SPOX: Welche Gedankenspiele stellt man derzeit hinsichtlich der USA konkret an?
Cramer: Es geht um das Wie. Wie treten wir dort auf, wie fassen wir dort Fuß? Wir werden sicherlich nicht wie Real Madrid in der Lage sein, ein Stadion für 90.000 Zuschauer sofort voll zu bekommen. Wir versuchen gerade, Kooperationen im Stile von "grassroots Initiativen" mit verschiedenen Vereinen aufzubauen. Wir stellen uns auch die Frage, ob es nicht auch Sinn ergibt, nicht nur in den Osten, sondern auch in den Westen der USA zu gehen.
SPOX: Weshalb?
Cramer: Dort besteht vor allem durch den hispanischen Anteil eine höhere Fußballaffinität als an der Ostküste. Auch die massiv zunehmende digitale Reichweite und Merchandising-Umsätze spielen eine Rolle. Mit Evonik und Puma haben wir zwei Partner, die ebenfalls Interesse an diesem Markt haben. Wir strecken verschiedene Fühler aus. Mit dem Ziel, dort ein Fundament zu setzen.
SPOX: Welchen Einfluss hat die Tatsache, dass mit Christian Pulisic ein in den USA viel beachteter Spieler in Dortmund unter Vertrag steht?
Cramer: Christian Pulisic hat für amerikanische Verhältnisse das Potential, zu einem globalen Superstar zu werden. In den USA hat es bislang keinen vergleichbaren Spieler gegeben. Er ist dahingehend ein gigantisches Zugpferd für uns, vergleichbar mit der Relevanz von Shinji Kagawa für Japan. Der Unterschied: Japan hat eine größere Fußballhistorie, in den USA ist der Markt wiederum deutlich größer.
SPOX: In einem unserer früheren Interviews sprachen Sie davon, sich beim Thema Internationalisierung mit Klubs aus der Premier League auszutauschen, da diese auf diesem Gebiet größere Erfahrungswerte besitzen. Wie kann man sich das genau vorstellen?
Cramer: Zunächst einmal haben wir unseren eigenen Weg definiert und verfolgen ihn auch konsequent. Dennoch beobachten wir logischerweise, wie andere Vereine auftreten und ziehen Schlüsse für unsere Herangehensweise daraus. Wir wollen bei solchen Reisen beispielsweise nicht am VIP-Terminal des Flughafens ankommen und schnellstmöglich an den auf uns wartenden Menschen vorbei zum Bus kommen. Das ist nicht unser Ding, das wären nicht wir. Wir suchen lieber gezielt die Nähe zu den Menschen. Insgesamt gesehen ist durchaus ein Unterschied in der Herangehensweise zwischen den Fußball-Unternehmen aus UK und Fußballvereinen wie unserem festzustellen. Dennoch tauscht man sich aus und stimmt sich ab. Wieso nicht mal bei Manchester United nachfragen, wie sie das die vergangenen 30 Jahre gemacht haben? Nicht mit dem Ziel, ihr Vorgehen zu kopieren, sondern um einfach Input zu bekommen.
SPOX: Was beeindruckte Sie von diesem Input bislang am meisten?
Cramer: Die Intensität und Schärfe, mit der die Märkte bearbeitet werden. Man ist dort sehr engagiert. Da wird in Hongkong eine neue Einheit mit 25 Leuten aufgebaut, die dann auch nur diese eine Aufgabe hat, diesen Markt oder diese Region zu bearbeiten. Das heißt aber nicht, dass wir das genauso machen müssen.
SPOX: In Europa nannten Sie Österreich, die Schweiz, England, Polen und die Türkei als Heimatmärkte für den BVB. Welche Entwicklungen sind dort zu verzeichnen?
Cramer: Dort sind wir in erster Linie medial extrem präsent. Allein durch die Nähe zum Spiel werden diese Märkte bearbeitet. Die Anzahl der ausländischen Fans gerade aus England und Polen, die unsere Spiele besuchen, nimmt weiterhin zu. Hinzu kommt Frankreich, wo unser Stellenwert durch unsere französischen oder frankophonen Spieler ebenfalls stark zunehmend ist. Nicht nur, aber natürlich vor allem auch in Europa profitieren wir davon, dass wir in der Champions League zu den besten Acht gehören.
