SPOX: Herr Peters, die Vorbereitung auf dieses Interview ist mir nicht leicht gefallen. Sie arbeiten auf so vielen Baustellen, dass ich gar nicht wusste, wo ich ansetzen soll. Wie schaffen Sie das?
Bernhard Peters: Der Fußball ist sehr komplex und es gibt viele Faktoren, die für die Optimierung von Erfolg von Bedeutung sind. Eine der wichtigsten Aufgaben ist, eine Priorisierung und Hierarchisierung dieser Faktoren festzulegen. Man kann sicher nicht alles alleine schaffen und braucht entsprechende Experten, die die einzelnen Bereiche in den Säulen führen. Unsere Aufgabe ist, daraus ein funktionierendes Netzwerk zu machen.
SPOX: Zwei dieser Faktoren sind Regeneration und Stressbewältigung - von der Jugend bis hin zum Cheftrainer. Wie halten Sie es bei sich persönlich?
Peters: Ob ich die Balance immer zu 100 Prozent habe, sei dahingestellt. Manchmal ist es schwer, den Überblick zu behalten, aber ich arbeite daran. Es hilft enorm, regelmäßige, kurze meditative Pausen einzulegen, in denen man durch richtige Atem-Techniken durchschnaufen und sich auf sich selber konzentrieren kann. Dazu kommt meine Familie, die wie eine Gegenwelt zu meinem Arbeitsalltag ist. Einen 13-jährigen Zwilling interessiert das nicht so, wenn hier beim HSV etwas nicht klappt, sie möchten lieber über ein neues T-Shirt bei Abercrombie mit mir verhandeln.
SPOX: Sie sagten, am Ende Ihrer Zeit als Trainer beim Deutschen Hockey Bund zeigte Ihre Akku-Anzeige langsam rot. Wie viel Prozent zeigt sie nach einem Jahr Hamburger SV?
Peters: Die letzte Saison hat extrem an den Nerven aller Beteiligten gezerrt. Die Situation, in der unsere erste Mannschaft steckte, hat uns alle in ihren Bann gezogen, die mentale Belastung war enorm. Im Anschluss hatten wir dann aber eine intensive Phase der Aufarbeitung und Vorbereitung auf die kommende Saison. Zudem war ich ein paar Tage mit meiner Familie im Urlaub. Mein Akku ist also wieder ziemlich voll, ich bin voller Tatendrang.
SPOX: Im November haben Sie ein neues Jugendkonzept vorgestellt. Können Sie dies kurz skizzieren?
Peters: Ein so komplexes Thema kann man nicht mit wenigen Sätzen erklären, ich gebe Ihnen aber gerne einen kurzen Überblick. Die Idee im Grundlagenbereich ist, Bewegungstalenten ein kindgerechteres Umfeld zu schaffen, in dem sie Fußball spielen und sich entwickeln können - gleichzeitig wollen wir eine Vertrauensbasis zu den Spielern und Vereinen aufbauen. Teil dessen ist, die Spieler erst ab der U11 zu uns zu holen. Stattdessen bieten wir den Trainern sehr interessante Fortbildungsmöglichkeiten an.
SPOX: Was sind das für Fortbildungen?
Peters: Das ist ganz unterschiedlich. Zwei wichtige Ansatzpunkte sind das pädagogische Führungsverhalten und die kindgerechten inhaltlichen Ideen. Wir unterstützen die Trainer dabei, ihren Horizont zu erweitern. Das hilft nicht nur den Spielern und Trainern, sondern auch den Vereinen und damit letztlich auch uns.
SPOX: Neun Monate sind seitdem vergangen. Wie ist das Projekt angelaufen, wie ist das Feedback aus den Vereinen?
Peters: Sehr positiv. Der Zulauf auf unsere zentralen Fortbildungsmöglichkeiten war sehr groß. In der kommenden Saison wollen wir das Programm weiter ausbauen und verstärkt zu den Vereinen fahren.
SPOX: Aber diese Spieler werden nicht direkt an den HSV gebunden. Haben Sie keine Angst, indirekt Talente für andere Vereine auszubilden?
Peters: Nein. Wir wollen ja bewusst eine Vertrauensbasis schaffen. Die besten Bewegungstalente der kleineren Klubs laden wir alle drei Wochen zum Training auf dem HSV-Gelände ein. Wenn sich ein junger Spieler dann besonders hervortut, gehen wir auf seinen Verein und seine Eltern zu und versuchen, ihnen unseren Weg näher zu bringen. Wenn sie das auch möchten, hat der Spieler dann die Chance, ab der U12 bei uns einzusteigen. Wenn er direkt aus Hamburg kommt, sogar schon ab der U11.
SPOX: Der Kampf um die Talente ist auch schon in diesem Alter irre hart, die sportliche Situation der ersten Mannschaft immer ein Faktor. Mit welchen Argumenten stechen Sie die Konkurrenz aus Bremen, Hannover und Wolfsburg aus?
Peters: Unser Ansatz ist ein anderer, wir wollen die Eltern, Vereine und Trainer durch unsere Idee und unser Konzept, die Talente nicht einfach ohne Reflektion aus Ihren Klubs rauszureißen, überzeugen. Dadurch entsteht eine gelungene Verbindung und Kommunikation. Die Talente, ihre Eltern und Vereine sollen sich mit unserem Weg identifizieren können und den HSV als die richtige Adresse für die nächsten Schritte in der Entwicklung eines jungen Menschen wahrnehmen.
