33 Jahre ist es her, dass der SV Darmstadt 98 zuletzt in der Bundesliga spielte. Nun sind die Lilien zurück. Kapitän Aytac Sulu berichtet im Gespräch mit SPOX über die härteste Vorbereitung seines Lebens, den neuen Konkurrenzkampf am Böllenfalltor und verrät zudem, zu welchem Verein er zu Fuß laufen würde und welche Phase seines Lebens ihn am meisten prägte.
SPOX: Herr Sulu, sagt Ihnen der Vorname Hikaru etwas?
Aytac Sulu: Was? Welcher Name? (lacht)
SPOX: Hikaru...
Sulu (überlegt lange): Nein, absolut nicht.
SPOX: Dann klären wir Sie mal auf. Hikaru war der Vorname von Captain Sulu, einem Steuermann der USS Enterprise. Sie haben den SV Darmstadt 98 als Kapitän in die Bundesliga geführt. Gewisse Parallelen gibt's also schon. Was ist das für ein Gefühl?
Sulu: Man ist natürlich ein Stück weit stolz, solch eine Truppe von der 3. in die 1. Liga geführt zu haben. Wenn man überlegt, was wir in den letzten zwei Jahren erreicht haben, ist das eine fantastische Sache.
SPOX: Nun steht das Abenteuer Bundesliga an. Die Lilien begannen als erster Bundesligist mit der Vorbereitung. Bereits vier Wochen nach dem Aufstieg bat Trainer Dirk Schuster zum Trainingsauftakt. Hätten Sie sich nicht den einen oder anderen Tag mehr frei gewünscht?
SPOX-Saisonvorschau: Der Wahnsinn geht weiter
Sulu: Die Zeit reichte vollkommen aus, um zu regenerieren. Vier Wochen sind für einen Fußballer eine lange Zeit, zu viel Urlaub wäre auch nicht gut. Zudem hat der Trainer die Vorbereitung auch perfekt unterteilt. In den ersten zwei Wochen ging es um die Grundlagenausdauer, in der Zeit haben wir sehr intensiv gearbeitet. Anschließend hatten wir noch einmal fünf Tage frei und man konnte sich von den intensiven Einheiten erholen, um dann wieder andere Elemente ins Training mitaufzunehmen. Ähnlich haben wir das schon im vergangenen Jahr gemacht - es scheint also kein schlechter Weg zu sein.
SPOX: Schuster setzt enorm auf die Fitness der Mannschaft. Im Trainingslager gab es viele interessante Übungen zu sehen. Vor allem auch, was das Teambuilding betrifft. Auf den sozialen Netzwerken konnte man amüsante Bilder sehen. Beispielweise gab es eine Art Fahrradrallye...
Sulu: ...diese Einheit fällt aber auch in den Bereich der Grundlagenausdauer. Es sah zwar lustig aus, aber es war richtig anstrengend. Es ging in Zweier-Teams um die beste Platzierung. Und da niemand gerne verliert, hat jeder richtig Gas gegeben. Solch eine Trainingseinheit hatte ich bisher auch nicht absolviert. Generell sieht man bei uns im Training, dass wir uns untereinander gut verstehen und einfach Bock auf das Ganze haben. Der Trainer hat in der Vorbereitung die richtige Mischung aus "Schweineeinheiten" und normalen Einheiten gefunden. Wobei es schon das eine oder andere fiese Training gab, aber das gehört zur Vorbereitung dazu.
SPOX: Welches Fazit würden Sie nach der Vorbereitung nun ziehen?
Sulu: Es war definitiv die härteste. Das liegt daran, dass man sich auf die Bundesliga vorbereitet. Insgesamt können wir absolut zufrieden sein. Vor allem war es wichtig, dass wir kaum verletzte beziehungsweise angeschlagene Spieler hatten. Da muss man das Trainerteam loben, das das Training perfekt gesteuert hat, so dass es keine größeren muskulären Verletzungen gab.
