Der BVB kam am 31. und 32. Spieltag jeweils nur zu einem Unentschieden und lag am 33. Spieltag beim späteren Absteiger Duisburg bereits 0:2 zurück, ehe man die Partie noch drehte und 3:2 gewann. Waren Sie nach dem 2:0 des MSV in der 51. Minute auch noch psychisch stabil?
Bodo Schmidt: Das war definitiv ein Schockmoment. Ich habe im Laufe meiner Karriere gemerkt, dass dies genau der Unterschied ist: Wenn du unten drin stehst und 0:2 zurückliegst, dann bekommst du das kaum noch gedreht. Stehst du oben, glaubst du noch dran - und so war es bei uns. Das war für mich noch eher das Meisterstück als das letzte Spiel gegen Hamburg.
In dieses ging man mit einem Punkt Rückstand auf Werder. Bremen spielte in München, wo SVW-Trainer Otto Rehhagel in der darauffolgenden Spielzeit anheuerte. Werder verlor 1:3, Dortmund schlug den HSV mit 2:0 - und war tatsächlich Meister. Wie war's?
Bodo Schmidt: Es herrschte vor dem Anstoß eine riesige Anspannung und Erwartung. Unsere frühen Tore kamen daher einer Erlösung gleich. Wir wurden nicht explizit informiert, da die Stimmung aber immer großartiger und ausgelassener wurde, wussten wir, dass es in München wie gewünscht läuft. Nach dem Schlusspfiff brachen dann im Wortsinne alle Dämme. Das war einer der unvergessenen Momente meines Lebens.
Bei der Übergabe der Meisterschale war der Rasen des Westfalenstadions voller Menschen. Wie lange hat es gedauert, bis Sie in der Kabine waren?
Bodo Schmidt: Ich glaube, wir waren vor der Ehrung einmal kurz in der Umkleide, um uns vor den Massen zu retten. Ich erinnere mich, dass Julio Cesar im Kabinentrakt saß und Tränen des Glücks weinte. Kurz darauf wurden dann Freiräume im Stadion geschaffen und wir sind wieder herausgekommen. Als schließlich die Schale in die Höhe gereckt wurde, war die Ordnung wieder dahin und es ging drunter und drüber. Daher waren wir auch relativ schnell wieder in der Kabine.
Am nächsten Tag fuhr die Mannschaft mit einem Truck durch die Stadt und wurde von 500.000 glückseligen Fans bejubelt. Wie sah denn das Programm nach Schlusspfiff genau aus?
Bodo Schmidt: Wir haben erst sehr lange in einem Dortmunder Hotel gefeiert und sind danach noch durch die Stadt gezogen. Die Nacht war sehr kurz, denn wir mussten am Sonntag ziemlich früh wieder am Treffpunkt sein. Es hat dann etwas gedauert, bis man wieder frisch war. Doch die Begeisterung, die in allen Poren der Stadt zu spüren war, hat einen wach gehalten. Wir haben insgesamt zwei, drei Tage nur gefeiert, am Ende ist man komplett kaputt ausgespuckt worden. Es war der größte Rausch meiner Dortmunder Zeit. (lacht)
Sie waren in dieser Saison im Dezember 1994 auch Teil eines weiteren legendären Westfalenstadion-Moments. Im Achtelfinal-Rückspiel des UEFA-Pokals gegen Deportivo La Coruna bereiteten Sie in der 119. Minute das entscheidende 3:1 vor, das seitdem ausschließlich mit Torschütze Lars Ricken verbunden wird. Wie denken Sie daran zurück?
