Armin Veh weckt beim VfB Stuttgart große Hoffnungen. Der Meistertrainer spricht im Interview mit SPOX über Ziele mit dem VfB, das irrwitzige Mysterium seiner Eintracht-Ära und die Profis von damals. Außerdem: Das große Theater zu seiner Zeit beim Hamburger SV.
SPOX: Herr Veh, Sie haben nach Ihrem Abschied aus Frankfurt gesagt, Sie würden entweder ein ganz bestimmtes Angebot annehmen oder ein Sabbatjahr machen. Wie hätte denn ein Sabbatjahr im Leben des Armin Veh ausgesehen?
Armin Veh: Ich wäre trotzdem im Fußball tätig geblieben, aber ich hätte von meinem ursprünglichen Job als Trainer mal komplett abschalten können. Was ich genau gemacht hätte, will ich aber nicht verraten.
SPOX: Ist es denn als Trainer möglich, den Fußball komplett aus dem Kopf zu verbannen?
Veh: Wenn man als Trainer angestellt ist, ist Abschalten vom Fußball unmöglich. Der Job beschäftigt einen das ganze Jahr über. In diesem Job gibt es keine Pause.
SPOX: Auch der Druck als Trainer ist enorm. In Frankfurt und Rostock haben Sie stets betont, wie viele Schicksale an einem möglichen Abstieg hängen. Wie geht man als Verantwortlicher damit um?
Veh: Im Abstiegskampf geht es um Elementares. Ein Abstieg ist viel einschneidender, als wenn man zum Beispiel die Europa-League-Plätze verpasst. Der Druck ist ein anderer, wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Zum Glück habe ich meist Teams trainiert, die etwas weiter oben in der Tabelle standen. Aber in Rostock gab es beispielsweise nie ein anderes Ziel, als die Klasse zu halten. Das war damals neu für mich.
SPOX: Inwiefern haben Sie von dieser Erfahrung in Rostock profitiert?
Veh: Im Nachhinein ist es gut, dass ich das erleben durfte. In Frankfurt konnte ich dann auf diese Erfahrung zurückgreifen. Es hilft enorm, wenn man im Abstiegskampf weiß, dass man dieser Situation schon einmal entkommen ist. Es hilft nichts, wenn man Erfahrung im Abstiegskampf hat, weil man bisher schon dreimal abgestiegen ist. Ich habe durch diese Erfahrung gewusst, welche Dinge uns geholfen haben, drin zu bleiben.
SPOX: Es wurde gemutmaßt, dass neben der mangelnden Perspektive auch der ungeheure Stress in Frankfurt ein Grund für Ihren Abschied gewesen sein soll. Ist da etwas dran?
Veh: Das stimmt nicht. Ich habe das nicht als Stress empfunden. Aber ich möchte immer die Chance haben, in Zukunft europäisch zu spielen. Das ist schwer genug für viele Traditionsklubs. Hier in Stuttgart ist es aus meiner Sicht aber ein wenig realistischer als in Frankfurt, da wir hier ein anderes Budget haben.
SPOX: Auch in Rostock spielte dieser Druck keine Rolle?
Veh: Nein, die Beweggründe für meinen Abschied damals waren andere. Ich war zweimal in Rostock und zweimal haben wir uns am vorletzten Spieltag gerettet. Aber es gab nie eine Chance, etwas zu entwickeln. Ich ließ ja auch defensiver Fußball spielen, weil ich mit einem sehr geringen Etat die Liga halten musste. Aber den Fußball, den ich eigentlich spielen lassen wollte, konnten wir damit nicht umsetzen.
SPOX: Auch nicht langfristig?
Veh: Ich wusste, dass sich das auch in den nächsten Jahren nicht ändern würde. Ich wollte meine Ideen umsetzen, aber das kann ich nicht, wenn sie dem Verein womöglich schaden. Auch wenn diese Art Fußball notwendig war, hatte ich keine große Freude daran. Ich wollte einfach nicht mehr diese Art Fußball spielen. Das war ein Hauptgrund.
SPOX: Stichwort eigene Ideen: Sie gelten als jemand, der gerne die Kontrolle hat, sich ungern Entscheidungen abnehmen lässt. Würden Sie das so stehen lassen?
Veh: Ich habe mich in dieser Hinsicht über die Jahre geändert. Früher musste ich als Trainer alles selbst erledigen. Heute sind wir ein hochprofessionelles Team, da gebe ich Teile meiner Arbeit an meine Kollegen ab. Zudem finde ich auch wichtig zu wissen, was im Verein los ist. Der Trainerjob besteht nicht nur im Abhalten der Trainingseinheiten, es geht auch um Management. Man muss das gesamte Projekt mit dem Verein gestalten und dafür muss ich wissen, was im Bereich des Möglichen ist.
