SPOX: Herr Holzhäuser, es liegt zwei Jahre zurück, dass Sie nach 38 Jahren im Fußballgeschäft von Ihrem Amt als Geschäftsführer bei Bayer Leverkusen zurücktraten. Vermissen Sie etwas?
Wolfgang Holzhäuser: Ich bin als Mitglied des Gesellschafterausschusses bei Bayer 04 ja nicht ganz außen vor. Manchmal fehlt mir aber etwas die Nähe zum Fußball, vor allem die Zeit während der Vorbereitung auf eine neue Saison. Das war immer die intensivste Phase, da es dann eine gewisse Grundeuphorie gibt. Man fährt ins Trainingslager, hat neue Spieler oder einen neuen Trainer hinzu bekommen, ist nah an der Mannschaft dran und kann die zwischenmenschlichen Töne viel besser einschätzen.
SPOX: Ist die Zeit seit Ihrem Ende bei Bayer bis heute schnell vorüber gegangen?
Holzhäuser: Ja, ich habe jetzt Zeit für Hobbies und mache viel mehr Sport als früher. Ich gehe zwei Mal die Woche in das Bayer-04-Rehazentrum und fahre mit dem Fahrrad insgesamt 20 Kilometer in mein Fitnessstudio. Dazu spiele ich relativ regelmäßig Golf. Die körperlichen Gebrechlichkeiten, die ich während meiner beruflichen Tätigkeit beispielsweise durch langes Sitzen hatte, sind plötzlich so gut wie weg.
SPOX: Gab es in der Zwischenzeit schon einen Moment, in dem Sie besonders gemerkt haben, dass Sie der Fußball noch immer packt?
Holzhäuser: Das war beim Leverkusener Phantomtor in Hoffenheim, ich war zu der Zeit mit meiner Frau am Gardasee. Ich habe den Stefan Kießling noch bildlich vor mir, wie er sich geärgert hat. Mir war klar, was kommen würde. Deshalb habe ich noch während des Spiels verzweifelt versucht, telefonisch die beiden Bayer-Pressesprecher und Rudi Völler zu erreichen. Bis meine Frau dann sagte: Das geht dich nichts mehr an!
SPOX: Eines Ihrer Schlüsselerlebnisse war, vor einem Bundesligaspiel mit dem Auto an der Ampel zu stehen und zu merken, dass Sie mehr Angst vor dem Ergebnis als Lust auf die Partie hatten.
Holzhäuser: Stimmt. Diese Angst, womöglich am nächsten Tag abgestraft zu werden, war immer vorhanden. Gerhard Mayer-Vorfelder hat einmal gesagt: 'Wenn der kleine Fritz Walter übers Tor schießt, dann rufen alle: Vorfelder raus. Aber was kann ich dafür?' So ähnlich war es bei mir auch. Dieses Gefühl hatte ich früher jedoch nie und es fiel mir schwer, das an mir abprallen zu lassen. In meinem letzten Arbeitsjahr habe ich in den Nächten vor den Spielen kaum noch geschlafen.
SPOX: Man sagt, Sie neigen zur Melancholie. Es gab im September 2013 auch keine offizielle Verabschiedung im Stadion von Ihnen.
Holzhäuser: Mag durchaus sein. Mein letztes Auswärtsspiel war in Hamburg. Stefan Kießling ist an diesem Tag Torschützenkönig und wir Dritter geworden - das war eine gefühlte Meisterschaft. Nach dem Spiel saßen Rudi Völler und ich bereits im Auto. Ich sagte zu Rudi, ich müsse nochmal aussteigen, weil ich meine Jacke vergessen hätte. Dann bin ich ganz allein zurück in die Kabine gegangen, habe mich dort lange umgesehen und hingesetzt. Das verstehe ich unter Melancholie, denn mir war klar: dieses Szenario erlebe ich jetzt zum letzten Mal. Da hatte ich sogar Tränen in den Augen.
SPOX: Aus den Medien haben Sie sich zurückgezogen. Wie sehr mussten Sie sich denn in der Öffentlichkeit verstellen, tritt man intern nicht vollkommen anders auf?
Holzhäuser: Ich habe mich immer bemüht, authentisch zu bleiben - auch wenn ich dem einen oder anderen miesepetrig erschienen bin. Wer mich kennt, weiß, dass ich eigentlich das genaue Gegenteil davon bin. Immer beweisen zu müssen, eben nicht der miesepetrige Buchhalter zu sein, war nicht einfach.
SPOX: Sie traten häufig als streitbarer Revoluzzer auf, dessen Querdenker-Image neue Denkanstöße lieferte, manchen aber auch auf die Nerven ging. Wie kam das zustande?
Holzhäuser: Das hat sich über viele Jahre so ergeben und verfestigt. Ich habe das später sicher auch ein wenig gepflegt. Ich sagte gerne bei Diskussionen, in denen es um vermeintlich große Probleme ging, die eigentlich aber kleine waren: "Bevor ihr eine Entscheidung trefft, setzt euch gedanklich doch auch einmal auf die andere Seite des Tisches und versetzt euch in die Lage des Präsidenten des Klubs, den ihr gerade bestrafen wollt. Wenn ihr dann zum gleichen Ergebnis wie zuvor kommt, setzt es um." Man sollte die Dinge immer auch einmal von der anderen Seite betrachten. Vielleicht komme ich dann am Ende zu einem anderen Ergebnis, als es sich der Mainstream wünscht.