SPOX: Mit Luca Caldirola, Konstantin Rausch, Mario Vrancic, Junior Diaz, Peter Niemeyer und Sandro Wagner hat man einige bundesligaerfahrene Spieler verpflichtet. Wie ist bisher der Eindruck von den Neuzugängen?
Sulu: Sehr, sehr positiv. Jeder der Neuzugänge bringt eine ganz neue Qualität mit, die wir so im Team noch nicht hatten. Ganz wichtig aber ist, dass die Jungs auch wieder menschlich zu uns passen und das ist definitiv der Fall.
SPOX: Schuster meinte, man wolle nicht den gleichen Fehler begehen, wie die Aufsteiger in vergangen Jahren, als man fast ausschließlich an der Aufstiegsmannschaft festhielt. Jetzt gilt das Klima beim SVD als besonders kameradschaftlich. Wie wird das denn in der Mannschaft aufgenommen?
Sulu: Die Neuen müssen sich natürlich erst einmal beweisen, das ist klar. Jeder will seinen Platz im Team. Konkurrenz ist immer ein Ansporn. Die Neuzugänge wollen sich beweisen, die Arrivierten hingegen wollen nichts abschenken. Das ist also eine Win-Win-Situation. Wichtig ist aber, dass man den Konkurrenzkampf auf dem Platz und im Training austrägt und nicht auf eine andere Art. Wenn die Neuen vom Charakter dann auch wieder so zu uns passen, wird es da auch keine Streitigkeiten geben, wenn der Trainer den einen oder anderen auch mal nicht aufstellt. Jeder einzelne wird sich fürs Team freuen und auf seine Chance warten. Bei uns wird es keinen Neid und keine Gehässigkeit geben, dafür sind wir als Team schon zu sehr gewachsen. Sollte doch mal jemand ausscheren, würde ich als Kapitän dazwischen gehen.
SPOX: Gibt's im Team irgendwelche Rituale für die Neuzugänge? In England muss man als Neuling immer ein Ständchen trällern...
Sulu: Nein. Sowas gibt's bei uns nicht. Wenn die Planungen vom Verein hinsichtlich des Kaders abgeschlossen sind, werden wir bestimmt einen Termin finden, bei dem wir uns gemeinsam amüsieren können. Aber singen muss bei uns keiner.
SPOX: Vor drei Jahren hatte Darmstadt niemand auf der Rechnung, am Ende stieg man auf. Auch vor der vergangenen Saison galten Sie als Abstiegskandidat Nummer eins. Nun sind die Lilien wieder der größte Außenseiter der Liga. Was ist in der ersten Bundesligasaison nach 33 Jahren zu erwarten?
Sulu: Von uns kann man natürlich nur Überraschungen erwarten (lacht). Wir werden wohl nicht vom ersten Spieltag an im einstelligen Tabellenbereich unterwegs sein. Wir stehen für Power-Fußball und viel Leidenschaft. Fakt ist, dass wir uns im Vorfeld keinem Gegner geschlagen geben oder mit weißen Fahnen auf Spielfeld kommen. Wir werden versuchen, unser Spiel durchzuziehen. Wenn jeder im Team nach dem Spiel völlig erschöpft zu Boden geht, haben wir vieles richtig gemacht. Ob es dann jeweils für Punkte reicht, wird man dann sehen.
SPOX: Welche Rolle spielt das altehrwürdige Böllenfalltor? Wirklich viele Teams werden dort doch nicht mit heller Vorfreude anreisen...
Sulu: Ob das jetzt ein fetter Trumpf ist, weiß ich nicht, denn die Vereine wissen, was sie erwartet. Wir haben bereits im letzten Jahr gezeigt, was hier los sein kann. Es wird mit Sicherheit den einen oder anderen Spieler geben, der nicht wirklich Bock hat, hier zu spielen. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass es einige Spieler gibt, die hier gerne mal auflaufen, weil ihnen das Flair am Böllenfalltor zusagt. Wir als Mannschaft fühlen uns in diesem Stadion wohl und wenn die anderen Teams das nicht tun - umso besser für uns.
