"Tradition ist nicht mehr zeitgemäß"

Benedikt Treuer
09. April 201513:43
Auch Harald Strutz stand in Mainz zum Feiern schon auf dem Zaungetty
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Vom Dreisprung-Olympiakader über Nacht zum Präsidenten im Profifußball: Harald Strutz durchlebte beim 1. FSV Mainz 05 sowohl bittere Tiefpunkte als auch historische Sternstunden. Im Interview spricht der DFL-Vizepräsident über Parallelen zwischen Jürgen Klopp und Thomas Tuchel, Heinz Müllers Mobbing-Vorwürfe, die Investoren-Zukunft der Bundesliga und Marketingperspektiven beim FSV.

SPOX: Herr Strutz, den 1. FSV Mainz 05 verbindet man nicht erst seit Ihnen mit dem Namen Strutz. Schon Ihr Vater war einst Präsident des Klubs. Sind Sie nur deshalb beim FSV gelandet?

Harald Strutz: Das hatte nichts miteinander zu tun. Mein Vater war in den 1950er Jahren Präsident, ich bin 1985 auf Anfrage eines Freundes wieder zu Mainz 05 gekommen. Zwischendurch habe ich den Verein immer mal gesehen, aber es war nicht so, dass ich jede Woche im Stadion war. Über den VIP-Klub war ich plötzlich wieder stärker beim FSV involviert, drei Jahre später haben mich die Leute dann gewählt.

SPOX: Am 19. September 1988. Als Anführer einer Oppositionsgruppe gewannen Sie bei der Jahreshauptversammlung in einer Kampfabstimmung deutlich gegen den damaligen Vorsitzenden Bodo Hertlein und wurden neuer Präsident. Was waren Ihre Beweggründe für die Kandidatur?

Strutz: Dass ich gewählt worden bin, war in der Tat reiner Zufall und absolut nicht geplant. Weder an diesem Abend, noch sonst wann. Plötzlich stand ich zur Wahl. Da habe ich gesagt: 'Okay, machen wir das mal zwei Jahre.' Daraus sind jetzt 27 geworden.

SPOX: Und das ohne wirklichen Bezug zu Mainz 05?

Strutz: Natürlich habe ich mich immer für den Verein interessiert. Der FSV hatte in den 1960er Jahren sogar einmal eine Leichtathletik-Abteilung, in der ich ein Jahr aktiv war. Meine eigentliche Verbindung zum Verein ist aber die, dass meine beiden Brüder bei Mainz 05 aktiv waren - einer im Vorstand, der andere als Spieler.

SPOX: Sie selbst kommen nicht aus dem Fußball, sondern waren zweifacher deutscher Vizemeister und sogar Junioren-Weltrekordler im Dreisprung. Haben Sie zu Beginn Ihrer Amtszeit etwas gefremdelt?

Strutz: Überhaupt nicht. Ich hatte vorher schon mein Jurastudium abgeschlossen und war Justiziar des Landessportbundes Rheinland-Pfalz. Somit hatte ich sowohl den Bezug zur rechtlichen Seite als auch zum Sport - ich hatte ja immerhin auch schon kurze Hosen an (lacht). 1972 stand ich sogar im Olympiakader, konnte dort aufgrund einer Verletzung aber leider nicht teilnehmen. Der Leistungssport kam mir trotzdem sehr zugute, gerade was den Umgang mit Spielern und Ehrenamtlern anbetrifft.

Strutz war in den 70er Jahren im Dreisprung aktivimago

SPOX: Es gibt ein Bild vom 25. Mai 2003, dem Tag, als Mainz trotz eines 4:1-Siegs in Braunschweig den Aufstieg zum wiederholten Male am letzten Spieltag knapp verpasste. Darauf sieht man Sie in Tränen aufgelöst auf dem Rasen sitzen.

Strutz: Diese Szene ist vier Jahre lang als Trailer beim "DSF" gelaufen. Wir sind ein Jahr zuvor wegen eines Punktes nicht aufgestiegen, 2003 dann wegen eines Tores. Da denkt man: 'Wir werden wohl niemals aufsteigen. So viel Pech kann man doch gar nicht haben.' Der Traum, einmal in die Bundesliga aufzusteigen, war in diesem Moment zerplatzt. Dass diese Mannschaft, die zwei riesige Enttäuschungen erlebt hatte, noch eine dritte Chance erhalten würde - daran war überhaupt nicht zu denken.

SPOX: Dachten Sie auch an Rücktritt?

Strutz: Zu keinem Zeitpunkt. Mir macht die Arbeit einfach Spaß. Mich muss man zudem immer zusammen mit Christian Heidel und meinen Vorstandskollegen sehen. Unausgesprochen hatten wir die Vision, mit Mainz 05 in der Bundesliga zu spielen und dort ein neues Stadion zu bauen. Dieses Ziel wollten wir nie aufgeben. Letztlich ist uns all das ja auch tatsächlich gelungen. Dass es im dritten Anlauf geklappt hat, war eine Mischung aus Glück und dem verdienten Lohn.

