Michael Henke: "Ich dachte, dass Brazzo ein guter Trainer wird"
Mit Kahn als angehendem Vorstandsvorsitzenden und Hasan Salihamidzic als Sportdirektor bekleiden aktuell zwei Spieler der damaligen Mannschaft Führungspositionen beim FC Bayern. Haben Sie bei den beiden schon damals das Potenzial für diese Rollen gesehen?
Henke: Bei Brazzo dachte ich immer, dass er später ein richtig guter Trainer wird. Er ist ein emotionaler Typ, der Menschen mitreißen kann. Das ist ihm als Spieler gelungen und ich denke, das wäre ihm auch als Trainer gelungen. Kahn war schon damals der Manager-Typ. Bei ihm habe ich damit gerechnet, dass er etwas außerhalb des Fußballs macht - so wie es zu Beginn seiner zweiten Karriere auch der Fall war.
Warum diese Vermutung?
Henke: Kahn hatte schon damals ganz vielfältige Interessen weit über sein eigenes Torwartspiel hinaus. Ihn haben eher die Dinge rundherum begeistert: wirtschaftliche und mentale Aspekte. Schon als aktiver Spieler hat er sich in dieser Hinsicht viel selbst beigebracht.
2004 verließen Sie den FC Bayern. Hitzfeld hat später erzählt, kurz vor einem Burnout gestanden zu haben. War Ihnen das damals bewusst?
Henke: Mir ist an seinem Gesicht und seinem Auftreten schon aufgefallen, dass er am Limit ist. Dass die Lage so ernst war, habe ich aber nicht wahrgenommen. Obwohl wir ein sehr vertrauensvolles Verhältnis pflegten und viel Zeit miteinander verbrachten, hätte er mir niemals von so persönlichen Dingen erzählt. Ottmar behält seine Probleme für sich und macht das mit sich selbst aus. Er ist von seiner Persönlichkeit her ein Grenzgänger und muss deshalb extrem aufpassen, diese Grenze nicht zu überschreiten.
Haben Sie ihn bei der zweiten Amtszeit von 2007 bis 2008 entspannter erlebt?
Henke: Es war zumindest etwas besser. Bei Ottmar ist es entscheidend, dass er zwischendurch seinen Tank neu aufladen kann. Ihm hat es damals auch gutgetan, dass er nicht direkt vom Cheftrainerposten in Dortmund zum FC Bayern gewechselt war. Das Zwischenjahr als Sportdirektor außerhalb der vordersten Schusslinie war sehr wichtig für ihn.
Michael Henke: "Bayern profitiert bis heute von Klinsmann"
Nach Hitzfelds Abschied 2008 blieben Sie beim FC Bayern und arbeiteten unter seinem Nachfolger Jürgen Klinsmann als Chefanalytiker. Wie haben Sie seine Ankunft in Erinnerung?
Henke: Klinsmann hat sofort viele neue Impulse reingebracht - und zwar längst nicht nur die Buddhas auf dem Dach. Innerhalb kürzester Zeit hat er einen Umbau des Vereinsgeländes vorangetrieben und in diesem Zuge Spieler-Aufenthaltsräume geschaffen, die bis heute bestehen. Er hat dafür gesorgt, dass die Spieler am Trainingsgelände ordentliches Essen und Zugang zu Sportpsychologen bekommen, dass ein vereinseigenes Fernsehstudio errichtet wird und dass eine Analyseabteilung entsteht. Klinsmann war seiner Zeit voraus. Er hat den FC Bayern in die Moderne geführt und davon profitiert der Klub bis heute. Vieles, was er angestoßen hat, ist heute nicht mehr wegzudenken.
Den Aufbau der Analyseabteilung haben Sie federführend geleitet.
Henke: Bis dahin gab es beim FC Bayern nur ein paar Scouts, die sich Spiele und Spieler angeschaut haben. Insofern war es eine spannende Aufgabe, eine koordiniert arbeitende Analyseabteilung aufzubauen. Im Vergleich zu heute aber auch deutlich aufwendiger, weil die technischen Voraussetzungen ganz andere waren.
Wie eng war Ihr Austausch mit Klinsmann?
Henke: Klinsmann war weniger Trainer, sondern eher Stabschef eines riesigen Trainerteams. Ich habe mich als sein Dienstleister gesehen, der ihn mit allen Infos zum nächsten Gegner versorgt. Der Kommunikationsprozess an sich war aber nicht optimal: Ich habe die Themen auf Deutsch ausgearbeitet, sie dann mit meinem mäßigen Englisch Klinsmann und seinem internationalen Trainerteam erzählt, die es dann an die Mannschaft weitergegeben haben. Bei so einem Prozess gibt es automatisch inhaltliche Verluste. Ich hätte die Ergebnisse meiner Arbeit der Mannschaft im Nachhinein betrachtet besser selbst vorgestellt. Das wäre aus meiner Sicht effektiver gewesen. Insgesamt sieht man an diesen Prozessen aber, wie komplex die Strukturen waren, mit denen Klinsmann schon damals arbeitete.
Klinsmann wurde nach nicht einmal zehn Monaten entlassen. Konnten Sie diese Entscheidung des Klubs nachvollziehen?
Henke: Das ist ein normaler Vorgang im Fußball. Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, geht die Überzeugung für jedes noch so interessante Projekt schnell verloren.