Angekommen in der Normalität

SPOX
27. Oktober 201409:12
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Bremen verliert seinen Status als "etwas anderer" Bundesliga-Standort immer mehr. Die Aufgaben in naher Zukunft sind enorm, die Verantwortlichen brauchen schnelle Lösungen - allen voran Thomas Eichin.

Welche Fehler hat Robin Dutt gemacht?

Werder ist Tabellenletzter, hat noch keinen Sieg eingefahren und den schlechtesten Saisonstart der Klubgeschichte hingelegt. Seit seiner Amtsübernahme hat die Mannschaft mehr als zwei Gegentore pro Partie kassiert - dabei war es eines von Dutts Primärzielen, die Defensivbewegung endlich zu stärken.

Mittlerweile ist die Mannschaft total verunsichert, mit jedem Spiel ohne Sieg oder zuletzt mit jeder weiteren Niederlagen wachsen die Selbstzweifel einer ohnehin schon verängstigten Mannschaft. Neben den rein handwerklichen Kniffen in den Trainingseinheiten war Dutt zuletzt auch bei vielen Einzelgesprächen als Motivator gefragt. Zu einer sichtbaren Verbesserung haben diese aber nicht geführt.

"Robin hat einen sehr, sehr guten Job gemacht in allen Bereichen. Er hat alles aus sich rausgeholt und alles gegeben", sagte Thomas Eichin am Sonntag in der Sendung "Doppelpass" auf "Sport1". Inhaltlich wollte der Sportdirektor seinem Angestellten auch nach dessen Demission nichts vorwerfen. Trotzdem ist Werder nach einer selbst definierten Ergebniskrise in den letzten Wochen auch in eine spielerische Krise geschlittert.

Und die warf einige Fragen auf, speziell in der Besetzung bestimmter Spielpositionen. Dutt vertraute zu lange auf das offensichtlich überforderte Innenverteidigerpärchen Lukimya und Prödl - beide waren in der Defensive immer für einen gravierenden individuellen Fehler gut und im Aufbauspiel unbrauchbar.

Zugang Galvez, als Innenverteidiger geholt, wurde im defensiven Mittelfeld eingesetzt. Routinier Fritz, der erkennbare Probleme mit dem Tempo des Spiels hat, wurde trotzdem immer wieder berücksichtigt. Dutts Wunschspieler Makiadi erscheint auch nach fast anderthalb Jahren in Bremen wie ein Fremdkörper. Die Entscheidung, Elia aus dem Kader zu verbannen, war überfällig. Der Niederländer hat auch von Dutt massig Chancen bekommen und keine davon nachhaltig genutzt.

Die Defensive wurde nach einem kurzen Zwischenhoch wieder rissig wie zu schlimmsten Schaaf-Zeiten, im Gegenzug ist von einem durchdachten Bremer Offensivspiel aber gar nichts mehr zu sehen. Die letzten Partien waren eine Art Offenbarungseid.

Man muss konstatieren, dass sich die Mannschaft unterm Strich nicht weiterentwickelt hat in den letzten 18 Monaten. Insofern ist der Klassenerhalt in der abgelaufenen Saison als Erfolg zu verbuchen. Mehr konnte Dutt in Bremen aber nicht bewegen.

Seite 1: Welche Fehler hat Dutt gemacht?

Seite 2: Warum die Entscheidung für Skripnik?

Seite 3: Welche Rolle spielt Eichin?

Seite 4: Was muss und wird sich ändern?

Seite 5: Wie "anders" kann Werder noch sein?

Warum jetzt die Entscheidung für Victor Skripnik?

Wahrscheinlich ist die Beförderung des Ukrainers ein Produkt mehrerer Faktoren. Schenkt man den Ausführungen von Eichin der letzten Tage und Wochen Glauben, war das Vertrauen in Dutt bis zuletzt da. Die mögliche Suche nach einem Nachfolger für den Fall der Fälle musste im Verborgenen geschehen - oder aber innerhalb der eigene Reihen stattfinden. Die zuletzt im Raum stehenden Namen wie Holger Stanislawski, Michael Frontzeck oder Huub Stevens waren ein paar Blendgranaten, mehr nicht.

