"FSV als Underdog gibt es nicht mehr"

Benedikt Treuer
22. August 201516:40
Julian Baumgartlinger ist der neue Kapitän beim FSVgetty
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Julian Baumgartlinger tritt als Kapitän beim FSV Mainz 05 die Nachfolge von Klub-Ikone Nikolce Noveski an. Mit SPOX spricht er über seine neue Rolle, kontrastreiche Trainer in Mainz, selbstbewusste Neuzugänge und das gestorbene Underdog-Image beim FSV.

SPOX: Herr Baumgartlinger, sehen wir Sie bei der nächsten Mainzer Fastnacht im Kapitäns-Outfit? Ihre neue Rolle im Team erfordert es fast schon.

Julian Baumgartlinger: Ich glaube eher nicht, wobei ich es auf mich zukommen lasse (lacht).

SPOX: Erst hieß es, Martin Schmidt wollte das Kapitänsamt nicht fest vergeben.

Baumgartlinger: Über ein mögliches Rotationsprinzip wurde mit uns gar nicht gesprochen. Für die Mannschaft war von Anfang an klar, dass es wie immer einen festen Kapitän gibt, zusammen mit einem Stellvertreter und dem Mannschaftsrat. So ist es dann auch gekommen.

SPOX: Erhält dieses Amt für Sie noch einmal eine stärkere Gewichtung als ohnehin schon, wenn Sie bedenken, dass Sie die Nachfolge von Nikolce Noveski antreten - einer absoluten Ikone beim FSV?

Baumgartlinger: Nach so einer langen Zeit ist es natürlich schön, derjenige zu sein, der Nikolces Rolle übernimmt. Die Gewichtung bleibt aber die gleiche. Ich nehme die Verantwortung gerne auf mich. Deshalb muss ich aber nicht mehr daraus machen als es ist.

SPOX: Noveski war ein eher stiller Kapitän. Sie selbst sagten zuletzt deutlich, dass jede Mannschaft eine klare Hierarchie braucht. Sind Sie kommunikativer und lautstärker als Ihr Vorgänger?

Baumgartlinger: Ich habe mir nicht vorgenommen, nur noch rumzuschreien (lacht). Ich habe immer versucht, durch Leistung und Einsatz voranzugehen. Trotzdem ist es auch wichtig, neben dem Platz viel zu kommunizieren. Gerade wenn eine Mannschaft aus vielen unterschiedlichen Charakteren besteht, muss es auch diejenigen geben, die den Mund aufmachen.

SPOX: Niko Bungert, der die Binde zum Ende der letzten Saison trug, zeigte sich nach der Entscheidung überrascht und enttäuscht. Haben Sie mit Ihm darüber gesprochen?

Baumgartlinger: Wir machen nicht alles an der Binde fest. Niko und ich haben in den letzten Jahren immer wieder gemeinsam versucht, Dinge anzupacken und in Führungsrollen hineinzuwachsen. Für mich ist es in erster Linie schön, die Wertschätzung in dieser Form zu erhalten. Natürlich ist Niko ein bisschen enttäuscht. An unserer Beziehung hat das aber nichts geändert. Ich hätte es ihm genauso gegönnt wie er es mir gönnt. Am Ende sind wir alle Teil des Teams. SPOX

SPOX: Zu dem Johannes Geis, Shinji Okazaki und Nikolce Noveski seit diesem Sommer nicht mehr gehören. Ist es auf Dauer nicht anstrengend, sich als Mannschaft jedes Jahr wieder neu erfinden zu müssen? Abgänge von Leistungsträgern sind in Mainz ein wiederkehrendes Muster.

Baumgartlinger: Einerseits ja, andererseits nein. Trotz der Verluste ist ein Großteil des Gerüsts geblieben. Es sind noch immer viele Spieler dabei, die in den letzten Jahren Eckpfeiler waren und Führungsspieler geworden sind. Zudem kamen sehr gute Neuverpflichtungen dazu. Sie können die Positionen adäquat mit ihrer Erfahrung und einer gewissen Unbekümmertheit ausfüllen. Dadurch, dass wir in der Sommerpause auch keinen Trainerwechsel hatten, sind wir ein gutes Stück weiter als im letzten Jahr zu diesem Zeitpunkt.

SPOX: Geis und Okazaki steigen andernorts zu Großverdienern auf. Was hat Sie bewogen, lieber in Mainz zu verlängern?

Baumgartlinger: Das waren viele Faktoren. Die sportliche Perspektive hat aber den Ausschlag gegeben. Zudem fühle ich mich in Mainz und der Umgebung wirklich sehr wohl.

SPOX: Trotzdem haben Sie sich für die Entscheidung Zeit gelassen.

Baumgartlinger: Ich wurde nach meiner Verletzung erst wieder zum Saisonende richtig fit, weshalb mein Fokus zu Beginn des Jahres noch nicht auf dem Vertrag lag. Außerdem bin ich mit 27 Jahren im besten Fußballeralter. Da musste ich mir zwangsläufig meine Gedanken machen, welche Möglichkeiten es überhaupt gibt. Es ging nicht darum, den ganzen Markt abzufragen oder auf das ganz große Geld zu warten, sondern in Ruhe den besten Schritt für meine Entwicklung zu wählen.