SPOX: Kommen wir doch mal zu Ihnen persönlich. Sie sagten einmal, ihr Lebensmotto sei: "Hartes Training ist besser als angeborenes Talent". Passt Aytac Sulu deshalb perfekt ans Böllenfalltor?
Sulu: Das kann man schon so stehen lassen. Wenn man ans Böllenfalltor kommt, ist man nicht zwingend der talentierteste Spieler. Hier trifft man ehrliche Arbeiter, die das Talent nicht direkt in die Wiege gelegt bekommen haben. Von daher hat es ganz gut gepasst, als ich hier vor fast drei Jahren unterschrieben habe.
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SPOX: Mit 29 Jahren werden Sie nun in der Bundesliga debütieren. Dabei haben Sie eine interessante Vita vorzuweisen. Über Sandhausen, wo ihre Karriere begann ging es über Bahlingen, der zweiten Mannschaft von Hoffenheim, den VfR Aalen in die Türkei und nach Österreich. Hatten Sie die Bundesliga dennoch immer im Visier?
Sulu: Mit meinem Wechsel damals in die Türkei (Sulu wechselte 2011 vom VfR Aalen zu Genclerbirligi, Anm. d. Red.) wollte ich im Profifußball Fuß fassen. Es war immer mein Traum, in der Süper Lig zu spielen. Leider gelang das nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich kam in eine Mannschaft, die wohl das beste Jahr in ihrer Vereinsgeschichte hatte. Da war es natürlich schwer, sich einen Platz zu erkämpfen. Zumal die Konkurrenzsituation auf meiner Position damals sehr groß und die Mannschaft erfolgreich war. Der Trainer hatte keinen Grund zu wechseln und so kam ich nur auf zwei Einsätze in der Saison. Nachbetrachtet kann ich sagen, dass die Zeit in der Türkei mich trotz allem geprägt hat. Ich habe mich als Mensch entwickelt, wurde dadurch erfahrener und ruhiger. Als ich mit Darmstadt sportlich in die 4. Liga abgestiegen war, machte ich mir schon meine Gedanken. Es gab damals zwei Optionen: Entweder, ich versuche es noch einmal in der 3. Liga oder ich gehe meinem Beruf nach und spiele nur noch unterklassigen Fußball. Durch den letztlichen Klassenerhalt der Lilien 2013 bekam meine Karriere nochmals eine ganz neue Richtung und ich ging einen besonderen Weg. Dass ich am Ende mit Darmstadt in der Bundesliga spielen werde, hätte ich mir nie zu träumen gewagt.
SPOX: Stichwort persönliche Entwicklung. Welche Station hat Sie denn am meisten geprägt?
Sulu: Mein Auszug von Zuhause, als ich als 18-Jähriger zum Bahlinger SC gewechselt bin. Ich kam in eine Stadt, in der ich noch keine Freunde hatte und machte zeitgleich eine Ausbildung. Das war ein gewaltiger Schritt. Zwar war das sportlich nicht der Knaller, weil ich in der Verbandsliga spielte, aber für mich persönlich war dieser Schritt, der, der mich in meiner Entwicklung am meisten voran gebracht hat.
SPOX: Sie zogen also eine Ausbildung der Profikarriere zunächst vor. Haben Sie sich damals bewusst für diesen Weg entschieden?
Sulu: Das war der Hauptgrund. Ich hatte mich zwar in Sandhausen in den Fokus spielen können, aber für mich war es wichtig, dass ich nach meinem Schulabschluss eine Ausbildung machen wollte. Sandhausen konnte mir das damals nicht bieten, Bahlingen hingegen schon. Also wählte ich diesen Weg. Ich arbeitete dann von 8 bis 17 Uhr, ging um 18.30 Uhr ins Training und fiel um 22 Uhr todmüde ins Bett. So etwas prägt einen natürlich ungemein. 2007 kam dann das Angebot von Hoffenheim II, wo ich auch bei den Profis mittrainieren durfte und mit im Trainingslager war. So fand ich doch noch den Weg in den Profifußball.
