich noch nicht so viel Einsatzzeit hatte. Ich möchte mich auf Schalke individuell weiterentwickeln und merke, wie ich von Tag zu Tag besser werde und mich an das Leistungsniveau gewöhne."
Nun könnte er schneller als gedacht eine wichtige Position bekleiden. Nach der schweren Verletzung von Marco Höger bleiben Königsblau neben Goretzka mit Roman Neustädter und dem jüngst begnadigten Jermaine Jones nur noch zwei gelernte zentrale Mittelfeldspieler. Zwar könnten auch Dennis Aogo und Sead Kolasinac auf der Sechs spielen, doch gegen den FC Chelsea wird wohl Goretzka beginnen dürfen.
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"Ich habe schon als kleiner Junge davon geträumt, mal gegen Chelsea spielen zu können. Wenn wir ein gutes Resultat erzielen, haben wir eine gute Ausgangsposition in unserer Gruppe", beschreibt Goretzka seine Vorfreude. Das Spiel gegen die Blues wird wohl nicht das einzige Highlight in der Saison bleiben.
Rauls Erbe in der Post-Magath-Ära
Dennoch will man eines der größten Talente in Deutschland auf Schalke erst langsam und behutsam aufbauen. Immer wieder lobten Horst Heldt und Jens Keller den Abiturienten, verwiesen aber darauf, dass er noch jung sei und man noch nicht so viel von ihm erwarten dürfe. "Man tut Leon keinen Gefallen damit, wenn man ihn von Anfang an reinwirft. Es ist noch sehr jung und soll sich an den Rhythmus gewöhnen", erläuterte der Trainer.
Ähnliche Worte findet man auch zu Max Meyer, dem anderen großen Talent der Schalker. "Er ist ein sehr talentierter Spieler, der in den letzten Wochen eine regelrechte Leistungsexplosion hatte. Er ist jetzt schon ein wichtiger Spieler für uns", sagte Julian Draxler gestern auf der Pressekonferenz über den 18-Jährigen. Auch über Draxler wurde vor zwei Jahren ähnlich gesprochen.
Meyer unterschrieb zu Beginn des Jahres einen Profi-Vertrag und bekam im Sommer die Rückennummer 7 von Raul vererbt. Damit verdeutlichte man auf Schalke, dass S04 nun einen neuen Weg eingeschlagen hat.
Die Post-Magath-Ära auf Schalke ist geprägt von jungen Talenten. Neun der 27 Spieler aus dem Schalke Kader kommen aus der eigenen Jugend. Anstatt teure Südamerikaner oder unbekannte, vermeintliche Talente aus aller Welt für viel Geld zu verpflichten, setzt Königsblau inzwischen auf junge, einheimische Spieler. Goretzka ist dabei der Prototyp des neuen Schalker Wegs: jung, demütig, lernwillig und talentiert.
Das neue königsblaue Gesicht
Meyer bekam in den letzten Wochen - auch durch die Verletztenmisere - das Vertrauen geschenkt und konnte überzeugen. Nun steht Goretzka vermutlich vor seiner Feuertaufe, auch wenn sich Keller auf der gestrigen PK noch nicht in die Karten schauen lassen wollte: "Er hatte bereits viele Einsätze und seine Entwicklung ist toll. Aber es gibt immer noch einen großen Unterschied zwischen Bundesliga und Champions League".
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Verheizen möchte der Trainer die Talente in keinem Fall, trotz aller Euphorie. Keiner der Schalker Verantwortlichen wird den Jungs Druck auflasten. Selbst Draxler, der vor der Saison vollmundig verkündete, dass er zum Führungsspieler aufsteigen möchte, bekam mit Kevin-Prince Boateng nach durchwachsenem Saisonstart einen neuen Leitwolf an die Seite gestellt.
Dass der 20-Jährige dennoch das Gesicht des neuen FC Schalke ist, wurde nicht erst bei seiner Vertragsverlängerung dokumentiert. Draxler ist das Zugpferd, Meyer und Goretzka sind seine noch jungen Adjutanten, denen in den kommenden Monaten und Jahren eine ähnliche Entwicklung zugetraut wird.
Mit 18 gegen Mourinho
Dass die ersten Schritte hin zum Stammspieler gemacht sind, belegen die Zahlen. Rückschläge aber werden kommen. Auch erwartet auf Schalke niemand von Goretzka und Meyer, dass sie in ihrer ersten Profisaison zu absoluten Leistungsträgern aufsteigen. Die Youngsters stehen derzeit für etwas anderes: Dank ihnen ist Schalke auf einem guten Weg, sich ein neues Image zu generieren - jung und talentiert anstatt unbekannt und teuer.
Zwei 18-Jährige aus der Region in der Startelf im Champions-League-Spiel gegen Jose Mourinho und seinen FC Chelsea wären hierfür eine klare Ansage.
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