Wie geht's jetzt weiter?

Stefan Rommel
11. Februar 201423:43
Der VfB Stuttgart steckt momentan in einer großen Krisegetty
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Vier Spiele, vier Niederlagen im neuen Jahr: Der VfB Stuttgart rauscht nur so nach unten. Drei elementare Probleme bekommen die Schwaben einfach nicht in den Griff, die Maßnahmen von Trainer Thomas Schneider greifen nicht. Eine Bestandsaufnahme.

Der VfB Stuttgart hat den Auftakt ins neue Jahr mal wieder kräftig verpatzt und ist sogar noch schlechter gestartet als die beiden Nordlichter HSV und Werder Bremen. Die Maßnahmen von Trainer Thomas Schneider greifen immer weniger, die Mannschaft rutscht immer weiter ab.

"Entwicklung braucht Kontinuität", wird Schneider nicht müde zu betonen. Nur ist momentan kaum eine Entwicklung zu erkennen. Seine Mannschaft begeht die immer gleichen Fehler, wirkt mental instabil und in den entscheidenden Phasen auch glücklos.

Drei elementare Problemzonen bekommt der VfB einfach nicht in den Griff. Eine Bestandsaufnahme.

Die mentale Verfassung:

Drei Spiele nach einer eigenen (frühen) Führung noch in den letzten Minuten aus der Hand zu geben, um jeweils mit einem Tor Unterschied zu verlieren, das ganze innerhalb von nur sieben Tagen: Die erste Woche der Rückserie war aus Stuttgarter Sicht schlicht brutal. SPOX

Die drei Partien schrieben eine neue Episode in der Reihe schlimmer Stuttgarter Verfehlungen - mit Pech oder Schicksal hat das nichts zu tun. Die Mannschaft ist nicht in der Lage, eine Serie aus mehreren ordentlichen Spielen am Stück zu starten. Das kann auch so lange nicht funktionieren, so lange sie ihre Wankelmütigkeit innerhalb der 90 Minuten nicht endlich in den Griff bekommt.

Manchmal reichen kleinste Situationen, um eine positive Grundstimmung in das Gegenteil zu verkehren. Eine vergebene Großchance, ein Stellungsfehler, der dem Gegner eine Möglichkeit eröffnet. Ganz zu schweigen von einem Gegentreffer. Das Gebilde einer angeblich gefestigten Mannschaft fällt dann wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Gegen Mainz war das der Ausgleich kurz vor der Pause, in Leverkusen der von Stefan Kießling, der jeweils die vom VfB vorher offen gehaltene oder sogar dominierte Partie kippen ließen. Das Spiel gegen München ist davon auszunehmen, da fehlten am Ende die Kraft und damit auch die entsprechende Frische im Kopf. Gegen Augsburg genügte eine Zufallsaktion der Gäste, abgeschlossen mit dem 0:1, um eine bis dato gute halbe Stunde einfach so wegzuwischen.

Dann findet sich in der Mannschaft keiner mehr, der vorangehen kann oder möchte. Einer steckt vielmehr den anderen an, jegliche Sicherheit geht dahin, die Abläufe - im Training mehrfach einstudiert - funktionieren plötzlich nicht mehr. Der VfB ist offenbar ein Kandidat für den Psychologen. Jede weitere Niederlage nach den sieben aus den letzten acht Spielen wird die Spirale nur noch weiter drehen.

Vieles mag der Jugendlichkeit der Mannschaft geschuldet sein. Dass einem der wenigen erfahrenen Spieler - und zudem noch Ersatzkapitän - Vedad Ibisevic aber eine Dummheit wie die beim Schlag gegen Augsburgs Jan-Ingwer Callsen-Bracker rausrutscht, ist nicht zu verzeihen. Der Streit zwischen Sven Ulreich und Moritz Leitner um einen banalen Torabstoß gehört in die Kategorie Kindergarten. Vorkommnisse, die belegen, wie angespannt die Lage ist und wie unzufrieden einige mit der Situation sind. Die Mannschaft redet nicht konstruktiv miteinander, sie streitet sich oder reibt sich auf in sinnlosen Diskussionen. "Wir haben Tendenzen gezeigt, die tödlich sind", sagt Sportvorstand Fredi Bobic.