Skripnik ist seit 18 Jahren im Verein, bis 2004 als Spieler, seitdem als Trainer verschiedenster Jugendmannschaften und zuletzt als Chef der U 23. Dem bald 45-Jährigen Stallgeruch zu attestieren, wäre wohl noch untertrieben.

"Die Entscheidung für Victor ist ein sehr konsequenter Schritt unserer Philosophie. Wir wollten hier bei Werder auch einen Trainer für solche Fälle entwickeln, um einen zu haben, der egal wie die Situation ist, auch mal eine Cheftrainerrolle übernehmen kann", sagt Eichin. "Er war immer ein ganz klarer Platzhalter für so eine Situation. Es ist nur konsequent, einem Trainer, von dem wir sehr, sehr viel halten, nun auch die Chance zu geben zu zeigen, was er drauf hat."

Die Gerüchte, Werder hätte sich auch aus finanziellen Gründen für eine preisgünstige, interne Lösung entschieden, wies Eichin zurück. "Die Finanzen haben in dem Zusammenhang überhaupt keine Rolle gespielt. Bei einer Entscheidung dieser Tragweite darf es nicht an finanziellen Mitteln fehlen. Es war von Anfang an klar, dass wir diese Variante bevorzugen. Es ist ein Weg, der zu Werder Bremen passt und der, mit dem wir uns alle am wohlsten fühlen."

Die Ablöse für einen anderweitig unter Vertrag stehenden Trainer bezahlen zu müssen oder einen bereits etablierten Coach mit einem entsprechend hohen Gehalt ködern zu müssen, waren aber sicherlich keine Nachteile in der Entscheidungsfindung.

Dass Skripnik nicht sofort einen entsprechend ausformulierten und auch bezahlten Vertrag als Trainer der Profis bekommt, stellt für Eichin kein Problem dar. "Victor ist keine Interimslösung oder eine Lösung auf Zeit! Wir haben vollstes Vertrauen in ihn, er ist momentan unser Mann. Er hat einen längerfristigen Vertrag bei uns und ich muss nicht heute oder morgen dran denken, ihn als Trainer für die Profimannschaft so auszustatten. Das werden wir sicherlich zu gegebener Zeit tun, wenn die Arbeit der nächsten Tage getan ist. Erst dann wird alles besprochen, um eine vernünftige Grundlage für alle Beteiligten zu schaffen."

Skripnik hat sich als Trainer im Verein hochgearbeitet, er kennt die Strukturen, die handelnden Personen und natürlich jedes Talent von der U 17 aufwärts. Denn das ist mittlerweile ja auch eine der Stützen der grundsätzlichen Philosophie in Bremen: Endlich wieder eigene Jugendspieler dahingehend zu entwickeln, dass sie den Sprung zu den Profis schaffen und später für gutes Geld unter Umständen verkauft werden können. Hierfür kann es keinen Besseren geben als den ehemaligen U-19 und U-23-Trainer Skripnik.

Auf der anderen Seite sind das auch eher mittelfristige Belange. Daneben braucht es auch einen Trainer, der eine schleunige Veränderung im Spiel der Profis herbeiführt und die aktuelle Situation in den Griff bekommt. Und hierfür hat Skripnik auf dem Niveau keinerlei Referenzen vorzuweisen.

Spannend wird auch die Frage sein, wie schnell und bedingungslos die Profis ihm als ehemaligen Amateurtrainer folgen. Skripniks Reputation beschränkt sich als Spieler auf eine längst verblichene Zeit und als Trainer auf den Nachwuchsbereich. Insofern könnte Co-Trainer Torsten Frings da eine gewichtige Rolle zukommen. Der ist in der Tat jedem Spieler ein Begriff und strahlt dank seiner Vita auch eine ungeheure Autorität aus.

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Welche Rolle nimmt Thomas Eichin ein?

Mit der wachsenden Kritik an Dutt rückte auch dessen Vorgesetzter immer noch ein Stück mehr in den Fokus. Eichin hat Dutt verpflichtet, es war seine zweite einschneidende Entscheidung nach der Trennung von Thomas Schaaf.

