Mit drei Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz wurde Michael Köllner im Februar 2019 als Trainer beim 1. FC Nürnberg entlassen. Ein Jahr zuvor hatte der 49-Jährige den Club noch überraschend in die Bundesliga geführt.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Köllner über die Zeit seit seiner Freistellung sowie die Kontroverse um seinen Co-Trainer und Nachfolger Boris Schommers.
Zudem erklärt Köllner, inwiefern er das Aus beim FCN kommen sah, wie man Anfragen ohne Berater bekommt und er äußert sich zur Hire-and-Fire-Politik der Vereine.
Herr Köllner, seit Ihrem Aus beim 1. FC Nürnberg Mitte Februar sind Sie unter anderem auf Kongressen als Referent aufgetreten. Was haben Sie seitdem sonst noch gemacht?
Michael Köllner: Vieles. Manchmal denke ich, Zeit für mich selbst hatte ich seitdem trotzdem nicht. (lacht) In erster Linie geht es darum, die Station in Nürnberg zu reflektieren. Ich gehe Monat für Monat durch und schaue, was genau passiert ist. Wenn man beurlaubt wird, hat man ja sicherlich nicht alles richtig gemacht. Die gesamte Zeit will ich in Ruhe analysieren, um positive wie negative Schlüsselmomente herauszuschälen.
Ist die Analyse bereits abgeschlossen?
Köllner: Nein, das ist ein fortlaufender Prozess. Ich komme immer wieder mit Leuten ins Gespräch, die ein Teil des Weges waren. Das kann ein Spieler oder ein Berater sein, die mir ihre Sicht schildern. Ich treffe mich auch mit einem Führungskräftecoach, der mich bei der Aufarbeitung objektiv begleitet und mir hilft, bei all diesen Themen eine gewisse Struktur für die Zukunft aufzubauen. Und ich nutze die Zeit, um mich weiterzubilden.
spoxInwiefern?
Köllner: Ich will mein Englisch verbessern und habe dafür einen eigenen Englischlehrer, der mit mir arbeitet. Geistig etwas zu tun war im Grunde mein erster Impuls nach der Beurlaubung. Ich will, dass meine Birne aktiv bleibt. Zudem ist Medienkompetenz ein Thema, das im Profibereich wichtig ist. Da ist man nie gut genug und muss sich ideal aufstellen. Blick zurück, Blick nach vorne, Entwicklung neuer, persönlicher Strategien - all das tue ich, damit der nächste Job nicht nur der richtige, sondern auch erfüllend und erfolgreich ist.
Wie sind Sie denn mit Ihrer bisherigen medialen Positionierung zufrieden?
Köllner: Mein Image kann ich aktuell kaum ändern. Sicherlich wünscht man sich manchmal, dass Themen aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden. Das kann ein großes Problem sein, denn am Ende ist es auch immer eine Wahrnehmungsfrage.
Heißt?
Köllner: In einem Museum nimmt jeder das Gemälde eines Künstlers anders wahr und zieht seinen eigenen Schluss daraus. Der muss aber nicht mit der Intention des Künstlers übereinstimmen. Als Trainer hat man natürlich einen eigenen Blickwinkel auf seine Rolle und Aufgabe und weiß, was man dafür investiert. Konträr dazu gibt es Außenstehende, deren Sicht wiederum von vielen Leuten übernommen wird. Da denkt man sich öfter: Das ist so einfach nicht richtig.
Sie sind 2018 mit dem Club in die Bundesliga aufgestiegen. Wie sehr unterscheidet sich der mediale Druck zwischen 2. und 1. Liga?
Köllner: Schon extrem. Die Anfragen häufen sich, die bundesweite Beachtung verändert sich stark. Jedes Wort, das man fallen lässt, wird von vielen übernommen und teils aus dem Kontext gerissen. Das macht diese Arbeit schwieriger. Sie gehört aber dazu und ich habe sie nicht als wirklich unangenehm empfunden. Man kann aus Interviews mit Journalisten auch häufig etwas lernen und für sich selbst mitnehmen.
Apropos: In einem Ihrer ersten öffentliche Auftritte nach Ihrem Aus sagten Sie bei Blickpunkt Sport über Ihren Nachfolger Boris Schommers: "Es schmerzt mich, dass er den Posten des ersten Trainers übernehmen durfte. Das war so nicht besprochen." Anschließend gaben Sie zu, dass Sie dies etwas präziser hätten formulieren sollen. Tun Sie es jetzt!
Köllner: Ich habe dort viele Sätze gesagt, doch wie gerade beschrieben wurde dann einer davon herausgegriffen und in einen bestimmten Kontext gestellt. Da habe ich mal wieder gesehen: Ein einziger Satz kann echt fatal sein. Mir wurde ein Nachtreten attestiert, obwohl das dieser geäußerte Satz nicht hergibt. Ich habe ja nicht gesagt, dass ich Boris Schommers oder den Verein blöd finde.
