Tuchel: "Es ist ein Spagat"

Jochen Tittmar
21. Juli 201513:00
Thomas Tuchel erläutert seine bisherige Arbeit beim BVBgetty
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Thomas Tuchel hat sich im Trainingslager von Borussia Dortmund im schweizerischen Bad Ragaz auf der Pressekonferenz zum aktuellen Stand der Mannschaft geäußert. Tuchel sprach über die Torwartfrage, ein spezielles System und seine Angewohnheit, den Trainingsplatz im Vorfeld der Einheiten selbst abzustecken.

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BVB-Trainer Thomas Tuchel über...

über die Hingabe der Mannschaft: Ich finde, dass wir sehr bescheiden und mit großer Lust trainieren. Mit bescheiden meine ich in Anerkennung des Talents, das wir haben. Großes Talent verpflichtet aber auch zu großem Fleiß und der Bescheidenheit, das Talent auch auszunutzen. So erlebe ich das derzeit, damit fühlen wir uns sehr wohl. Wir haben das Gefühl, dass die Mannschaft Lust hat. Lust auf Training und offen ist für neue Impulse und Reize.

... die Stärken und Schwächen seines Teams: "Das, was ich geschildert habe, ist natürlich eine große Stärke. Es ist gleichzeitig die Basis, konstant Leistung zu bringen, einen besonderen Geist und eine Atmosphäre zu schaffen, um das Talent auszuschöpfen. Wir wollen dahin kommen, dass die Mannschaft das Talent strahlen lässt und nicht umgekehrt. Dieser Geist, die Lust auf Training, die Offenheit für Neues, die besondere Hingabe und die Fähigkeit, sich in einer gewissen Ruhe zu konzentrieren, das alles sehe ich im Moment als große Stärke der Mannschaft. Rein sportlich sind wir wie gesagt dabei, einen Geist herzustellen und eine mannschaftliche Mentalität für das Training und unser tägliches Miteinander zu finden, damit diese Talente auf der Basis von Teamwork strahlen. Inhaltlich ist man als Trainer ja nie zufrieden. Wir machen gerade einen Spagat zwischen Athletik und läuferischen Impulsen und Ausdauer, kombiniert mit Ballbesitz und Verteidigungsverhalten - sowohl individuell, als auch gruppentaktisch. Es soll kein Vorwurf oder erhobener Zeigefinger sein, aber da sind wir nicht da, wo wir sein wollen. Es gibt noch viel zu tun. Das ist völlig wertfrei gemeint."

... die kurze Vorbereitung: "Wir glauben wirklich, dass diese Kürze der Zeit und auch die Anerkennung der Strapazen der Vorsaison auch noch mit hinein gehört. Das kostet Kraft und viel Energie, es war für den ganzen Klub und die Spieler eine sehr strapaziöse Saison. Es gilt nun, sich davon zu erholen und eine Ruhe zu schaffen, damit die Spieler darin auch Leistung bringen können. Das ist das Eine. Das Andere ist, dass es auf jeden Fall ein gedrängter Terminkalender mit einer tollen Asienreise, die wir auch sehr gut genutzt haben, ist. Da gibt es auch keinen Grund zu jammern. Von der Zeitumstellung und vom Reiseaufwand hat sie aber körperlich und mental viel von uns verlangt. Nächste Woche steht bereits das erste Pflichtspiel an. Sie merken: Es ist ein Spagat. Wir wären wahrscheinlich noch in wesentlich größeren Umfängen und höherer Intensität, wenn wir nächste Woche kein Pflichtspiel hätten. Das würde uns auch gut tun. Wenn wir ein ganz weißes Blatt Papier hätten, würden wir vielleicht auch zwischendrin fünf Tage frei geben, um das alles einmal sacken zu lassen und zur Ruhe zu kommen. Eine solche zweigeteilte Vorbereitung wäre vielleicht auf einem weißen Blatt Papier ideal gewesen. Es ist aber nicht so. Deshalb haben wir sehr früh für uns intern beschlossen: Wahrscheinlich ist weniger mehr. Wir müssen uns alle, auch im Trainerteam, disziplinieren. Wir brauchen immer einen Tick Rest-Frische, um die Spiele erfolgreich zu bestreiten. Die Basis, die wir in den Testspielen jetzt auch abgetestet haben, kriegen wir nicht in vier Wochen hin. Dafür brauchen wir Zeit und Beharrlichkeit, das wird uns die ganze Hinrunde durch begleiten."