Eichin ist in Bremen als Reformator und Aufbauhelfer angetreten, Ex-Aufsichtsratschef Willi Lemke sprach bei Eichins Vorstellung damals von einer "smarten Lösung" nach dem Weggang von Klaus Allofs. Hinter den Kulissen hat Eichin notgedrungen einiges angestoßen und umgekrempelt.

"Wir haben einen alternativlosen Plan, Spieler aus dem Nachwuchsbereich einzubauen. Dazu die kreativen Transfers, die immer Zeit benötigen, um Qualität zu entwickeln", sagt er und stellte entsprechend die Zuständigkeiten im Nachwuchsbereich um.

Im Tagesgeschäft fällt seine Bilanz aber ernüchternder aus. Die Entscheidung für Dutt als Schaaf-Nachfolger hat sich nach nur 17 Monaten als die Falsche herausgestellt. Eichin hat gemäß Vorgaben von oben den Etat des Kaders nochmal drastisch reduzieren müssen, mittlerweile liegt das Budget bei rund der Hälfte dessen, was Werder in den fetten Zeiten der Champions League für seine Spieler ausgeben konnte.

Trotzdem wurde unter Eichin auch im zweistelligen Millionenbereich in Zugänge investiert. Die Zahl der Treffer nimmt sich dabei ausgesprochen gering aus. Kaum ein Spieler hat der Mannschaft bisher dauerhaft weiterhelfen können. Trotzdem bleibt Eichin bei seiner Meinung, dass die Verpflichtungen insgesamt gesehen gar nicht so schlecht seien. Immerhin seien die "Argumente der Kritiker bei Platz 18 berechtigt."

Die Qualität der Mannschaft ist im unteren Drittel der Bundesliga anzusiedeln, auch wenn Eichin dies so nicht stehen lassen mag. "Es ist eine müßige Frage und Diskussion. Sicherlich haben wir keinen Kader - und das ist auf Grund der Historie der letzten Jahre auch gar nicht möglich - der in anderen Bereichen agieren kann. Aber sicherlich auch nicht auf dem 18. Tabellenplatz", sagt er.

Zuletzt betonte er immer wieder zu Recht, dass die Zusammenstellung des Kaders nicht allein in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Und dass das Team durchaus in der Lage sei, im Abstiegskampf zu bestehen. "Da haben wir schon - auch Robin, wir haben die Mannschaft ja gemeinsam zusammengestellt - höhere Ansprüche an die Mannschaft. Diese Mannschaft ist in der Lage, besser als Platz 18 da zu stehen."

Mit dem zweiten Trainerwechsel innerhalb kurzer Zeit steht auch Eichin im Wind. Bisher hatte Robin Dutt die meisten Prügel bezogen. Das wird sich von nun an zwangsläufig ändern. Zuletzt konnte sich Eichin nur noch seine Eloquenz bewahren - Inhalte lieferte er immer weniger.

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Was muss oder wird sich ändern?

Victor Skripnik hat nicht viel Zeit, um die entsprechenden Hebel zu bedienen und aus einem verunsicherten und lamentierenden Haufen von Profis wieder eine funktionierende Mannschaft zu formen. Am Dienstag geht es im DFB-Pokal in Chemnitz nicht nur um das Erreichen der dritten Runde - es geht zugleich auch um mögliche Mehreinnahmen, womöglich im Millionenbereich.

In der Liga folgen der Auswärtsauftritt in Mainz und danach das Heimspiel gegen einen direkten Konkurrenten, den VfB Stuttgart. In erster Linie wird Skripnik mit seinem Trainerteam als Psychologe und Motivator gefragt sein. An den grundsätzlichen Abläufen im Bremer Spiel kann in wenigen Trainingseinheiten nur marginal geschraubt werden.

Am leichtesten sind noch Standardsituationen einzustudieren, die zuletzt fast ausnahmslos harmlos waren. Und natürlich wird Skripnik auf der einen oder anderen Position personelle Veränderungen vornehmen (müssen). Levent Aycicek oder Ludovic Obraniak, die unter Dutt kaum berücksichtigt oder sogar auf die Tribüne verbannt wurden, wittern eine neue Chance. Özkan Yildirim wird nach seiner langen Pause auch wieder eine Option werden. Vielleicht zieht Skripnik sogar den einen oder anderen Spieler aus der U 23 nach oben.

