"Man darf Heldt nicht unterschätzen"

Benedikt Treuer
23. Oktober 201523:27
Jens Keller war fast zwei Jahre lang Cheftrainer auf Schalkeimago
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Jens Keller führte Schalke zweimal in die Champions League, ehe er seinen Platz für Roberto Di Matteo räumen musste. In diesem Jahr kehrte er nach Gelsenkirchen zurück, um ein Management-Studium zu absolvieren. Im Interview spricht er über den Weg zurück auf die Schulbank, die Hospitanz bei van Gaal und seine Anforderungen an eine Rückkehr in den Profi-Fußball. Außerdem erzählt er von der Arbeit mit Horst Heldt und vom Gefühl, immer auf gepackten Koffern zu sitzen.

SPOX: Herr Keller, Sie sind im März nach Schalke zurückgekehrt - um einen Crashkurs in Sportmanagement zu absolvieren. Wie kam es dazu?

Jens Keller: Das Studium wurde von Schalke und der Universität St. Gallen angeboten. Der referierende Professor ist ein guter Freund von mir und er fragte mich, ob ich mitmachen würde. Einerseits stand der Kurs durch meine Teilnahme mehr im öffentlichen Fokus, andererseits waren viele der Inhalte tatsächlich auch sehr interessant für mich. Es war beeindruckend, das große Ganze eines Vereins zu sehen. Und dümmer wird man durch eine solche Fortbildung auch nicht.

SPOX: In der Kursbeschreibung heißt es, man bekomme Fachkenntnisse in den Schwerpunkten Sportorganisation, Sportmarketing und Führung im Sport vermittelt. War für Sie noch so viel Neues dabei?

Keller: Das Wort Führung sollte man als Trainer schon einmal gehört haben. (lacht) Dennoch war es für mich ein wichtiger Punkt des Studiums, zusammen mit den Aspekten Selbstvermarktung und Verhandlungsgeschick. Auch für einen Trainer sind diese Themen sehr wichtig.

SPOX: War es ein komisches Gefühl, plötzlich wieder in der Schülerrolle zu stecken?

Keller: Definitiv. Das Gefühl hatte ich zuletzt beim Abitur und das ist schon ein paar Tage her. Es ist nicht so, dass wir das Studium im Vorbeilaufen gemacht haben. Jeder Tag umfasste acht Unterrichtsstunden. Den Kopf wieder anzustrengen und auch Prüfungen abzulegen, war durchaus eine Herausforderung.

SPOX: Sehen Sie sich zukünftig gar nicht mehr auf der Trainerbank? SPOX

Keller: Doch, das habe ich schon vor. Ich weiß aber nicht, was die Zukunft bringt - speziell, was vielleicht in zehn Jahren ist. Womöglich macht mir das Alltagsgeschäft auf dem Platz irgendwann keinen Spaß mehr und ich möchte lieber in die Organisation. Von daher ist es einfach gut, gewisse Dinge schon einmal gehört zu haben.

SPOX: Vor Ihrem Studium waren Sie auch fünf Tage lang Gast bei Manchester United. Was haben Sie sich von der Hospitanz bei Louis van Gaal erhofft?

Keller: Es ging vor allem darum, neue und tiefgründige Einblicke zu erhalten, um bei meiner nächsten Anstellung manche Dinge besser zu machen. Ich habe mit den United-Trainern mehrere Stunden gesprochen und in diesen Tagen alle Trainingseinheiten gesehen.

SPOX: Wie unterscheidet sich die Arbeitsweise von der, die Sie aus der Bundesliga kennen?

Keller: In erster Linie haben die Trainer viel mehr Ruhe, da in England generell unter Ausschluss der Öffentlichkeit trainiert wird. Durch die finanziellen Mittel sind auch die Trainingsgelände auf einem wahnsinnigen Niveau und überdimensional groß. Van Gaal macht nicht alles komplett anders, als ich es kannte. Er ist aber ein sehr großer Trainer mit viel Erfahrung, von dem man eine Menge lernen kann.

SPOX: Nachdem Sie Schalke verlassen hatten, betonten Sie, Ihre Zukunft weiterhin im Profi-Bereich zu sehen. Das ist auch heute noch der aktuelle Stand?

Keller: Mein Blick richtet sich zurzeit nur auf die Profis. Vielleicht kann ich mir irgendwann wieder vorstellen, noch einmal im Nachwuchsbereich tätig zu sein. Jetzt, da ich aber schon erfolgreich in der Bundesliga gearbeitet habe, möchte ich auch wieder dorthin zurück.

SPOX: Gab es im Sommer keine Möglichkeit dazu?

Keller: Viele Vereine waren gar nicht zu haben. Dass es mit Schalke nichts mehr wird, war klar. Deshalb gab es in der Bundesliga auch keine vakanten Stellen.