SPOX: Haben Sie sich nach 27 Jahren Amtszeit schon gefragt, warum Sie sich den ganzen Stress immer noch antun?

Strutz: Nein. Das muss man auch viel positiver sehen: Dass sich der Verein so entwickelt hat, erfüllt mich natürlich mit großem Stolz. 1988 waren im VIP-Klub vielleicht 85 Personen, heute sind es über 2000. Damals hatte Mainz 05 etwa 1500 Mitglieder, mittlerweile sind es an die 14.000. Wenn man den Verein und das Stadion unter seiner Federführung so wachsen sieht, ist das mehr als nur Spielerei. Mainz 05 ist mittlerweile mein Leben.

SPOX: Wie sieht Ihr Arbeitsalltag 2015 überhaupt aus? Bleibt bei Ihren Tätigkeiten für die DFL, den DFB und der Arbeit in Ihrer Anwaltskanzlei überhaupt noch Zeit für den FSV?

Strutz: Ich betrachte es umgekehrt: Mainz 05 ist mein Platz. Der Schwerpunkt hat sich dorthin verschoben, weil die Verantwortung größer geworden ist. Die Arbeit bei der DFL und dem DFB sind keine Tagesjobs, sondern Ämter, die im Laufe des Jahres verteilt sind. Dort sitze ich nicht jeden Tag im Büro. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Das heutige Image des FSV wurde vor allem in der Zeit zwischen 2001 und 2008 unter Jürgen Klopp aufgebaut, der sich mit Verein und Fans identifizierte wie kein Zweiter. Ist er ein Trainer, den man in der Art nie wieder findet?

Strutz: Nein, dieser Trainertyp ist für Mainz 05 absolut kein Einzelfall. Mit Thomas Tuchel hatten wir einen sehr ähnlichen Trainer. Er hatte nur nicht die gleiche Fan-Nähe wie Kloppo. Auch die Vorgeschichte war eine ganz andere: Jürgen war bei uns zehn Jahre Spieler und acht Jahre Trainer. Klopp war Mainz 05. Er war und ist jemand, der Menschen sucht und sich den Diskussionen stellt - mit einer unglaublich positiven Ausstrahlung. Man merkt, dass es ihm Spaß macht, Trainer zu sein. Selbst in der schwierigen Zeit, die er aktuell beim BVB erlebt, hatte ich nie das Gefühl, dass er völlig verzweifelt.

SPOX: Und Tuchel?

Strutz: Thomas Tuchel hatte eine distanziertere Haltung. Letztlich war er nach den Spielen aber auch auf dem Zaun und hat sich gefreut. Auch Tuchel war touchable.

SPOX: Wie sehr waren Sie von seinem Abgang enttäuscht?

Strutz: Dass er uns unglücklich verlassen hat, steht außer Frage. Ich war über die Art und Weise nicht erfreut. Wenn man einen Vertrag abschließt, geht man davon aus, dass die Mannschaft aufgebaut wird und dass man über die vereinbarten Jahre Planungssicherheit hat. Man holt doch auch die Wunschspieler des Trainers. Es mag Menschen geben, die mit dieser Art und Weise besser umgehen können. Ich kann damit gar nicht umgehen.

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SPOX: Ihr Ex-Keeper Heinz Müller erhob zuletzt schwere Vorwürfe gegen Thomas Tuchel. Warum wurde dieses Problem damals nicht intern gelöst?

Strutz: Wenn Heinz Müller dieses Problem jemals intern angesprochen hätte, hätte Christian Heidel mir das berichtet. Das ist meines Wissens nicht passiert. Heinz Müller war auch nicht bei mir.

SPOX: Ärgert es Sie, dass diese Streitigkeiten im Nachhinein in der Öffentlichkeit ausgetragen werden und mit dem Namen Mainz 05 in Verbindung stehen?

Strutz: Es ist offensichtlich eine persönliche Sache zwischen Müller und Tuchel. Wir als Verein können uns dem aber nicht entziehen, da Thomas Tuchel nach wie vor unser Mitarbeiter ist. Auch wenn das Arbeitsverhältnis ruht, sind wir zumindest mittelbar in diese Äußerungen und den Streit mit einbezogen. Von daher sind auch wir von der Geschichte tangiert, weil die Vorwürfe zum Teil den Verein treffen. 'Mobbing hoch zehn' ist ein massiver Ausdruck. Mainz 05 wird damit unterstellt, das behauptete Mobbing zu dulden. Die Behauptungen von Heinz Müller werden wir vorstandsintern besprechen und dann bewerten. Für persönliche Gespräche sehe ich mich nicht in der Pflicht.

SPOX: Die letzten externen Trainer-Lösungen des FSV - Jörn Andersen und Kasper Hjulmand - funktionierten auf Dauer nicht. Versteht und lebt man den Verein nur, wenn man selbst schon jahrelang involviert war?