Das stimmt.
Köllner: Ich wurde auf die neue Rolle von Boris Schommers angesprochen und habe einfach nur gesagt, dass das so nicht abgesprochen war. Mein Verständnis ist eben: Wenn man als Chefcoach jemanden als Co-Trainer zum Verein holt und er eines Tages andere Pläne hegen sollte, dann bespricht man das miteinander. Das wäre für mich ein völlig normaler Vorgang, doch das ist nicht geschehen. Das war alles, was ich damit sagen wollte.
Ihre Äußerung hat in der Folge ein paar höhere Wellen geschlagen. Wie sind Sie damit umgegangen?
Köllner: Ich hätte nicht erwartet, dass das eine solche Dimension annimmt. Ich habe daraus gelernt, ganz klar. Das wird mir in Zukunft wohl nicht mehr passieren. Andererseits: Hätte ich dazu einen Kommentar verweigert, wäre das vielleicht auch wieder zweideutig angekommen. Auf manche Fragen kann man kaum eine richtige Antwort geben.
Es kommt häufig vor, dass mit dem Chefcoach auch der Co-Trainer gehen muss. Hat es Sie überrascht, dass das in Ihrem Fall nicht geschah?
Köllner: Darüber habe ich mir ehrlich gesagt keine Gedanken gemacht.
Wie sah denn Ihr Verhältnis zu Schommers grundsätzlich aus?
Köllner: Wir haben immer alles eng miteinander besprochen. Ich habe auch Dinge umgesetzt, die er vorgeschlagen hat.
Andererseits: Im Grunde kann es Ihnen doch auch egal sein, wie es personell nach Ihrer Beurlaubung weitergeht. Das darf ja immer noch der Verein entscheiden.
Köllner: Richtig. Wer mein Nachfolger wird, ist allein Sache des Vereins.
Was ebenfalls ungewöhnlich an Ihrer Beurlaubung war: Sportvorstand Andreas Bornemann, der immer Kontinuität predigte, wollte trotz 15 sieglosen Spielen am Stück bedingungslos an Ihnen festhalten. Es musste daher erst er entlassen werden, bevor man Sie vor die Tür setzen konnte.
Köllner: Das hatte in der Tat eine Dimension, die in der Bundesliga noch nicht so häufig vorgekommen ist. Andreas Bornemann war derjenige, der meine Arbeit als mein Vorgesetzter im operativen Geschäft bewertet und zusammen mit mir die Zielvorgaben festgelegt hat. Er war mit mir im Reinen, da ich alles, was der Verein von mir wollte, eins zu eins erfüllt habe. Es ist nichts eingetreten, womit wir nicht schon vor der Saison gerechnet hätten.
Inwiefern?
Köllner: Wir wollten bis zum Schluss auf Tuchfühlung zum Relegationsplatz bleiben. Als ich gehen musste, waren wir drei Punkte entfernt, zu Platz 15 waren es sechs Zähler. Wir hatten keine Mannschaft, die die Liga in Grund und Boden spielt, das war von vornherein klar. Es war uns deshalb bewusst, dass wir nur eine Chance haben würden, wenn wir ruhig und aus einer gewissen Verlässlichkeit und Stabilität heraus dranbleiben. Unser erklärtes Ziel war, und das wurde im Winter intern auch noch einmal so bekräftigt, in den letzten fünf, sechs Saisonspielen, wenn es bei den Konkurrenten unruhig wird und die Nerven ins Spiel kommen, unsere Chance zu nutzen. Wir hätten nichts zu verlieren gehabt, denn wir wussten ja, dass wir eigentlich auf einen dieser letzten Plätze gehören.
Letztlich wäre es beinahe so gekommen: Hätte Nürnberg die Heimspiele gegen Stuttgart und Schalke gewonnen, wäre der Klassenerhalt zumindest wahrscheinlicher gewesen.
Köllner: Ich bin nach wie vor überzeugt, dass wir das hauchdünn hätten schaffen können. Das hört sich zwar doof an, wenn man am Ende mit 19 Punkten absteigt. Der Saisonverlauf hat jedoch gezeigt, dass alles eingetreten ist, was wir vorab berechnet haben, um diese kleine Chance auf den Klassenerhalt zu wahren.
Auch mit der Art des Fußballs, die der Club unter Ihnen spielte? Schommers hat nach seiner Übernahme ja deutlich defensiver agieren lassen.
