Sie wurden damals, aber auch schon zuvor, sehr für Ihre extreme Akribie und Detailversessenheit gelobt. Woher rühren diese Eigenschaften bei Ihnen?
Favre: Dass Details im Fußball wichtig sind, wird Ihnen jeder Trainer sagen. Sie machen vielleicht nicht immer den Unterschied aus, aber es ist sehr wichtig, die Überzeugung zu haben, auch das kleinste und letzte Detail zu berücksichtigen. Man muss alles tun, damit die Dinge funktionieren und um das zu gewährleisten, können Details eine sehr wichtige Rolle spielen - nicht nur auf dem Feld. Es kann auch ein gut gewähltes oder positives Wort sein, das viele Dinge verändern kann. Es geht um Perfektion und darum, dass alles richtig und gut gemacht wird. Details sind daher immer wichtig. In allen Bereichen, nicht nur im Fußball.
Wie schwer war es denn zu Saisonbeginn für Sie, eine deutschlandweit diskutierte Personalie wie Mario Götze zu moderieren, der anfangs häufig auf der Bank saß und zu dem permanent dieselben Nachfragen kamen?
Favre: Das war kein Problem für mich. Ich weiß, dass Mario Götze in Deutschland ein Idol ist. Er hat das Tor zum WM-Titel geschossen. Es ist klar, dass so etwas bleibt. Er ist ein sehr guter Spieler, aber er hat im letzten Jahr ab Oktober sehr regelmäßig gespielt. Manchmal kommt so etwas vor, es gibt überall Konkurrenz. Das muss man akzeptieren können. Konkurrenz kann Auftrieb verleihen.
War Ihnen klar, dass es in der Rückrunde etwas bergab gehen könnte, wenn man zuvor derart am Limit gespielt hat?
Favre: Nein. Es sind Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen können: Formschwankungen können deine Mannschaft zum Beispiel verändern. Es ist unmöglich, einen Spieler die komplette Saison über in Form zu halten.
In der Rückrunde mehrten sich beim BVB die individuellen Patzer und Schwächen bei Standardsituationen.
Favre: Das stimmt, aber letztlich haben wir vor allem absolut vermeidbare Gegentore kassiert. Wir haben ein paar Mal dem Gegner die Bälle geschenkt, das waren Angebote. Bei Standards haben wir Raumdeckung gespielt und die muss man gut interpretieren. Die Standardsituationen waren in Ordnung, wenn man die gesamte letzte Saison betrachtet. Sie haben nicht den Unterschied gemacht. Im Pokal gegen Bremen, da war das der Fall. Sonst waren es schlicht zu einfache Fehler, wir haben die Bälle unter leichtfertigen Umständen verloren. In dieser Saison haben wir bei den Standards ein bisschen was verändert und weniger Fehler gemacht. Es ist besser geworden. So müssen wir nun weitermachen.
Nach der starken ersten Saison unter Ihnen lechzt das Umfeld nach mehr. Wie bewerten Sie das?
Favre: Wenn man eine solche Saison abliefert, in der man um den Titel spielt, dann ist es klar, dass die Erwartungshaltung enorm sein wird. Wir haben sehr viele Punkte geholt, manchmal in letzter Sekunde, meistens verdient, aber viele Spiele waren sehr ausgeglichen. Es ist klar, dass anschließend die Öffentlichkeit erwartet, dass wir das wiederholen und noch toppen. Das gehört dazu.
Auch der Verein hat den Kampf um den Meistertitel vor der Saison als Ziel ausgegeben. Das hat den Druck noch einmal steigen lassen.
Favre: Ja, dadurch ist Druck da. Der wäre nach dieser Vorsaison aber auf jeden Fall ohnehin da gewesen. Ich kann verstehen, dass man das so geäußert hat.
Wie problematisch ist es denn für Sie als Trainer, bei einem Klub wie dem BVB eigentlich jedes Spiel gewinnen zu müssen?
Favre: Das ist überall so, selbst wenn du in der 3. Liga trainierst. Das ist dann zwar nicht dasselbe Niveau, nicht dieselbe Begeisterung, nicht derselbe mediale Nachhall, aber dort ist es genauso. Man braucht Ergebnisse. Dennoch ist klar, dass immer Druck herrscht.
Der Saisonstart verlief diesmal nicht zufriedenstellend und es hagelte Kritik, auch weil der BVB zweimal aufgrund von späten Eigentoren den Sieg leichtfertig verspielte. Hätte man diese Spiele gewonnen, würde man an der Tabellenspitze stehen.
Favre: Und daraus macht man dann eben eine Geschichte. Es findet überall und sehr schnell eine große Übertreibung statt. Es stimmt, dass wir aktuell nicht so gut dastehen wie im letzten Jahr. Es liegt aber an nichts. Es sind die Resultate, das ist alles. Man analysiert die Resultate, aber analysiert den Rest nicht genug.
Wie blicken Sie denn auf dieses mediale Auf und Ab?
Favre: Das beeinflusst mich nicht sehr. Ich verstehe das, weil ich denke, dass es heutzutage Medien gibt, die sehr scharf schreiben müssen, um gelesen zu werden. Tun sie das nicht, werden sie nicht mehr gelesen. Es gibt bestimmte Zeitungen, die ich seit langer Zeit nicht mehr lese. Ich weiß, dass in diesem Metier immer Druck herrscht. Ganz egal, welchen Klub du trainierst, dieser Druck scheint dort immer vorhanden zu sein. Trotzdem muss man bei den Analysen gerecht und sachlich bleiben. Ich finde, manchmal sind sie nicht sehr präzise.
Was sagen Sie dazu, dass man die Leistungen an sich als nicht mehr so überzeugend einstuft wie noch in der Hinrunde der letzten Saison?
Favre: Wer sagt das?
Vor allem die Medien, aber auch Teile des Dortmunder Umfelds.
Favre: Das stimmt aber nicht. Noch einmal: In der vergangenen Saison hatten wir eine außergewöhnliche Erfolgsquote. Sehr viele junge, talentierte Spieler mussten eingebaut werden und das muss berücksichtigt werden. Seit Beginn dieser Saison befinden sich manche Spieler nicht auf ihrem besten Niveau. Das kann vorkommen. Wie gesagt: Es hängt an solchen Kleinigkeiten.
Inwiefern können Sie es nachvollziehen, dass die Kritik zuletzt auch gegen Sie und Ihre Spielweise gerichtet ist, die gerade nach den Führungen Ihrer Mannschaft als zu passiv bezeichnet wird?
Favre: Ich habe nicht wirklich die Zeit, diese Kritiken zu lesen. Wir haben immer sehr offensiv gespielt. Wir spielen quasi ein 4-4-2, aber es war manchmal mehr ein 4-2-4 mit extrem offensiven Außen. Wir sind trotzdem immer ein wenig auf der Suche nach dem Gleichgewicht und werden weiter daran arbeiten. Wie Sie sagen: Wir haben zwei Eigentore geschossen, ohne die wir an der Tabellenspitze stehen würden. Es hängt also an Kleinigkeiten. Und wir befinden uns noch am Anfang der Saison.