Strutz: Es ist schwer zu beurteilen. Wir haben auf jeden Fall ein besonderes und sehr klares Anforderungsprofil an Trainer. Nichts gegen Kasper Hjulmand, aber er hatte einfach eine andere Mentalität und andere Vorstellungen. Eine innere Emotionalität hilft mir wenig, sie muss auch nach außen gekehrt sein. So ticken wir Menschen auch hier im Rhein-Main-Gebiet. Wir sind keine zurückhaltenden Norddeutschen. Martin Schmidt ist seit fünf Jahren bei uns und identifiziert sich mit der Stadt und den Fans. Das ist es, was wir hier brauchen.

SPOX: Hjulmand stand nicht unbedingt für eine große Emotionalität. Wie kam man dann überhaupt auf ihn?

Strutz: Bei ihm haben wir den Versuch unternommen, nach Tuchel einen Trainertypen zu verpflichten, der die bisherigen Vorstellungen der Spielweise auf die nächste Stufe hebt. Mit der Zeit galt es festzustellen, ob sich der Trainer nach der Mannschaft richtet oder ob er der Meinung ist, dass sie sich nach ihm richten muss. Das große Problem war, dass Hjulmand diese Anpassung in einer völlig anderen Art und Weise einforderte, als es bisher bei uns gelebt wurde. Das ändert aber nichts an seiner Qualität. Er hat alles investiert und ist ein intelligenter Trainer.

SPOX: Mainz gehört sicherlich zu den Klubs, die sich in den nächsten Jahren dagegen stemmen müssen, im Geldsumpf Bundesliga nicht unterzugehen. Wie schwer tun Sie sich als Traditionsverein beim Thema Investoren?

Strutz: Das hat mit der Tradition gar nichts zu tun. Der Ruf nach Tradition ist nicht mehr zeitgemäß. Ob man es will oder nicht, die Zeit der Romantik ist vorbei. Natürlich sind die Mitglieder und ihr Mitspracherecht unser höchstes Gut. Wenn man sich aber den Herausforderungen der Zukunft stellen möchte und die Entwicklung dahingeht, dass das Mitwirken von Investoren nicht mehr zu stoppen ist, dann muss man für Gespräche bereit sein.

SPOX: Sind Sie es?

Strutz: Wir haben gar kein Problem damit, das offen anzugehen. Wenn ich heute ein Marketing-Unternehmen mit einer Perspektive, einer Geschichte und einem Entwicklungspotenzial hätte, würde ich einen Verein wie Mainz 05 immer nehmen. Das sage ich aus voller Überzeugung.

SPOX: Wieso?

Strutz: Entweder will man der Erste sein oder nur einer unter vielen. Oft schwimmen Unternehmen einfach im Strom der anderen mit, nur weil sie bei den besten Vereinen sind. Ich glaube aber nicht, dass das die beste Marketingstrategie ist. Als Unternehmen würde ich mir genau das heraussuchen, was noch nicht überladen ist - egal, ob im Aus- oder Inland. Die Frage sollte sich jeder Sponsor, aber auch Investor stellen. Denn irgendwann ist jede Entwicklung vorüber. Bei Vereinen wie Freiburg, Augsburg oder Mainz ist sie aber noch nicht am Ende. SPOX

SPOX: Ist also eine Kapitalgesellschaft in Mainz nicht mehr weit entfernt?

Strutz: Ich glaube, jeder Verein muss seine Struktur und Rechtsform finden. Das ist im Wesentlichen davon abhängig, welche Personen einen Verein führen. Wir sind mit dem e.V. schon immer sehr gut gefahren. Die Art von Diskussionen, die in anderen Vereinen geführt werden, kennen wir selbst nach 25 Jahren gemeinsamer Arbeit nicht. Über die Rechtsform muss ich mir erst dann Gedanken machen, wenn die aktuellen Gegebenheiten nicht mehr sind.

SPOX: Die Bayern bezeichnen sich als "Käuferverein". Wie zuversichtlich sind Sie, in naher Zukunft zumindest kein "Verkäuferverein" mehr sein zu müssen? Mit Schürrle, Holtby, Szalai, Müller oder Choupo-Moting verließen den FSV zuletzt immer wieder Leistungsträger.

Strutz: Wir müssen nicht in Utopien verfallen. Wir werden immer ein Verein sein, der darauf angewiesen ist, junge, talentierte Spieler aus- und weiterzubilden und diese ins Schaufenster zu stellen, um dadurch Transfererlöse zu erzielen. Alles andere ist Illusion und wäre eine völlig falsche Einstellung. Wir werden in den nächsten Jahren immer darum kämpfen, weiter in der Bundesliga zu spielen. Viele nehmen das gar nicht mehr richtig wahr, weil sie sich schon daran gewöhnt haben.

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Der FSV Mainz 05 im Überblick