Dass das Team bisher auch keinerlei Comeback-Qualitäten zeigt, ist frappierend. Bisher gab es lediglich gegen Eintracht Frankfurt nach einem 0:1-Rückstand noch zumindest einen Punktgewinn. Alle anderen Partien gingen verloren. Nach einem anderen Rückstand als 0:1 gewann der VfB nur gegen Hannover (4:2 nach zwischenzeitlichem 1:2). Das ist viel zu wenig.

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Seite 2: Die vielen einfachen Fehler

Seite 3: Spielsystem und personelle Besetzung

Seite 4: Was kann jetzt helfen

Die vielen einfachen Fehler:

Gegen Augsburg fielen alle vier Gegentore aus kürzester Distanz, jeweils sah sich Torhüter Sven Ulreich einem durchgebrochenen Angreifer der Gäste gegenüber. Die Qualität der Torchancen, die der VfB seinen Gegnern zubilligt, ist erschreckend. Da verwundert es nicht, dass Augsburg aus sechs Chancen relativ problemlos vier Treffer erzielen konnte.

Gegen Mainz patzten Ulreich und Gotoku Sakai im Verbund, in Leverkusen verhinderte Ibrahima Traore die Flanke vor dem 1:2 nicht, das 1:1 ermöglichte Antonio Rüdigers lasche Zweikampfführung. Der Innenverteidiger leistete sich gegen den FCA eine Woche später dann gleich wieder zwei schwere Aussetzer, Konstantin Rausch schlief beim 0:1.

Timo Werner, vor ein paar Wochen noch der große Hoffnungsträger, springt nahezu jeder Ball vom Fuß, Ibisevic kann kein Zuspiel mit einem Kontakt weiterleiten, der Bosnier ist gedanklich zu langsam und spielerisch zu limitiert.

Neben den individuellen Fehlern gibt es auch immer wieder zu viele gruppentaktische Verfehlungen. Das Zusammenspiel des Innenverteidigerpärchens Rüdiger und Daniel Schwaab funktionierte überhaupt nicht. Immer wieder ließ sich einer leichtfertig aus der Kette ziehen und ließ in seinem Rücken viel zu viel Platz offen, in den die Augsburger stoßen konnten. Aus einer Viererkette wird immer wieder ohne Not situativ eine Dreierkette, die die Breite nicht abdecken kann und so zwangsläufig zu große Abstände zwischen den einzelnen Gliedern offenbart.

Hier fehlt es an der Feinabstimmung, die Anbindung an das defensive Mittelfeld ist nur selten gegeben. In der Offensive sind teilweise flüssige Kombinationen zu sehen, die sich aber oft in einem verschnörkelten Pass zu viel verlieren.

Mal fehlt die Konzentration bis zum letzten Meter, mal die Konsequenz in einem entscheidenden Zweikampf. Dazu kommen Leichtfertigkeit - gerade bei einer eigenen Führung - und manchmal auch ein Schuss Überheblichkeit. Dann fehlen fünf bis zehn Prozent und deshalb gehen enge Spiele (schon sechs Niederlagen mit nur einem Tor Unterschied und wenigstens drei unnötige Remis) nicht an den VfB.

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Das Spielsystem und seine personelle Besetzung:

Schneider setzt seit Beginn der Rückrunde auf eine Ausrichtung mit zwei Angreifern. Gegen den FCA brach er diese Vorgabe etwas auf, als er mit Alexandru Maxim hinter Vedad Ibisevic eine hängende Spitze platzierte. In der defensiven Grundordnung bleibt aber das 4-4-2 mit zwei Sechsern.

Mo Abdellaoue, ein Spieler der technisch ordentlich und robust im Zweikampf ist und den Ball gut festmachen kann, musste auf der Halbposition im Mittelfeld ran, um im Zentrum Platz zu schaffen für Maxim. Der war davor unter anderem derjenige, der auf Außen verfrachtet wurde - wahrlich nicht die Lieblingsposition des Rumänen, der dort mit deutlich weniger Spielraum einigen seiner Fähigkeiten beraubt ist.

Dahinter wurde die Doppel-Sechs im Sinne eines kreativeren Offensivspiels gebastelt. Entweder Christian Gentner und Moritz Leitner oder wie derzeit Leitner und Rani Khedira bilden die Formation vor der Abwehr. Faktisch richtig war die Erkenntnis, dass es beim VfB zu oft im Spielvortrag hakte. Mit Leitner, der in den letzten Wochen immer mehr in die spielbestimmende Rolle schlüpfen konnte, ist da gegengesteuert worden.