SPOX: Neben Ihnen haben auch Loris Karius und Yunus Malli ihre Verträge verlängert - zwei Spieler, die ebenfalls sehr umworben waren. Sind das Beweise dafür, dass Mainz nicht mehr nur ein Ausbildungsverein ist, sondern mittlerweile ein Klub mit überdurchschnittlichen Ambitionen?

Baumgartlinger: Das wird sich erst zeigen, wenn diese Vorgänge konstant passieren. Diese Unterschriften sind ein guter Start. Mit Fabian Frei kam zudem ein Schweizer Nationalspieler, der Champions League gespielt hat. Mit Yoshi Muto hat sich das größte Talent Japans ebenfalls für Mainz 05 entschieden. Unsere Grundidentität haben wir noch, aber das Bild des Karnevalsvereins hat sich geändert. Das hängt natürlich auch mit guter Arbeit außerhalb des Platzes zusammen: Eine gesunde Vereinsstruktur spielt eine ganz wichtige Rolle.

SPOX: Für Sie persönlich war Martin Schmidt aber auch ein wichtiger Baustein. Sie lobten sein klares Bekenntnis zum aggressiven Pressing-Stil. War das unter Kasper Hjulmand abhandengekommen?

Baumgartlinger: Kasper Hjulmand wollte anders mit uns Fußball spielen. Er hatte eine andere Philosophie, die per se auch viel Gutes hat. Seine Ideen passten jedoch einfach nicht zu den Stärken des Kaders - jedenfalls nicht in dieser Zusammenstellung. Es ist schwierig, eine völlig andere Spielidee in den Verein zu bringen, die weg geht vom aggressiven Gegenpressing mit schnellem Umschalten, hin zum sehr ballbesitzorientierten Fußball. Die Zeit hat man heute nicht mehr, er hatte sie auch nicht. Das tut mir leid für ihn, da er menschlich viel Positives mitgebracht hat.

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SPOX:Harald Strutz erklärte im SPOX-Interview, Hjulmand forderte zu sehr ein, dass sich die Mannschaft nach ihm richten muss. Hat die Atmosphäre im Team darunter gelitten?

Baumgartlinger: Das nicht unbedingt. Nachdem klar wurde, dass die Art Fußball, die er sich vorstellte, mit unserer Mannschaft nicht vom Erfolg geprägt war, hätte er vielleicht die eine oder andere Anpassung vornehmen müssen.

SPOX: War er vom Charakter her einfach zu skandinavisch für Mainz 05?

Baumgartlinger: Menschlich ist er ein super Typ. Verglichen mit Thomas Tuchel oder Martin Schmidt war er natürlich ein krasser Kontrast, er war schon sehr ruhig. Das muss aber auch nichts Schlechtes sein.

SPOX: Wobei Thomas Tuchel auch nicht rund um die Uhr zu den extrovertiertesten Trainern gehört, oder?

Baumgartlinger: Doch, das würde ich schon sagen. Er war schon sehr aktiv. Das hat er genauso wie Martin immer vorgelebt. Thomas Tuchel ist ein sehr emotionaler Typ - immer.

SPOX: Haben Sie seine Entscheidung, in Mainz schon vor dem Vertragsende aufzuhören, nachvollziehen können?

Baumgartlinger: Da es keiner wusste, war es eine große Überraschung. So, wie er es uns dargelegt hat, konnte man die Situation aus seiner Perspektive nachvollziehen. Akzeptieren muss man sie ohnehin. Ab dem Moment begann aber schon wieder das nächste Kapitel, sodass wir uns als Mannschaft gar nicht lange damit aufhalten konnten.

SPOX: Kam im Team Unsicherheit auf?

Baumgartlinger: Natürlich denkt in so einem Moment auch jeder Spieler an seine eigene Zukunft. Ein Trainerwechsel bedeutet immer einen Philosophiewechsel. Keiner wusste, ob er im neuen System noch gefragt war.

SPOX: Unter Schmidt werden Leidenschaft und Einsatz nicht nur eingefordert, er lebt beides im Training auch selbst intensiv vor. Ist es das, was Mainz 05 einfach braucht?

Baumgartlinger: Das wird sich herausstellen. In der Rückrunde hat uns seine Art gutgetan, da er die Mannschaft stark gepusht hat. Der Weg fühlt sich bis jetzt gut an.

SPOX: Was man in der Vorbereitung nicht lernt, könne man das ganze Jahr nicht mehr aufholen, sagte Schmidt unlängst. Sehen Sie das Team denn gerüstet für die kommende Saison?

Baumgartlinger: Es war deutlich zu sehen, dass Martin und das Trainerteam in der Vorbereitung einen ganz klaren Plan verfolgt haben. Alles war sehr strukturiert und die Inhalte wurden eindeutig vermittelt. Man hat gemerkt, dass schon viele Dinge stimmen. Das hat nichts mit den Ergebnissen zu tun - die müssen in der Vorbereitung nicht immer positiv sein.