SPOX: Wie gezielt bilden Sie auf aktuelle Problem-Positionen hin aus, beispielsweise die Außenverteidiger?
Peters: Das gehört ohne Frage dazu. Allerdings halte ich nichts davon, damit schon zu früh zu beginnen - im Gegenteil. Im Aufbaubereich zwischen der U12 und U16 muss in erster Linie auf die Variabilität, die Handlungsschnelligkeit und das Entscheiden in komplexen Situation vorbereitet und trainiert werden. Die Einordnung auf nur eine oder zwei Positionen kommt hier zu früh. Für die Vielfalt von kognitiven Entscheidungen ist es von großer Bedeutung, dass die Spieler dieser Altersklassen am Wochenende auf mehreren Positionen eingesetzt werden.
SPOX: Ab wann und mit welchen Mitteln werden dann konkrete Positionen anvisiert?
Peters: Mit der U16 kann man die Spieler individueller ausbilden, beziehungsweise positionsspezifische Übungen trainieren lassen. Durch unterschiedlichste Formen in Spielräumen werden die Entscheidungsprozesse weiter geschärft - dann allerdings auf den jeweiligen Positionen, nicht mehr generell.
SPOX: Bei den großen Turnieren in diesem Jahr haben die deutschen U-Nationalmannschaften enttäuscht. Haben Sie eine Erklärung für das schlechte Abschneiden?
Peters: Das kann man nicht pauschalisieren. Alle deutschen Mannschaften haben die Endrunden erreicht. Allein das ist schon ein Erfolg. Bei den Turnieren ist es dann manchmal wahnsinnig schwer, noch weiterzukommen, wenn man schlecht startet, wie zum Beispiel die U19 gegen Spanien. Das 0:3 hat dem Spielverlauf nicht entsprochen. Trotzdem schleppst du danach ein riesen Paket mit dir rum. Der DFB macht eine sehr gute, systematische Arbeit, auch Hansi Flick hat viele Dinge angestoßen, die optimiert wurden. Was in der Spitze fehlt, ist die Mentalität, wirklich alles umsetzen und abrufen zu können, wenn das Spiel auf der Kante steht.
SPOX: Die Umstrukturierung des Nachwuchs-Konzepts ist nur einer von vielen Punkten, an denen Sie im Verbund mit Dietmar Beiersdorfer und Peter Knäbel ansetzen. Wie viel "Handschrift" konnten Sie dem HSV schon einimpfen?
Peters: Es ist noch etwas früh, um ein Zwischenfazit zu ziehen. Wenn sie Dinge optimieren wollen, müssen sie an viele Strukturen inhaltlicher und personeller Art rangehen. Damit haben wir im letzten Jahr begonnen. Wir haben viele gute Mitstreiter, die uns in den entsprechenden Expertenteams zuspielen und unseren Weg verinnerlicht haben. Gleichzeitig haben wir uns von denen, die diesen Weg nicht mitgehen wollten, getrennt.
SPOX: Was meinen Sie konkret?
Peters: Das betrifft in erster Linie die Trainer im Nachwuchsbereich. Wir wollten dort ein gewisses Veränderungsmanagement und Verbesserungen reinbekommen, für die wir frischen Wind auf einigen Positionen gebraucht haben. Ich bin durchaus zufrieden mit den bisherigen Umbauarbeiten. Wichtig ist, dass uns die Aufträge, die wir uns selber gegeben haben, jederzeit klar vor Augen sind.
SPOX: Solche Umbauarbeiten benötigen Zeit und vor allem Ruhe. Inwiefern wird die Entwicklung von der sportlichen Situation gehemmt? Im Abstiegskampf zählen nur schnelle Resultate...
Peters: Das Eine hat mit dem Anderen recht wenig zu tun. Das Eine ist die multiplizierende Oberfläche der mangelnden Resultate der Profis, die durch die Medien transportiert wird. Alle anderen Schrauben müssen unabhängig davon weitergedreht werden. Wir haben auch in dieser Zeit weitere Schwachstellen in anderen Bereichen identifiziert, die wir jetzt angehen müssen. Dennoch wäre es für uns natürlich eine zusätzliche Motivation und Zugkraft, wenn es mit den Profis in kleinen Schritten bergauf gehen würde.
SPOX: Manche sagen in Bezug auf den HSV spaßhaft, dass Sie eine Good Cop/Bad Cop Situation haben. Auf der einen Seite Dietmar Beiersdorfer, der auch mal einen Spaß öffentlich macht, und auf der anderen Seite Sie als vermeintlich trockener Westfale. Was halten Sie von solchen Vergleichen?
Peters: Wer ist denn was? Ich bin der Gute, oder? (lacht) Ich bin der einfache Junge aus Westfalen geblieben, ich bin da eher schüchtern, das wirkt auf manche Leute durch meine Körpersprache vielleicht arrogant oder nachdenklich, andere interpretieren meine Gesichtszüge als missmutig. Außerdem ist es meine Linie, ohne Drumherum konkret und kritisch in meinen Aussagen zu sein. Wenn man sich die Mühe macht, mit mir näher ins Gespräch zu kommen, braucht man oftmals einen zweiten oder dritten Aufschlag. Beim ersten Mal gelingt es mir meistens nicht, die Menschen für mich einzunehmen. Ich bin eigentlich ein sehr emotionaler Mensch, der total gern lacht, aber ich brauche einige Zeit, um wärmer zu werden. Vielleicht liegt das in der Mentalität der Westfalen, auf jeden Fall aber in der meiner Familie.
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