Köllner: Auch mit der Art des Fußballs, ja. Denn um ein Spiel zu gewinnen, musst du dir Chancen herausspielen und Tore schießen - auch wenn das einmal zu Lasten der Defensive geht. Sicherlich hat uns in einigen Spielen diese Balance gefehlt, doch richtig unter die Räder gekommen sind wir nur in Dortmund und Leipzig. In vielen anderen Begegnungen haben Kleinigkeiten den Ausschlag gegeben. Zwar waren wir immer gut dabei, aber wenn es dann so selten klappt, dann ist das auch das Merkmal eines Absteigers. Das muss man ganz klar sagen.
Haben Sie Ihre Beurlaubung in gewisser Weise kommen sehen?
Köllner: Nein. Ich war ja ständig mit dem Vorstand in Gesprächen. Wir waren alle davon überzeugt, dass unsere Phase am Saisonschluss kommen wird und wir ruhig bleiben müssen. Es gab erst am Montag vor meiner Beurlaubung eine einstimmige Abstimmung im Aufsichtsrat, dass der Kurs weiterhin so fortgesetzt wird. Innerhalb von sechs Tagen kam dann ein kompletter Turnaround zustande, den ich so nicht habe kommen sehen. Es hat sich daher unecht angefühlt, auch weil es wie gesagt unüblich ist, dass eine komplette Führungsetage auf einen Schlag mitten in der Saison ausgetauscht wird.
Am Tag nach dieser Abstimmung schied der FCN im Pokal gegen Zweitligist HSV aus und verlor am darauffolgenden Wochenende beim direkten Konkurrenten Hannover 96. Dachten Sie danach nicht: Jetzt könnte es eng werden?
Köllner: Sicherlich analysiert man jede Partie kritisch. Wir waren nach diesen Spielen natürlich unzufrieden. Allerdings muss man zumindest in Hinblick auf den Pokal für sich entscheiden: Was ist am Ende wichtiger, was ist das grundsätzliche Ziel? Selbstverständlich ist es schön, im Pokal weiterzukommen. Du musst aber letztlich die Kraft und die Breite im Kader haben, beide Wettbewerbe stemmen zu können. Im Vorjahr war es für uns gewinnbringend, gegen Wolfsburg ausgeschieden zu sein, weil dann die Konzentration und Kraft auf der Liga lag.
Wie meinen Sie das?
Köllner: Ich weiß nicht, ob es dem HSV gutgetan hat, bis ins Halbfinale gekommen zu sein. Der Fokus der Spieler gerät dann schnell mal weg vom Hier und Jetzt - und das ist immer die Liga. Wenn du als Erstligist bei einem Zweitligisten nach einer solch schlechten Leistung aus dem Pokal fliegst und weißt, wer schon alles draußen ist, dann ist das im ersten Moment enttäuschend. Doch so lag der Fokus wieder komplett auf dem Klassenerhalt. Und am Ende muss ich mein Ziel nach dem 34. Spieltag erreichen.
In der Pressemitteilung zu Bornemanns Freistellung verlor der Aufsichtsrat kein Wort über Ihre Zukunft. Zwölf Stunden später mussten auch Sie gehen. Wie haben Sie diese Stunden verbracht?
Köllner: Nach dem Hannover-Spiel habe ich die Zeit eigentlich wie immer verbracht und die Trainingswoche vorbereitet. Der Rest wurde ja bereits hinreichend in den Medien geschildert.
Letztlich war der FCN in der entscheidenden Saisonphase gewissermaßen führungslos. Mittlerweile hat man einen Sportdirektor und Trainer gefunden, zudem will man einen technischen Direktor einstellen - das ist ein Umbruch auf allen Ebenen. Verhindert nicht aber gerade das die Kontinuität?
Köllner: Nachhaltig erfolgreiche Klubs verfolgen in der Regel, auch was die eigene Spielentwicklung angeht, sehr lange eine verlässliche Philosophie. Das wirkt sich nicht nur auf die Profimannschaft, sondern auch auf die Nachwuchsabteilung aus. Daher kann man natürlich darüber diskutieren, ob diese Hire-and-Fire-Politik in den Klubs zielführend ist - auch im Hinblick auf die Entwicklung von Talenten.
Wie hätte in Ihren Augen ein Szenario ausgesehen, damit Sie trotz der Sieglos-Serie im Amt geblieben wären?
Köllner: Das wäre reine Spekulation.
Hätte man aber nicht auch einfach mal azyklisch handeln können - oder ist das eben doch gänzlich unrealistisch?