Eichin wird in Zusammenarbeit mit Rouven Schröder längst schon potenzielle Zukäufe für die Wintertransferperiode im Blick haben. Denn dass Werder auf dem Transfermarkt etwas tun muss, dürfte klar sein. Schröder wurde extra dafür aus Fürth losgeeist, die von Eichin formulierten "kreativen Transfers" aufzuspüren und durchzuziehen. Spätestens jetzt steht auch Schröder im Fokus, nachdem die Sommertransferperiode eine Art Warmlaufen für ihn war.

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Wie "anders" kann Werder noch sein?

In Bremen sind sie stolz darauf, dass Werder eben nicht nur einer von 18 Bundesligisten ist. Sondern dass sich der Klub immer wieder von der großen Masse absetzen konnte, andere Wege beschritt, nicht den angeblich klaren Gesetzmäßigkeiten des Geschäfts unterwürfig war.

Dieser Sonderstatus bröckelte zuletzt immer mehr. Eichin hat in seiner noch jungen Amtszeit in Bremen nun schon zwei Trainerwechsel moderieren müssen. Er selbst kam erst vor nicht einmal zwei Jahren. Am Wochenende wurde der Wechsel im Aufsichtsrat vollzogen, von Willi Lemke zu Marco Bode.

Einige Rochaden waren erzwungen, andere wurden aus freien Stücken entschieden. Tatsache ist, dass die Fluktuation bei Werder auf den entscheidenden Positionen in den letzten zwei Jahren hoch war und sogar höher als bei den meisten Konkurrenten in der Liga. Für einen Klub, der weit mehr als ein Jahrzehnt von denselben Machern geleitet wurde, eine sehr auffällige Erkenntnis.

Eichin verfiel bei seinen Erklärungen zuletzt auch in die üblichen Floskeln, sprach von einer "Ergebniskrise", von "gefährlichen Tendenzen", "Druck von außen" und dem "neuen Impuls", den die Mannschaft nun benötige. Hundertfach gehörte Argumente oder Erklärungsversuche, die man aus Stuttgart, Hamburg oder Köln kannte - aber nicht aus Bremen.

Teile der Fans im Stadion äußerten nicht erst am Freitag nach der Niederlage gegen Köln ihren Unmut mit lauten Pfiffen. Auch in den Heimspielen gegen Schalke oder Freiburg wurde es vom Oberrang der Ostkurve laut. Dass die Mannschaft aber nach einer Partie von fast der gesamten Kurve - auch den Ultras im Unterrang - beschimpft wurde, ist neu. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

Nach der Partie hatten sich rund 300 Anhänger am Spielerausgang postiert und forderten Spieler und Verantwortliche zu Gesprächen auf. Einige Spieler konnten das Gelände erst nach Eingreifen der Ordnungskräfte verlassen, nachdem einige Fans ihnen den Weg versperrten. Dort soll es unter anderem auch zu einigen Entgleisungen gegen Cedric Makiadi gekommen sein, es sollen rassistische Parolen gerufen und der Spieler auch handgreiflich attackiert worden sein. Werder wollte den Vorgang weder dementieren noch kommentieren.

Die Szenerie erinnerte aber ungeachtet des Wahrheitsgehalts der Vorwürfe an die anderer Bundesligisten, die in ähnlich prekären Situationen mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten oder haben. Teile der Bremer Anhängerschaft, auf deren Leidensfähigkeit der Klub bisher zu Recht immer wieder verweisen konnte, nehmen sich da nicht mehr viel aus.

Ungeachtet der emotionalen Ebene könnte sich alsbald auch die Erkenntnis durchsetzen, dass Werder es sich auf Dauer vielleicht doch nicht leisten kann, auf den Stadionnamen "Weserstadion" zu bestehen oder sich frisches Geld von außen zu beschaffen. Auch das wäre ein Schritt hin zur Bundesliganormalität. Für einen Klub wie Werder aber unumgänglich.

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Der SV Werder Bremen im Überblick