SPOX: Haben Sie Ihre Allround-Fähigkeiten einst in Reutlingen entwickelt, wo Sie für nahezu alles zuständig waren?
Veh: Ja, auf jeden Fall. Dort hatte ich ein völlig anderes Budget, mit dem ich keine zusätzlichen Leute einstellen konnte, die dann auch noch einen guten Job machen und gut verdienen wollen. Also musste ich alles selbst übernehmen. Bei einem Bundesligisten hingegen, der 100 bis 120 Millionen Euro umsetzt, braucht man zusätzliche Mitarbeiter mit entsprechender Qualität.
SPOX: Bei späteren Stationen mussten Sie Ihre Arbeit oft mit anderen abstimmen. Wie war das denn bei einem Verein wie Hamburg, wo der Aufsichtsrat gerne ein gewichtiges Wörtchen mitredet? Bei manchem Mitglied dieses Gremiums wird von Seiten der Fans die Fußballkompetenz angezweifelt...
Veh: Ein Aufsichtsrat braucht aus meiner Sicht in erster Linie keine Fußballkompetenz. Das ist nicht entscheidend. Es ist auch nicht notwendig, dass jedes Aufsichtsratsmitglied fußballerisch tätig war. Aber der Aufsichtsrat sollte sich nicht ins Tagesgeschäft einschalten, weil er dafür nicht verantwortlich ist. In Hamburg hat sich der Aufsichtsrat täglich eingemischt. Das war kontraproduktiv, so hilft ein Aufsichtsrat nicht weiter.
SPOX: Waren Sie als Trainer nicht verärgert?
Veh: Natürlich war ich das. Vor allem weil es viele Indiskretionen gab. Es schadet dem Verein, wenn ständig irgendwelche Spielernamen, die intern aus Budgetgründen diskutiert werden mussten, am nächsten Tag in der Zeitung stehen. Dadurch werden sie bestimmt nicht billiger. Darüber habe ich mich geärgert.
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SPOX: Zu HSV-Zeiten sagten Sie einmal, sie würden nie wieder einen Bundesliga-Klub trainieren. Wie oft wird Ihnen dieses Zitat noch um die Ohren geworfen?
Veh: Das hatte ich mal aus einer Laune heraus gesagt, das sollte man nicht zu ernst nehmen.
SPOX: Aber wie kam es dazu?
Veh (lacht): Vielleicht haben Sie mich in dem Moment wieder geärgert. Nein im Ernst: Das war in einer Saison, in der es nur Streitereien im Verein gab. Das hatte mit Fußball nichts mehr zu tun. Das war nur noch Theater, das ganze Jahr, von Anfang an. Nicht meine Person betreffend, sondern zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und so weiter.
SPOX: Haben Sie damals an Rücktritt gedacht?
Veh: Ich habe dem Klub schon früh gesagt: "So kann man nicht arbeiten." Es tut mir im Herzen weh, wenn dieser tolle Klub mit dieser tollen Stadt so an die Wand gefahren wird.
SPOX: Kommen wir zurück zu Ihrer Person. Sie sagten einmal, manchmal bräuchte es im Umgang mit Mannschaft Druck und Härte, manchmal das genaue Gegenteil. Woran erkennt man als Trainer, was man anwenden muss?
Veh: Das lernt man durch Erfahrungswerte. Im Normalfall sollte man seine Spieler immer schützen. Aber es gibt einzelne Situationen, in denen man andere Umgangsformen braucht. Zum Beispiel wenn ein Spieler nur an sich selbst denkt und die Mannschaft außen vor lässt. Dann ist es vielleicht auch mal nötig, ihn öffentlich darauf hinzuweisen, dass Fußball ein Mannschaftssport ist. Wenn jedoch die Mentalität im Team stimmt, dann sollte sich ein Trainer vor seine Mannschaft stellen. Die meisten Jungs heute sind in Ordnung, sie sind professioneller als früher. Wir waren damals noch größere Schlawiner (lacht).
SPOX: Wie meinen Sie das?
Veh: Man sagt ja immer: "Früher war vieles besser." Aber die Jungs heutzutage befassen sich mehr mit dem Beruf, als es damals der Fall war. Wir hatten mehr Flausen im Kopf, das können sich die Profis heutzutage gar nicht leisten.
SPOX: Gab es für Sie zu Ihrer Zeit als Spieler mal eins auf die Mütze?