Das große Aber: Es steht ohne den viel geschmähten William Kvist nun gar kein in erster Linie defensiv denkender gelernter Sechser mehr auf dem Platz. Kvist hat ganz sicher erhebliche Probleme mit dem Offensivspiel, aber auf den Dänen war in der Mehrzahl seiner absolvierten Partien insofern Verlass, dass er sich nur in größter Not von seiner Position zentral und nah an der Viererkette weg bewegte. SPOX

Momentan ist diese Absicherung vor der Abwehr, gerade gegen Mannschaften mit drei offensiven Mittelfeldspielern, nicht gegeben. Neun Gegentore in vier Spielen in diesem Jahr und nunmehr bereits 41 in 20 Partien sind der Beleg, dass das Gleichgewicht auch nach mehr als der Hälfte der Saison nicht gefunden wurde.

Erst zweimal in dieser Saison konnte der VfB zu Null spielen. Die Stuttgarter haben 43 Großchancen der Gegner zugelassen und nur 44 Prozent ihrer defensiven Zweikämpfe gewonnen - beides Negativwerte in der Liga. Wirklich dominiert hat die Mannschaft in dieser Saison in einer Partie: Dem Auswärtsspiel in Braunschweig (4:0).

Ibisevic' Sperre lässt eine Rückkehr zum 4-2-3-1 vermuten, dann vielleicht mit Werner als alleiniger Spitze. Der Youngster wurde ganz alleine vorne drin noch nicht unter Wettkampfbedingungen getestet. Auf Dauer kann auch die Unerfahrenheit des Teams von noch größerer Bedeutung werden.

Nur mit einer besseren A-Jugend wird sich die Klasse nicht halten lassen. Die Jungen sollten mit einem gefestigten Stamm erfahrener Spieler langsam in ihre Aufgaben wachsen. Jetzt sollen Rüdiger als Abwehrchef, Leitner als erster Spielgestalter und Werner als Vollstrecker die Hoffnungsträger sein? Bei allem Potenzial jedes Einzelnen - aber das kann auch nicht der Anspruch des VfB Stuttgart sein.

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Was kann jetzt helfen?

Nur zu glauben, ein Erfolgserlebnis würde alles schnell wieder zum Guten wenden, wäre naiv. Das Team zeigt immer wieder und im Offensivspiel auch immer öfter zaghafte Fortschritte, bringt diese Versatzstücke aber weiterhin nicht zu einem stimmigen Gesamtbild zusammen. Dass derzeit nicht noch mehr Druck im Kessel ist, liegt zum einen am bislang noch verhältnismäßig ruhigen Umfeld und einer gewissen Ruhe auf Führungsebene. Und natürlich daran, dass sich die beiden Nordlichter HSV und Werder Bremen noch ungeschickter anstellen. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Die nächsten Spiele gegen Hoffenheim, Hertha BSC, Frankfurt, Braunschweig, Bremen, Nürnberg und Hamburg sind Chance und Gefahr zugleich. Auf Punktgewinne in der Schlussphase der Saison, in der unter anderem Gegner wie Schalke, Wolfsburg und die Bayern warten, sollte man sich nicht verlassen. Die Weichen werden in den anstehenden Spielen gestellt.

Auch dem Letzten dürfte jetzt klar sein, was der Einzelne kann und was nicht. Die unrealistischen Träume von der Europa League waren nie wirklich ernst zunehmen, das ausgegebene Ziel, einen einstelligen Tabellenplatz zu erreichen, dürfte auch schwer machbar sein. Jeder Einzelne, auch die Verantwortlichen, müssen sich im Klaren sein, dass es ab sofort wohl nur noch gegen den Abstieg gehen wird. SPOX

Ausführungen wie die von Bobic etwa, der Antonio Rüdiger kürzlich im SPOX-Interview mit der Nationalmannschaft in Verbindung brachte, sind da eher kontraproduktiv - weil sie wohl mehr Wunschdenken sind, nicht aber auf die Gegebenheiten eingehen.

Hoffnung macht, dass die Mannschaft in jedem Spiel bisher auch gute Phasen hatte. Schneider hat zudem genug Alternativen auf der Bank, kaum ein Spieler aus dem erweiterten Kreis ist ernsthaft verletzt. Der Trainer muss jetzt allerdings ein griffiges Spielsystem finden, das endlich wieder zu mehr Stabilität in der Defensive führt, ohne die sichtbaren Fortschritte in der Offensive gleich wieder zu ersticken.

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