SPOX: Eines der Ergebnisse, das Sie zusammen mit DFB-Vizepräsident Wilfried Straub federführend auf den Weg brachten, war die Einführung von 50+1. Wie denken Sie heute über diese Regelung?
Holzhäuser: Es drängt mich geradezu, das einmal klar zu stellen: 50+1 war ein Segen für den deutschen Fußball. Ich sage bewusst "war". Denn man hat vergessen, 50+1 analog zur Entwicklung des Fußballs weiter zu entwickeln. So wie es momentan in Deutschland gehandhabt wird, ist es eine kontraproduktive Mauer gegenüber der Kreativität von Unternehmen, Firmen und Vereinen. Dasselbe gilt im Übrigen für das Financial Fairplay.
SPOX: Inwiefern?
Holzhäuser: Das ist für mich ein reines Wahlgeschenk von Michel Platini gegenüber den arrivierten Top-Klubs. Financial Fairplay ist nichts anderes als eine Manifestierung vorhandener Strukturen - unabhängig davon, dass allein schon die Absicht hehr ist.
SPOX: Erklären Sie das, bitte.
Holzhäuser: Die fünf, sechs großen Klubs in Europa merkten plötzlich, dass da auf einmal irgendwelche Engländer kommen, die noch mehr Geld als sie haben und damit ihre Situation gefährden. Also sollte die UEFA doch bitteschön etwas dagegen tun. Platini, der viele Stimmen gesammelt hat, tat zwei Dinge: erstens hat er FFP eingeführt, damit das kontrolliert wird - und alle haben Hurra geschrien. Doch das FFP durchzusetzen war nicht machbar, sondern graue Theorie. Das zeigt sich auch genau jetzt, die UEFA fängt ja gerade an, schrittweise zurück zu rudern. Zweitens: Platini meinte, dass jedem europäischen Verband die Teilnahme an der Champions League möglich sein muss. Das führt jetzt zu all diesen absurden Paarungen, die dort bisweilen stattfinden.
SPOX: Zurück zu 50+1: Wie ist diese Regel damals entstanden?
Holzhäuser: 50+1 ist aus ganz banalen Gründen geschaffen worden. Es ging um die Einführung von Kapitalgesellschaften im Fußball. Denn es muss jedem Klub die Möglichkeit gegeben werden, seine eigene Kreativität auszuschöpfen. Es wird nämlich immer Standorte geben, an denen man beispielsweise aufgrund geringer Einwohnerzahl zu anderen Möglichkeiten greifen muss, um mit der Spitze mithalten zu können. Egidius Braun war zu dieser Zeit DFB-Präsident und er hat bei einer Sitzung der zuständigen Kommission dann irgendwann gesagt: 'Wissen sie was? Ich kann es nicht mehr hören! Jetzt machen sie endlich ihre Kapitalgesellschaften. Doch eines sage ich euch: der Fußball muss das Sagen behalten.' Straub entgegnete: 'Dann lassen sie es uns doch so machen, dass 51 Prozent dem Verein gehören müssen.' So ist das damals entstanden, Brauns Machtwort war die Initialzündung.
SPOX: Eigentlich wollte man den Einfluss von Kapitalgesellschaften verhindern, um dem Wettbewerb nicht zu schaden.
Holzhäuser: Das ist jedoch genau der falsche Ansatz, da der Wettbewerb durch ganz andere Dinge viel mehr gefährdet wird. Ich habe früher schon gesagt, dass es ein viel größeres Problem darstellt, wenn die damalige Bank für Gemeinwirtschaft bei drei Klubs über Nacht die Kredite kündigt oder ein Vermarkter diverse Vereine durch den Einkauf von Werberechten übernimmt und bezuschusst. Ganz zu schweigen von Spieleragenturen, die eine Mehrzahl von Spielern bei einem Verein platzieren und aus rein egoistischen Gründen versuchen, Einfluss auf sportliche Belange von Klubs zu nehmen. Da ist der Anschein, dass der Wettbewerb beeinflusst wird, viel größer, als wenn jemand bei einem einzigen Verein 100 Prozent besitzt - denn das wäre ja dann ganz allein die Entscheidung des entsprechenden Klubs. Die Vereine alleine entscheiden darüber, ob sie beherrscht werden wollen oder nicht. Der Verband hat nicht das Recht, darüber zu entscheiden, sondern nur das Recht, den Wettbewerb zu schützen - und der würde dadurch nicht beeinflusst.
SPOX: 50+1 sollte Ihrer Meinung nach also gelockert werden?
Holzhäuser: Ich hätte gerne einmal gewusst, weshalb 51 Prozent der Anteile nicht kontrolliert, 49 Prozent aber kontrolliert sind. Es kann doch durchaus sein, dass jemand, der beispielsweise 25 Prozent in Darmstadt und dazu weitere 25 Prozent in Hoffenheim besitzt, den Wettbewerb viel eher gefährdet als jemand, der in Darmstadt 100 Prozent besitzt. Ergo müsste man im Rahmen des Lizensierungsverfahrens jede Art der Beteiligung prüfen und schauen, inwieweit der Einfluss auf den Wettbewerb gegeben ist. Deshalb sage ich: 50+1 muss nicht weg, aber verbessert werden. Und zwar derart, dass der Verband wie eine Art Kartellsenat im Rahmen der Lizensierung prüft, ob durch eine besonders wettbewerbsgefährdende Situation eine Stellung erworben wird, die dem Fußball schadet.
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