Veh (lacht): Natürlich nie. Weil nie jemand davon erfahren hat.
SPOX: Spaß beiseite. Wie geht man beispielsweise als Trainer damit um, wenn das eigene Team sieben Spiele hintereinander in der Schlussphase noch herschenkt, wie letzte Saison in Frankfurt? Wie diagnostiziert man das Problem und wie löst man es?
Veh: Das war schon ein Mysterium. Ich habe mich selbst dabei ertappt, dass nach dem vierten oder fünften Mal beim Blick auf die Anzeigetafel dachte: "Oh mein Gott, jetzt kommt die ominöse 86. Minute. Hoffentlich passiert jetzt nichts mehr." Obwohl ich wusste, dass es blödsinnig war. Bei uns hing das Problem mit der Dreifachbelastung zusammen. Wir waren heiß darauf, im Europapokal weit zu kommen. Es war klar, dass uns der Umgang damit schwerfallen würde, da kaum ein Spieler darin Erfahrung hatte. Deshalb bin ich ruhig geblieben.
SPOX: War es also ein Kopfproblem? Oder, genauer gesagt: Geistige Erschöpfung durch die ungewohnt hohe Belastung?
Veh: Ja, aber nicht ausschließlich. Wir waren auch physisch nicht ganz auf der Höhe, in der Vorbereitung haben wir womöglich etwas zu wenig gemacht. Im Winter wurde dann anders trainiert. Das sind Dinge, die man als Trainer selbst beeinflussen kann. Andere Aspekte sind nur schwer zu ändern, wenn sie beispielsweise mentaler Natur sind.
SPOX: Nach der Zeit in Frankfurt sind Sie nach Stuttgart zurückgekehrt. Armin Veh, der Meistertrainer. Die Fans hoffen auf eine sportliche Wende. Wie nehmen Sie die traditionell hohe Erwartungshaltung in Stuttgart wahr?
Veh: Damit kann ich gut umgehen. Bei großen Klubs mit großer Anhängerschaft ist das überall gleich. Mir ist wichtig, dass ich die Mannschaft in aller Ruhe kennenlerne. Erst dann werde ich formulieren, was notwendig und was möglich ist. Ich kenne die Konkurrenz und kann mich selbst gut einschätzen. Aber man muss auch nicht immer genau sagen, wo man steht. Sonst kann man auch keine Überraschung schaffen.
SPOX: Eine Überraschung war der Abschied von Rani Khedira, der im Widerspruch zum gerne zitierten "Stuttgarter Weg" zu stehen scheint. Gab es denn keine Möglichkeit ihn zu halten?
Veh: Ich kann das nicht beurteilen, da ich in diese Personalie noch kaum involviert war. Das haben vor allem diejenigen bewertet, die Rani über die letzten Jahre begleitet haben. Aber er forderte mehr Einsatzzeit und die hat man ihm letztendlich dadurch ermöglicht, dass man ihn gehen ließ.
SPOX: Wie steht es um die anderen Nachwuchstalente? Robin Yalcin hat bereits Bundesliga-Erfahrung, aber ein Tim Leibold beispielsweise war schon in Trainingslagern dabei, wartet aber auf sein Debüt. Auch Tino Baumgartl klopft langsam an.
Veh: Ich habe junge Spieler immer erst dann hochgezogen, wenn sie weit genug waren, um auch zum Einsatz zu kommen. So habe ich es damals schon mit Sami Khedira oder Andreas Beck gehandhabt. Die Jungs brauchen immer erst eine Heimat. Talent bringt ihnen nichts, wenn sie die ganze Woche bei uns trainieren, aber dann in der zweiten Mannschaft spielen. Wir gehen da einen anderen Weg: Junge Spieler sollen so lange bei der zweiten Mannschaft trainieren und spielen, bis wir uns sicher sind, dass sie stark genug für Einsätze bei Profis sind. Ein Hin und Her bringt den Jungs nichts.
SPOX: Wie oft können Sie sich als Trainer überhaupt Spiele der zweiten Mannschaft ansehen?
Veh: Wichtig ist in erster Linie eine gute Kommunikation der Trainer. Ich sehe mir zwar so viele Spiele wie möglich an, aber ich kann nicht noch zu den Auswärtspartien reisen. Dann kann man mich irgendwann wegwerfen, das schaffe ich nicht. Deshalb ist die Einschätzung des Trainers, der jeden Tag mit dieser Mannschaft arbeitet, enorm wichtig. Auch deshalb ist Rainer Adrion zurückgekehrt, um diesen Prozess zu koordinieren. So können sich die Spieler bestmöglich entwickeln.
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