SPOX: Können Sie sich nicht vorstellen, in einer anderen Liga zu arbeiten?

Keller: Natürlich ist das Ausland denkbar. Auch einen Zweitligisten mit Perspektive würde ich nicht per se ausschließen. Durchschnitt oder Abstiegskampf in der 2. Liga stellen aktuell aber genauso wenig eine Option dar wie der Schritt runter in die 3. Liga.

SPOX: Dabei hat Ihnen genau diese Vorgehensweise als Spieler mehrfach als Sprungbrett gedient.

Keller: Das stimmt. Als ich zu 1860 München beziehungsweise zum VfL Wolfsburg und Eintracht Frankfurt gewechselt bin, habe ich auch noch einmal einen Schritt zurück gemacht. Das hatte auch immer Gründe. Für mich als Trainer ist es aber kein Ziel, noch einmal runterzugehen und wieder Anlauf zu nehmen. Wenn ich sehe, dass bei einem guten Zweitligisten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit geschaffen sind, könnte ich mir das mal vorstellen. Darüber, wo ich als nächstes lande, mache ich mir aber keinen Kopf. Wenn man gute Arbeit leistet, kommen die Dinge von selbst.

SPOX: Ist "unverhofft kommt oft" generell eine treffende Redewendung für Ihre Karriere?

Keller: Das kann man so sagen, schließlich war es weder in Stuttgart noch auf Schalke absehbar, dass ich den Sprung zum Cheftrainer so schnell schaffe. Als ich den Fußballlehrer gemacht habe, hatte ich aber natürlich schon die Hoffnung, irgendwann einmal im Profi-Bereich zu arbeiten. Dass es so schnell ging, war nicht geplant.

SPOX: Hatten Sie anfangs Bedenken, dass es vielleicht sogar zu schnell ging?

Keller: Man merkt plötzlich, wie rasant der Karriere-Fahrstuhl gefahren ist. Nach nur zweieinhalb Jahren im Jugendbereich als Co-Trainer beziehungsweise Cheftrainer zu den Profis zu wechseln, ist schon ein großer Sprung. Ich habe mir die Aufgabe zugetraut und hatte keine Angst davor, immerhin war ich selbst fast 20 Jahre als Profi aktiv. Außerdem war ich in Stuttgart nur interimsweise tätig. Ich hätte wohl schon Wahnsinns-Ergebnisse holen müssen, dass man mit mir weitergemacht hätte. So hatte ich die Möglichkeit, nach Schalke zu gehen.

SPOX: Es ist fast genau ein Jahr her, dass Sie dort beurlaubt wurden. Welche Erkenntnisse hat Ihnen diese Zeit rückblickend gebracht?

Keller: Ich war überrascht, wie belastungsresistent ich bin und wie gut ich mit Druck umgehen kann. Ebenso wichtig war für mich aber auch die Erkenntnis, dass ich eine Profi-Mannschaft entwickeln kann und diese dann auch Erfolg hat.

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SPOX: Schalke tat sich unter Ihnen dennoch leichter, wenn man nicht gezwungen war, das Spiel zu machen. Ist der reaktive Fußball die Art, wie Sie gerne spielen lassen?

Keller: Nein, überhaupt nicht. Wir haben auch gegen die kleinen Teams häufig gewonnen. Dass uns manche Mannschaften gelegen haben und andere nicht, kann man so nicht sagen, denke ich. Denn man wird nicht Dritter oder Vierter, wenn man nicht auch gegen die Vereine der unteren Tabellenhälfte gewinnt.

SPOX: Leistungsschwankungen gab es dennoch immer wieder. Warum war es so schwer, diese zu verhindern?

Keller: Auch nach meiner Zeit hat man gesehen, dass es nicht einfacher wurde, das Team zu stabilisieren. Es gibt wenige Vereine, die wirklich konstant sind. Leverkusen und Dortmund hatten ähnliche Phasen. Man darf nicht vergessen, dass die Probleme, die wir hatten, auch mit Verletzungen und den vielen Nationalspielern zu tun hatten. Neben dem FCB und Dortmund hatten wir die meisten Spieler bei der WM. Dass die nicht topfit zurückkamen, konnten wir nicht so wegstecken wie die Bayern.

SPOX: Sie erlebten teilweise im wöchentlichen Wechsel die Extreme zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Wie sehr hat Ihnen das Ihre Arbeit erschwert?

Keller: Schalke ist ein sehr extremer Klub mit sehr begeisterten Fans. In Deutschland gibt es nur zwei oder drei Vereine, die so emotional sind. Dennoch ist kein Verein begeistert, wenn die Mannschaft mal ein paar Spiele verliert, das ist nicht nur auf Schalke so. Damit muss man umgehen können. Als Trainer weiß man, dass der Verlauf der kommenden Woche immer von den 90 Minuten am Spieltag abhängig ist.

