SPOX: Präsident Bernd Wahler meinte, es sei wichtig, junge Spieler einzubauen, aber man dürfe sie nicht verheizen. Wurden in den vergangenen Jahren in Stuttgart junge Spieler verheizt?
Adrion: Ich stimme dem Präsidenten dabei absolut zu. Jeder Verantwortliche beim VfB weiß, welche Talente in den nächsten Monaten oder Jahren den Sprung schaffen können. Man muss jedoch den richtigen Zeitpunkt für die Beförderung finden. Es macht keinen Sinn, einen Spieler zwei Jahre lang als Nummer 20 bei den Profis mitlaufen lassen.
SPOX: Wie problematisch ist es für junge Spieler, dass die Profis im Abstiegskampf stecken? In einer solchen Drucksituation ist wenig Platz für Anfängerfehler.
Adrion: Für junge Spieler ist es grundsätzlich wichtig, in eine Mannschaft mit intakter Hierarchie zu kommen, in der es erfahrene Spieler gibt, die den Talenten den Druck nehmen. Aber der Abstiegskampf kann auch eine lehrende Erfahrung für die weitere Karriere sein.
SPOX: Sie selbst hatten schon beim DFB viel mit Nachwuchsspielern zu tun. Bei Ihrer letzten EM mit der U21 schied Deutschland in Israel aus, auch weil zahlreiche Stars damals mit dem A-Team auf USA-Reise gingen. Waren Sie sehr verärgert?
Adrion: Ich bin niemandem böse. Es war einfach ein anderes Konzept, das von der Führungsebene so festgelegt wurde. Joachim Löw wollte die Spieler schon frühzeitig in der A-Nationalmannschaft integrieren. Das war von vornherein klar. Ein Jahr später sind wir Weltmeister geworden, also kann es nicht falsch gewesen sein.
SPOX: War es ein Grund für die Trennung, dass Sie als Trainer nicht aus dem Vollen schöpfen konnten?
Adrion: Es war nicht der einzige Grund. Ich wollte nicht nochmal einen Jahrgang über zwei Jahre aufbauen und natürlich war der DFB auch mit den Ergebnissen nicht zufrieden. Mit dem vorhandenen Spielermaterial wäre vielleicht mehr drin gewesen. Zumal wir im Jahr davor die Qualifikation für die WM verpasst hatten. Dafür war aber die Durchlässigkeit an Talenten enorm hoch. Viele meiner Spieler fanden schnell den Weg in die A-Nationalmannschaft.
SPOX: Sie verspüren also keinerlei persönliche Enttäuschung?
Adrion: Ich war damals schon etwas enttäuscht. Aber es kamen auch andere Faktoren erschwerend hinzu. Wir hatten zum Beispiel enormes Verletzungspech. Dazu wurden die beiden Niederlagen gegen Spanien und die Niederlande erst kurz vor Schluss besiegelt.
SPOX: Anfang dieser Saison stand die U19-EM auf dem Programm. Weil sie auf die Vorbereitung der Bundesligisten fiel, wurden viele Top-Talente wie Schalkes Max Meyer oder Timo Werner vom VfB von ihren Klubs nicht freigegeben. Ist der Stellenwert der U-Mannschaften in Deutschland so gering?
Adrion: Das ist durchaus möglich. Ich bin immer noch überzeugt, dass man Talenten die Chance ermöglichen sollte, internationale Erfahrung bei großen Turnieren zu sammeln. Dadurch können sie sich enorm verbessern. Aber das muss natürlich im Einklang mit den Interessen des jeweiligen Vereins geschehen.
SPOX: Woher rühren diese Unterschiede?
Adrion: Man muss differenzieren. Nicht alle sträuben sich, aber bei Terminkollisionen muss man darüber reden. Man bewegt sich in einem Spannungsfeld. Bei den Italienern oder Spaniern zum Beispiel gibt es damit kein Problem. Da ist ein Thiago bei der Weltmeisterschaft dabei und spielt ein paar Monate wieder in der U21.
SPOX: Weshalb ist das so?
Adrion: Den Spielern wird vermittelt, wie wichtig das für ihre Ausbildung ist. Das betrifft die Spieler, die in der A-Nationalmannschaft noch keine Stammkräfte sind. Es wird auf dem Weg zum A-Nationalspieler auch eine gewisse Einstellung zum Nationalverband erwartet. Es ist ja durchaus logisch, dass ein internationales Top-Turnier einen Spieler wie Thiago weiterbringen kann. Letztlich wurde er 2011 und 2013 Europameister und beide Male zum besten Spieler des Turniers gewählt.
SPOX: Ihre Haltung zu dieser Thematik hat sich offensichtlich auch durch den Seitenwechsel nicht geändert. Was haben Sie aus Ihrer DFB-Zeit denn mitgenommen?
Adrion: Die Professionalität und Planmäßigkeit, die beim DFB herrscht, nehme ich mit. Auch den Überblick über all die Talente, die es in den verschiedenen Altersstufen gibt. Da kann ich mein Wissen für den VfB gut einbringen.
SPOX: Ist das nicht sogar ein gewaltiger Wissensvorsprung im Vergleich zur Konkurrenz?
Adrion: Kann man so sagen. Ich habe das Geschäft aus vielen verschiedenen Perspektiven betrachten können, das birgt schon einige Vorteile.
SPOX: Ohne Nachteile?
Adrion: Ich kann selbst nicht mehr mitspielen (lacht). Dazu wird die Kluft zur Jugend und den Dingen, die sie bewegt, immer größer. Aber solange Spieler das Wesentliche im Fokus behalten - Fleiß, Respekt und die Entwicklung als Persönlichkeit - ist mir das egal. Indem ich mich damit auseinandersetze, bleibe ich auch jung.
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