SPOX: Nun scheine Sie in Darmstadt Ihr Glück gefunden zu haben. Ihren Vertrag verlängerten Sie vor kurzem bis 2018. Nach Ihren starken Leistungen in den letzten Jahren, gab es im Sommer keine Anfragen für Sie?
Sulu: Wenn man dort ist, wo man sich wohl fühlt, sollte man auch dort bleiben. Natürlich gibt es prinzipiell Vereine, die mehr zahlen, aber ich bin ohnehin kein Spieler, der den Millionen hinterherjagt. Zwar kann man im Fußball nichts ausschließen, aber ich fühle mich seit über zweieinhalb Jahren hier sehr wohl und ich hoffe, dass das auch noch lange der Fall ist.
SPOX: Bei welchem Verein würden Sie denn schwach werden?
Sulu: Darüber mache ich mir keine Gedanken. Ich möchte mit Darmstadt 98 in der 1. Liga bestehen...
SPOX: ...aber wenn jetzt Real Madrid anruft?
Sulu: Dahin würde ich sogar mit dem Fahrrad fahren (lacht). Nein, meine Konzentration gilt einzig und alleine den Lilien und ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass wir das Wunder schaffen und die Klasse halten.
SPOX: Derzeit besitzen Sie nur die türkische Staatsbürgerschaft, sollen bald aber auch die deutsche annehmen. Mal hypothetisch angenommen, Fatih Terim und Joachim Löw würden sich bei Ihnen melden. Welches Trikot würden Sie sich überstreifen?
Sulu: Ich würde mich wahrscheinlich für die türkische Nationalmannschaft entscheiden. Das war schon immer mein Traum, den ich als kleiner Junge hatte. Zudem ist das Team mit den ganzen Legionären wie Arda Turan in Zukunft auch wieder mehr als konkurrenzfähig. Wenn ich also tatsächlich mal entscheiden müsste, würde ich mich voraussichtlich für die Türkei entscheiden.
SPOX: Neben Ihre Karriere studieren Sie auch noch Sportmanagement. Zudem wollen Sie den Fußball-Trainerschein in Angriff nehmen. Steht der Plan für die Karriere nach der Karriere schon?
Sulu: Ich hoffe, dass ich mein Studium im September beenden kann. Der Trainerschein soll dann irgendwann einmal folgen, aber da mache ich mir keinen Stress, zumal ich ja auch noch ab und an mal ins Training gehen sollte (lacht). Ich werde in diesem Jahr noch 30, von daher finde ich es wichtig, dass man über den Tellerrand hinausschaut und sich einmal Gedanken macht, was man nach der Profilaufbahn machen möchte. Es gibt dort einige Optionen, die mich reizen würden.
SPOX: Sie wurden in der vergangenen Saison als Mr. Unbreakable gefeiert. Anfang der Saison zogen sie sich mehrere Knochenbrüche im Gesicht zu und spielten lange mit einer Maske. Kurz darauf erlitten sie einen Cut am Kopf und zogen sich wenig später eigenhändig auf dem Platz einen Zahn. Sind Sie nicht kaputt zu kriegen?
Sulu: Solche Sachen passieren im Sport nun mal. Ich habe deswegen auch keine Angst, weil es verhältnismäßig kleine Verletzungen waren, ich nicht Monate aussetzen musste und auch alles mit den Ärzten abgestimmt war. Diese Sachen gehören dazu. Natürlich wird man zunächst etwas vorsichtiger, aber ich habe dann gemerkt, dass ich gar nicht vorsichtig sein kann. Ich hab auch schon gesagt, dass ich wohl einen kleine Dachschaden haben, dass ich zwei Wochen nach dem heftigen Zusammenprall mit Christian Mathenia (Sulu zog sich diverse Knochenbrüche im Gesicht zu, Anm. d. Red.) wieder auf dem Trainingsplatz stand. Insofern weiß ich nicht, ob da oben noch alles stimmt bei mir (lacht).
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Aytac Sulu im Steckbrief