SPOX: Inwiefern machen denn beispielsweise politische Entwicklungen wie in der Türkei Sorge?
Cramer: Der Fußball sollte versuchen, unpolitisch zu sein. Am Ende ist er für die Menschen gedacht, die nicht unbedingt immer die Politik abbilden. Mit diesem Argument haben wir auch gesagt, dass es sicherlich kritikwürdige Dinge in einigen Ländern gibt. Die Menschen, die Lust auf Fußball haben, jedoch für ihr politisches Regime zu bestrafen, wäre kontraproduktiv.
SPOX: Hört man Internationalisierung, denkt man in Deutschland vor allem an zwei Vereine: Bayern und Dortmund. Ist Ihnen das ein Dorn im Auge oder gerade Recht so?
Cramer: Wie ich gerade schon sagte: Wir Klubs müssen die Internationalisierung als Liga-Thema begreifen. In manchen Märkten sind wir mit mehreren Vereinen als Liga gemeinsam stärker. Da kann es nicht nur um Bayern und Dortmund gehen, auch wenn die internationale Wertschätzung, die beide Klubs genießen, nicht nur ihnen selbst, sondern auch der Bundesliga und damit den übrigen 16 Klubs enorm hilft. Wir sind dahingehend keine Konkurrenten, sondern beste Repräsentanten der Liga. Es wäre nicht clever, sondern im Gegenteil sogar fahrlässig und unprofessionell, würden die Bayern und Borussia Dortmund an bestimmten Stellen nicht zusammenarbeiten.
SPOX: Watzke relativierte auf der Mitgliederversammlung sein Zitat vom "Spagat zwischen Shanghai und Borsigplatz". Dieses Bild beschreibt den aktuellen Zustand und die Herausforderungen doch aber ganz gut.
Cramer: Das mag sein, und ich finde auch, dass dieses Zitat vor allem ein guter interner Arbeitstitel ist. Die Öffentlichkeit macht daran möglicherweise aber zu viel fest und verbindet es mit zu viel Symbolik. Ich kann mich da nur wiederholen: Das Thema Internationalisierung ist nicht die eierlegende Wollmichsau, sondern ein begleitender Vorgang. Man muss es immer im Verhältnis zueinander sehen. Ich sprach vorhin von achtstelligen Umsätzen, insgesamt aber steht der BVB beim Gesamtumsatz an der Schwelle zu 400 Millionen Euro. Wir wissen, wo Brot und Butter geschmiert und gegessen werden. Ich finde es deshalb ein bisschen unfair, wenn man uns unterstellt, wir würden ein Freundschaftsspiel in Erkenschwick bestreiten und hätten damit dann in einer Excel-Tabelle den Punkt 'Heimat' abgehakt. Ganz klar und ohne dass es beim BVB in diesem Punkt auch nur ansatzweise zwei Meinungen gibt: Wir werden die Heimat niemals opfern.
SPOX: Apropos Heimat: Beim FC Schalke 04 wurde eine eSport-Abteilung gegründet. Watzke hat diesem Thema für den BVB schon eine klare Absage erteilt. Ein eSport-Revierderby wird es also nicht geben?
Cramer: Nein. Um das mit der Markenwelt zu erklären: Eine Marke muss bei ihrem Kern bleiben. Es wird häufig die Frage gestellt, wie viel Dehnung eine Marke verträgt. eSport hat jedoch eine derart große Bandbreite, die am Ende mit dem eigentlichen Fußball nur noch wenig zu tun hat. Nicht fußballrelevante Computerspiele in irgendwelchen Ligen mit Männchen im BVB-Trikot auszutragen, halten wir für zu viel des Guten. Daher ist das nicht unsere Welt. Trotzdem sind wir dem digitalen Fußball wie beispielsweise Pro Evolution Soccer von unserem globalen Partner Konami natürlich alles andere als abgeneigt.