... ein spezielles System, das er für den BVB im Kopf hat: "Das, was mir systematisch vorschwebt, ist nicht entscheidend. Wir dürfen uns nicht von einer in der Theorie guten Idee verleiten lassen, wenn wir nicht so weit sind, das auch zu spielen. Die Spieler sollen sich mit den Mitspielern, den Aufgaben und in den Räumen, in denen wir sie aufstellen, wohlfühlen. Wir sind noch dabei, die Spieler kennenzulernen. In Mainz haben wir aus Gefühl der krassen Unterlegenheit damit begonnen, viele Systeme zu spielen. Wir haben die Grundordnung der anderen Mannschaften gespiegelt, um defensiv ganz schnell und ohne nachzudenken Zugriff zu bekommen. Diese Situation hat sich auch in Mainz verändert. Wir haben gemerkt, dass die Unterschiede im Detail gar nicht so groß sind, dass die Spieler das wochenlang einstudieren müssten. Hier haben wir nun höhere Qualität, die Dortmund in den letzten Jahren automatisch auch zu einer dominanten Mannschaft gemacht hat. Wir nehmen diesen Aspekt des Spiels ernst und wollen ihn genauso wie den Aspekt des Verteidigens nicht vernachlässigen. Das gilt es nun in ein großes Ganzes zu gießen. Es ist ganz wichtig, dass wir die Mannschaft nicht mit theoretischen Modellen und einer gewünschten Flexibilität überfrachten. In Bochum haben wir beispielsweise in einer Raute gespielt und dabei ganz wichtige Rückschlüsse gezogen, wo die Unterschiede zu den vergangenen Formationen sind. Wir werden uns ein bisschen ausprobieren, sodass es am Ende nicht mehr so entscheidend ist, wie die Grundformation heißt. Der praktische Ansatz geht über alles."

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BVB-Trainer Thomas Tuchel über...

... Videoschulungen: "Ich habe absolut das Gefühl, dass die Mannschaft auch am Videobild super lernt. Das ist ganz normal, durch Sehen und Nachmachen ist ein großer Lerneffekt zu erzielen. Auch da gilt: Wir verlangen im Moment sehr viel sehr schnell. Das ist alles sehr komplex: Es gibt neue Trainingsformen, eine neue Art der Ansprache, teilweise ist sogar der Tagesablauf ein anderer. Da muss man aufpassen, das Rad nicht zu überdrehen. Es gibt auf jeden Fall immer wieder Videoanalysen vom Training und den Partien, um die Spieler vor allen Dingen in ihren Verhaltensweisen zu bestätigen."

... die Torwartfrage: "Es ist alles vorstellbar. Die Entscheidung wird getroffen, wenn sie getroffen werden muss. Auf jeden Fall ist jetzt kein Zeitpunkt gekommen, in der Torwartfrage etwas zu entscheiden. Ich bin entspannt und äußerst zufrieden mit den Leistungen aller drei Torhüter. Ich möchte auch ein Sonderlob an Hendrik Bonmann aussprechen, der als Nummer drei toll trainiert und eine gute Stimmung hinein bringt. Roman Bürki hat sich super eingebracht, auch Roman Weidenfeller spielt als Platzhirsch und langjährige Nummer eins eine Top-Rolle, auch innerhalb der Mannschaft. Diese Situation kann man sich nur wünschen. Wir beobachten das jetzt und entscheiden dann, wenn es nötig ist."

... eine veränderte Ansprache: "Wahrscheinlich ja und nein. Ich habe es einmal verglichen mit der Situation, als ich als A-Jugendtrainer vor eine Bundesliga-Mannschaft treten musste. Das war wahrscheinlich ein ähnlicher Schritt wie jetzt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es am besten ist, wenn man einfach so bleibt, wie man ist. Alles andere wäre nicht von Dauer, weil es nicht echt wäre. Meine Ansprache hat sich auch in den fünf Jahren Mainz mit jedem Jahr ständig verändert. Wir bemühen uns selbst, mit einer großen Offenheit in die Aufgabe zu gehen und den Spielern viel Anerkennung und Wertschätzung entgegen zu bringen - unabhängig davon, ob sie den Weltmeistertitel geholt haben oder ob sie Nachwuchsspieler sind. Im Moment geben sich alle Mühe, die Trainer eingeschlossen (lacht). Ich bin nicht blauäugig: Je näher die Saison kommt, wird es auch harte Entscheidungen geben - dann werden wir sehen, ob das auch so bleibt. Ich kann aber nicht erkennen, dass sich über den veränderten Status auf der Autogrammkarte der Habitus des Spielers automatisch verändert." SPOX

... über sein frühes Erscheinen beim Training: "Ich bin ja am Ende des Tages für alles verantwortlich (lacht). Ich baue den Platz gerne mit auf. Mir blutet das Herz, wenn wir den dann kaputt machen. Dann helfe ich ein bisschen mit. Ich habe den Kindern des Platzwartes einen kleinen Tipp gegeben, wie man das ein bisschen besser machen kann. Ich bin ja Trainer. In meinem allerersten Profijahr habe ich auf- und abgebaut, das mache ich übrigens schon immer. Damals hat Florian Heller mal zu mir gesagt: Trainer, du brauchst jetzt nicht mehr auf- und abzubauen. Ich dachte nur: Was meint der? Bitte schreibt mir nicht zu, dass ich deshalb ein guter und akribischer Trainer wäre. Jeder Trainer darf das auf seine Weise machen. Ich gehe gerne früh mit raus, das ist für mich eine Art der Vorbereitung. Damit wir eben das, was wir in der Theorie geplant haben, sehen und abschreiten. Da ergeben sich dann auch manchmal noch Änderungen. Das ist zur Gewohnheit geworden und es gibt keinen Grund, damit aufzuhören, nur weil man Trainer von Dortmund ist. Michael Zorc hat noch nicht gesagt, ich solle damit aufhören (lacht)."

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