SPOX: Sie folgten auf Huub Stevens - einem sehr erfahrenen und renommierten Bundesliga-Trainer. Machte sich Horst Heldt mit dieser Personalentscheidung angreifbar?

Keller: Das kann er wohl besser beantworten als ich. Letztlich hat er die Entscheidung getroffen und sie war erfolgreich. Die Zusammenarbeit hat funktioniert, schließlich haben wir zweimal hintereinander die Champions League erreicht, worauf ich stolz bin.

SPOX: Merkten Sie ihm den Spagat zwischen Rückendeckung für Sie und Sorge um die eigene Außenwirkung dennoch an?

Keller: Man darf Horst Heldt und seine Erfahrung nicht unterschätzen. Er wurde in Stuttgart als Sportdirektor direkt deutscher Meister und hat seitdem schon einige Jahre als Manager gearbeitet. Er wusste, was er tat. Dass die Anspannung für uns beide riesig war, ist doch klar.

SPOX: Denkt man dann nicht auch mal darüber nach, freiwillig den Schritt aus der Schusslinie zu machen?

Keller: Das war für mich nie eine Option, da mir die Arbeit mit der Mannschaft großen Spaß gemacht hat. Das Drumherum habe ich so akzeptiert. Natürlich habe ich manchmal die Faust geballt, aber es gab nie die Überlegung zurückzutreten. Immerhin habe ich gesehen, dass das, was wir gemacht haben, Früchte trug. Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.com

SPOX: Man ging mit Ihnen auch in die dritte Saison, in der es aber doch schnell zur Trennung kam. Hatten Sie sich schon frühzeitig darauf geeinigt, diesen Schritt zu gehen, sollte der sportliche Erfolg ausbleiben?

Keller: Nein, in der Situation kam der Schlussstrich für mich dann doch überraschend, denn wir hatten von den letzten sechs Spielen zuvor nur eines verloren. Deshalb war das für mich nicht absehbar.

SPOX: Hatte die Trennung auch dadurch einen bitteren Beigeschmack, dass binnen weniger Stunden Roberto Di Matteo als Nachfolger präsentiert wurde?

Keller: Welche Gefühle man in so einem Moment hat, behält man besser für sich. (lacht) Gar keine Frage, diese Situation war schwierig. So ist aber das Fußballgeschäft. Der Manager möchte etwas bewegen und kann nicht noch zwei oder drei Wochen mit einer Entscheidung auf sich warten lassen. Im Profi-Geschäft sitzt man immer auf gepackten Koffern - bei einem Verein etwas früher, beim anderen etwas später.

SPOX: Unter Andre Breitenreiter scheint sich die gesamte Situation auf Schalke aber deutlich zu beruhigen. Woran kann das liegen?

Keller: Das Gefühl habe ich gar nicht. Die Saison ist noch relativ jung, zudem spielt der Verein in dieser Saison nicht in der Champions League. In der Europa League sollte man als Schalke 04 die Gruppenphase auch weitestgehend souverän bestreiten. Lassen Sie uns noch einmal nach der Vorrunde oder gegen Ende der Saison darüber sprechen. Dann kann man sehen, wie ruhig es ist und ob sich eine gewisse Konstanz eingestellt hat. Nach dem 0:3 zuhause gegen Köln hat man gesehen, wie schnell die Stimmung wieder umschwenken kann.

SPOX: Sie persönlich benötigten auch mehrere Wochen, um mit dem Kapitel Schalke abzuschließen. Bei aller Enttäuschung: Fiel durch die Trennung auch eine große Last von Ihnen ab? SPOX

Keller: Natürlich, das ging Thomas Tuchel und Jürgen Klopp ja nicht anders. Wenn man zwei Jahre alles reinhängt, braucht man diese Pausen einfach. Es ist ein 24/7-Job, bei dem man nie frei hat. Ich hatte nach meiner Trennung von Schalke schnell viele Anfragen, jedoch habe ich mich bewusst dazu entschieden, erst einmal eine Auszeit einzulegen. Ich musste Energie tanken, um bei einem neuen Verein wieder mit 100 Prozent dabei zu sein.

SPOX: Also warten Sie geduldig weiter auf ein passendes Angebot?

Keller: Genau, wobei ich auch zuhause ausreichend beschäftigt bin. Meine Frau und ich haben zwei Kinder und einen Hund. Da komme auch ich nicht drum herum, in viele Bereiche eingespannt zu werden. (lacht) Ich bin aber wieder häufiger unterwegs und schaue mir viele Spiele an. Der Fußball ist nach wie vor Mittelpunkt in meinem Leben. Generell kann ich mir viele unterschiedliche Dinge vorstellen. Mal sehen, was die Zukunft bringt.

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Jens Keller im Steckbiref