SPOX: Das Mainzer Spiel der vergangenen Saison war sehr stark von Geis geprägt. Zukünftig wird Fabian Frei neben Ihnen auf der Sechs auflaufen. Wie verändert das den Mainzer Spielaufbau, jetzt wo sich Geis nicht mehr nach hinten fallen lässt, um die Bälle zu verteilen?

Baumgartlinger: Wir haben zwar ein Konzept, trotzdem kann man so etwas zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht sicher vorhersehen. Johannes war in unserem Spiel der dritte Innenverteidiger, den gibt es jetzt nicht mehr. Das muss sich aber nicht zwangsläufig negativ auf die Spielqualität auswirken.

SPOX: Fördert die Umverteilung der Aufgaben vielleicht sogar wieder ein Stück weit die Variabilität im Mainzer Spiel?

Baumgartlinger: Das hoffe ich sehr. Durch die Neuen und die wieder genesenen Verletzten haben wir ein breites Kaderangebot im Mittelfeld. Das ist aber keineswegs schlecht, denn die einzelnen Spieler verkörpern die unterschiedlichsten Arten von Sechsern, Achtern oder Zehnern, was uns mehr Möglichkeiten gibt. So lernt die Liga wieder eine neue Seite von uns kennen.

Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.comSPOX: Geht es also wieder zurück zu Thomas Tuchels Spielidee der Unberechenbarkeit und der ständigen Rotation?

Baumgartlinger: Durch die angestrebte Variabilität ist es schon gegeben, dass wieder mehr Systeme verwendet werden können. Ob, und wenn ja wie häufig wir wechseln, ist aber zum Glück dem Trainer überlassen. Vieles hängt von den ersten Wochen ab. Sie entscheiden, ob wir uns auch künstlerisch verwirklichen können. Die Fähigkeit dazu haben wir.

SPOX: Arno Michels, Ihr damaliger Co-Trainer, sagte aus, dass sich das Team unter Tuchel stets dem Konzept des Gegners anpasste, da man sich in der Underdog-Rolle wähnte. Ist der FSV mittlerweile aber in der Lage, dem Spiel seinen eigenen Stempel aufzudrücken?

Baumgartlinger: Das sind wir und das muss man auch sein. Die Liga gibt nicht mehr her, dass man sich immer in einer unterwürfigen Rolle wähnt. Dieses Selbstbild ist nicht mehr möglich, selbst wenn man es gerne hätte. Wenn man sieht, wie in Mainz in den letzten Jahren Fußball gespielt wurde, wird es nicht mehr passieren, dass Ingolstadt zu uns kommt und sagt: 'Mainz ist Außenseiter'. Den FSV als Underdog gibt es nicht mehr. Wir mussten lernen, damit umzugehen, wodurch wir einen Schritt nach vorne gemacht haben.

SPOX: Das hat offenbar auch Fabian Frei imponiert. Vom Team wurde er bereits in den Mannschaftsrat gewählt. Macht ihn seine internationale Erfahrung zu einem Spieler, zu dem man von Beginn an aufschaut?

Baumgartlinger: Man merkt sofort, dass er keine Berührungsängste hat und mit Selbstvertrauen ausgestattet ist. Er kommt hierher und drängt sich fußballerisch gleich in den Vordergrund - er stellt sich nicht hinten an. Dieses Selbstverständnis und seine Art Fußball zu spielen, sind für das Team in erster Linie positiv. Er bringt Qualität mit. SPOX

SPOX: Mit Yoshinori Muto wurde zudem ein weiterer Asiate für den Angriff verpflichtet. Er selbst hat eigenen Aussagen zufolge das Ziel, sich zu einem Top-Spieler zu entwickeln. Unterstreichen die ersten Wochen seine Ambitionen?

Baumgartlinger: Es ist ein ehrgeiziges Vorhaben, aber ich unterstelle jedem Fußballprofi, dass er sich immer wieder auf höchstem Niveau weiterentwickeln will. Diese Zielstrebigkeit ist wichtig. Yoshi ist ein super Athlet mit einer starken Physis. Das ist gerade in der körperbetonten Bundesliga sehr wichtig. Er hat alle Möglichkeiten und viel Talent, wenngleich Offensivspieler primär an Toren gemessen werden. In ein paar Monaten werden wir sehen, ob er auf dem Weg ist, der Liga seinen Stempel aufzudrücken. Ich finde es schön, dass er sich in seinen Träumen und Zielen nicht selbst eingrenzt.

SPOX: Mit Mainz standen Sie schon zweimal unmittelbar vor dem Einzug in die Europa League - beide Male scheiterten Sie in der Qualifikation. Glauben Sie daran, dass diese Chance noch einmal wiederkommt?

Baumgartlinger: Grundsätzlich ist in dieser Liga alles möglich. Die letzten Jahre in der Bundesliga haben gezeigt, dass sich die Tabelle nicht nach dem Geld der Vereine ordnet. Trotzdem bleibt unser übergeordnetes Ziel, die Klasse zu halten. Wenn wir das erreicht haben, sehen wir weiter.

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Julian Baumgartlinger im Steckbrief