Alles außer Abstiegsk(r)ampf

Julian Nagelsmann feierte beim 1:1 in Bremen sein Bundesliga-Debüt - im Alter von 28 Jahren
© getty

Mit 28 Jahren feierte Julian Nagelsmann am Samstag sein Debüt als jüngster Trainer der Bundesliga-Geschichte. Beim 1:1 in Bremen waren erste Änderungen im 1899-Spiel schon deutlich erkennbar. Der junge Coach schlägt unbeirrt seinen eigenen Weg ein - und trotzt dabei den Gesetzen der verflixten Situation. SPOX beleuchtet Nagelsmanns Premiere.

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Taktische Flexibilität: Nagelsmann ist Tuchel-Schüler. Und das merkt man an vielen Stellen, vor allem taktisch. "Thomas Tuchel hat mich als mein Trainer bei der U23 bei Augsburg schon sehr geprägt", sagt der 28-Jährige selbst.

In einem Punkt sind die Parallelen zum akribischen BVB-Chefcoach ganz besonders auffällig: Taktische Variabilität und Flexibilität. Die zeichnet Tuchel seit jeher aus, Nagelsmann stand ihm bei seinem Debüt in nichts nach: Das Hoffenheimer Spiel erhielt durch das wandelbare 3-1-4-2 eine neue Dimension: Durch den rotierenden Strobl, der zwischen Sechser und Ballverteiler (im Ballbesitz) und Rechtsverteidiger (bei gegnerischem Angriffspiel) wechselte, schaffte Nagelsmann im Spielaufbau Überzahl im Mittelfeld und damit mehr Kontrolle über Ball und Gegner.

Vor allem in der Phase nach der Pause war die TSG dadurch spielbestimmend. Die Gäste entwickelten zeitweise eine Dominanz, die fast schon selbstverständlich schien. Das gefiel auch dem Trainer: "Zwischen der 45. und 65. Minute haben wir in etwa den Fußball gespielt, den ich mir vorstelle."

Dass Kniffe wie dieser auch in den nächsten Wochen im 1899-Spiel zu beobachten sein werden, kündigte er bereits an: "Ich habe keine festgelegte Grundordnung, sondern spiele gerne mit Prinzipien, welche die Spieler gegen jeden Gegner anwenden können. Unsere Aufstellung wird immer auf den Gegner ausgelegt sein".

Mut zum Risiko: Das Bremen-Spiel zeigte deutlich: Nagelsmann hat Mut zum Risiko. Und den braucht er auch, denn 1899 muss in den verbleibenden Spielen punkten. Die Anzahl der Ausrutscher muss aufs Minimum begrenzt werden, Angsthasen-Fußball oder Ergebnis-Verwaltung sind in der aktuellen Situation nicht zielführend.

Das kommt für den Trainer-Youngster aber auch gar nicht in Frage. In Bremen zeigte er deutlich, in welche Richtung es gehen soll. Sinnbildlich dafür war die Einwechslung von Jiloan Hamad für Sebastian Rudy in der 66. Minute, wodurch Hoffenheim plötzlich mit sechs Offensivkräften agierte - in einer Phase, in der Werder gerade stärker wurde.

Nagelsmann ist sich bewusst, dass seine Mannschaft dadurch durchaus angreifbarer wird: "Es gab auch zweifellos Phasen, in denen wir Glück hatten", gestand er nach dem Schlusspfiff. Seine Prämisse lautet aber: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.

(Systematische) Verjüngung: Auch wenn der neue Coach betonte, dass das Alter bei seiner Aufstellung keine besondere Rolle gespielt habe, war die Verjüngung des gesamten Kaders und vor allem der ersten Elf nicht zu übersehen.

In den gesamten Spieltags-Kader schaffte es nur ein Spieler, der älter ist als Nagelsmann: Eugen Polanski (29), der erst in der 82. Minute eingewechselt wurde. Kevin Kuranyi zum Beispiel saß nur auf der Tribüne. "Das ist keine grundsätzliche Entscheidung", kommentierte der Trainer die Kaderverjüngung: "Man muss im Trainerteam abstimmen, welche Art von Spieler auf den Gegner passen. Das hat aber weniger etwas mit dem Alter zu tun."

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Auch wenn Nagelsmann vorgibt, das Alter nur als unwesentlichen Faktor für die Aufstellung betrachtet zu haben, zahlte sich die Entscheidung aus. Die Motivation und Spritzigkeit der jungen Truppe unterschied sich von den vorherigen Spielen merklich. Es zeigte sich, dass der junge Trainer - nicht nur altersbedingt - näher an seinen Spielern dran ist als das noch unter Stevens der Fall war.

Unverbrauchtheit: Nagelsmann kommt mit neuen Ansätzen, er sprudelt vor Ideen. Und er hat keine Angst davor, diese auch einzusetzen. "Bundesliga - das ist auch für mich etwas Neues, ich kenne die Gegebenheiten noch nicht so", gab er nach dem Spiel fast schon kindlich zu.

Auch seine nichtssagende Antwort auf die Frage, welche Prinzipien es denn seien, die er seinen Spielern mit an die Hand gebe, konnte man ihm ganz und gar nicht übel nehmen: "Ich möchte nicht zu viel verraten", grinste er mit seinem sympathisch jugendlichen Charme.

Genau diese Unverbrauchtheit ist es, die ihm gut zu Gesicht steht. Was andere tun oder ihm raten, nimmt er zur Kenntnis. Beeinflussen lässt er sich in seiner Arbeit deshalb aber gewiss nicht. Am wichtigsten dabei ist jedoch, dass er einen klaren Plan zu haben scheint. Er experimentiert nicht ins Blaue hinein, sondern hat genaue Vorstellungen von dem, was er seinen Spielern vermitteln möchte.

Und trotzdem: Bei aller Innovation und Überzeugung zeichnet ihn vor allem Rationalität aus. "Bremen hatte über die gesamte Spielzeit die besseren Chancen. Nach der Gelb-Roten Karte wurde es schwer, noch einmal Zugriff auf das Spiel zu bekommen. Von daher war es ein Punktgewinn für uns", lautete seine ehrliche und realistische Einschätzung des Spiels.

Bloß kein Abstiegsk(r)ampf: Die womöglich wichtigste Erkenntnis des Wochenendes: Nagelsmann vertraut seinen Spielern. Das zeigt insbesondere die Tatsache, dass der Trainer seiner technisch versierten Mannschaft uneingeschränkt erlaubte, das zu tun, was sie am liebsten tut: offensiven Fußball zu spielen.

Nagelsmann trotzt dem Mythos Abstiegskampf, in dem traditionell vor allem Härte und Kompromisslosigkeit als prägende Eigenschaften gelten. Huub Stevens beispielsweise, war prädestiniert dafür, genau diese Art Fußball zu spielen. Seine Überzeugung war es, dass man sich nur über Einsatz und Kampf aus der prekären Lage befreien könne.

Das unterscheidet ihn grundlegend von Nagelsmann. Der jüngste Bundesliga-Coach aller Zeiten will seine Mannschaft nicht auf gewisse Tugenden beschränken. Ein Spiel gewinne man immer noch durch ansprechenden, qualitativen Fußball, so seine Auffassung. Der Fokus liegt auf Kreativität, Spielwitz und vor allem (intellektueller) Raffinesse.

Diesen Weg nahmen die Spieler in Bremen ganz klar an, fast schon dankend. Es war ein ganz anderer Spirit zu erkennen, als noch in den letzten Partien. Abstiegs(k)rampf kommt für Nagelsmann nicht in Frage.

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