Köllner: Man kann nach einem Aufstieg, der zudem ja doch sehr überraschend kam, nicht davon ausgehen, plötzlich Dauergast in der Bundesliga zu sein. Vielmehr muss man es schaffen, dass sich die Zyklen, in denen man sich in der 2. Liga und der Bundesliga aufhält, langfristig in Richtung der ersten Liga verschieben. Und ganz grundsätzlich: Als Trainer machst du ja keine Alleingänge. Es gibt ein Konzept, welches mit dem Verein und der sportlichen Leitung eng abgestimmt ist. Es wird jeden Tag diskutiert, justiert, hinterfragt. Für nahezu alle Bereiche werden Daten erhoben, nichts ist dem Zufall überlassen. Aber wenn der Klub in der Phase der Saison einen Paradigmenwechsel beschließt, ist das legitim. Die Meinung des Vereins entsprach nicht der meinen, daher ist es so gekommen, wie es gekommen ist. Damit muss man als Trainer leben.
Zumal, wie Sie bereits sagten, der Abstieg nicht besonders verwunderlich kam. Schließlich trat man mit einer Mannschaft an, die so gut wie keine Erfahrung in der Bundesliga mitbrachte.
Köllner: Genau. Bei unserem Aufstieg haben wir im gesamten Profibereich die zweitmeisten jungen Spieler eingesetzt. Dafür gab es sogar eine Prämie. Man muss den Spielern, die die Qualität mitgebracht haben, um aufzusteigen, auch eine Chance geben. Erst recht, wenn man keine finanziellen Mittel hat, um den Kader in Teilen zu verändern. Nach der Saison kann man dann die Leistung jedes Spielers beurteilen und entscheiden, wer für die weitere Mission in Frage kommt und wer nicht.
Hätte man diesen Fakt der Unerfahrenheit vor und auch während der Saison noch deutlicher nach außen kommunizieren müssen?
Köllner: Das haben wir getan, aber vielleicht hätten wir es noch stärker betonen müssen.
Lassen Sie uns in die Zukunft blicken: Es hat offenbar schon konkrete Angebote für Sie gegeben. Wie sind die denn Ihnen zugetragen worden? Sie hatten schließlich noch nie einen Berater.
Köllner: Das stimmt. Mir wurde nach meiner Beurlaubung nun aber Unterstützung und Hilfe in dieser Hinsicht angeboten.
Wieso hatten Sie bisher darauf verzichtet?
Köllner: Aufgrund dessen, dass ich noch nicht so lange Profi-Trainer bin, habe ich das zunächst nicht für notwendig gehalten. Doch mit der Zeit habe ich gemerkt, dass man für die Kontakte zu den Vereinen und die Vorbereitung von Gesprächsterminen diese Hilfe schon benötigt.
Wie viele Anrufe bekommt man denn unmittelbar danach, wenn man einen Verein verlassen muss?
Köllner: Es waren aufgrund meiner Berater-Situation keine hunderte. Der erste Reflex ist ja, sofort wieder auf den Platz zurück zu wollen, um allen zu zeigen, dass man der Beste ist. (lacht) Es gab Anfragen, bei denen ich sofort hätte übernehmen können. Ein Verband wollte mich beispielsweise als technischen Direktor haben. Da springt man gedanklich dann zumindest kurzzeitig auf ein paar Sachen an. Doch dann gehe ich entweder mit meiner Frau joggen oder schlafe eine Nacht darüber, um meine Gedanken vernünftig zu ordnen. Ich will die aktuelle Zeit einfach nutzen, um mich zu reflektieren und auch gewissermaßen neu aufzustellen.
Zuletzt kamen Gerüchte auf, wonach Sie bei Celtic Glasgow und Swansea City im Gespräch sein sollen. Ist denn die Lust, zum Saisonstart irgendwo einzusteigen, grundsätzlich wieder da?
Köllner: Absolut. Ich bin aber ehrlich gesagt auch wählerisch. Hauptsache ein Job - das gibt es bei mir nicht. Ich war nicht umsonst fast 13 Jahre beim DFB. Ich denke auch nicht in Ligen. Daher ist es mir überspitzt gesagt relativ egal, wo ich trainiere. Ich bin nicht auf Deutschland fixiert. Der Verein und die Aufgabe müssen passen. Das Land ist in dem Sinne nebensächlich.
Michael Köllner, neuer Cheftrainer bei Swansea City in der englischen Championship - das ließen Sie sich schon sagen, oder?
Köllner: Kein Kommentar. (lacht) Natürlich ist England derzeit das Maß aller Dinge und sehr interessant. Doch die neue Aufgabe muss sich mit meinen Werten decken, ob ich sie einbringen kann und ob man in der Spiel- und Kaderentwicklung gemeinsam etwas Nachhaltiges schaffen möchte. Dann wäre der Klub für mich interessant. Wenn so etwas auf mich zukommen sollte, mache ich es. Und wenn nicht, dann lohnt es sich, auf die passende Aufgabe zu warten.