Bodo Schmidt: Nach dem Spiel herrschten unglaubliche Emotionen. Da bekomme ich jetzt noch eine Gänsehaut. Wir hatten ja noch in der Verlängerung den Ausgleich bekommen und erst in der 116. Minute das 2:1 erzielt. Ich weiß noch, wie Sammer anschließend vor Freude wie ein Wildgewordener über den Platz rannte. Mir ist später noch voller Euphorie ein Malheur passiert. Als ich in der Nacht nach Hause fahren wollte, bin ich unserem Vereinsarzt am Stadionparkplatz ins Auto gefahren. 'Scheißegal, das klären wir die Tage mal', sagte der nur. (lacht)
Sie sind kurz vor dem entscheidenden Treffer noch mit einem Gegenspieler aneinandergeraten, weil dieser bei einem Freistoß von Sammer keinen Abstand hielt. Sekunden später luchsten Sie genau diesem Gegenspieler den Ball ab, wurschtelten sich an vier, fünf Leuten vorbei und jubelten bereits, noch bevor Ricken Ihre Vorlage im Tor untergebracht hatte. Haben Sie die Szene noch im Kopf?
Bodo Schmidt: Natürlich. Mein Pass auf Lars war auch gewollt - sogar sehr gewollt! Selbst wenn mir das nur wenige aus der Mannschaft abgenommen haben. Dass ich schon gejubelt habe, lag wohl einfach daran, dass Lars eben immer so kaltschnäuzig im Abschluss war.
Eine Spielzeit nach der Meisterschaft kamen Sie dann zwar zu Ihrem Debüt in der Champions League und dem nächsten Gewinn der Schale, aber nur noch auf 23 Pflichtspiele. Neuzugang Jürgen Kohler übernahm Ihren Platz. Dabei wurde Ihnen offenbar versprochen, dass er gar nicht nach Dortmund wechseln würde. Was war da los?
Bodo Schmidt: Ich hatte Manager Meier gefragt, was an den Gerüchten dran sei. Er meinte, es gäbe zwar den Gedanken, aber das sei jetzt eigentlich alles vom Tisch und würde nicht passieren. Darauf habe ich mich verlassen, bin in den Urlaub gefahren und habe dort von diesem Transfer erfahren. Ich war natürlich enttäuscht und verärgert, was ich auch kundgetan habe. Meier hat sich dafür auch entschuldigt und gesagt, er habe das nicht kommen sehen. Das habe ich ihm abgenommen, weil er ein sehr ehrlicher Mensch ist. Präsident Gerd Niebaum war wohl sehr engagiert, was diesen Wechsel betraf. Meier gab mir dann sein Wort, dass ich die Freigabe bekomme, wenn ich wechseln möchte. Kohler war ein super Typ und Nationalspieler. Deshalb war klar, dass er spielen muss und wird. Es war schwer für mich, gegen ihn anzukommen. Und da sich das so entwickelte, war ich eine Saison später durchaus wechselwillig.
1996 gingen Sie schließlich für zwei Jahre zum 1. FC Köln. Nach einem Intermezzo beim nordrheinischen Oberligisten SCB Preußen Köln unterschrieben Sie Ende 1998 für vier Jahre beim Regionalligisten 1. FC Magdeburg und nach dem Zwangsabstieg des FCM ließen Sie ab 2002 Ihre Karriere in der Heimat bei Flensburg 08 ausklingen. Wie sieht heute Ihr Kontakt zum BVB aus?
Bodo Schmidt: Zu ehemaligen Mitspielern besteht so gut wie kein Kontakt mehr, ich bin ja hunderte Kilometer entfernt. Deshalb war ich auch eine ganze Zeit schon nicht mehr im Stadion. Das werde ich in der kommenden Saison aber mal sein, weil ich es einem Bekannten versprochen habe. Dortmund ist ein Teil meiner Vergangenheit, der schon sehr lange zurückliegt und das ist für mich okay so. Ich bin aber sehr an den Spielen des BVB interessiert.
Über zwei Besonderheiten müssen wir noch sprechen: In Dortmund wird man Ihren Namen nicht nur aufgrund der damaligen Erfolge nicht so schnell vergessen, sondern auch wegen einem in Anführung legendären Foul an Leverkusens Stürmer Ulf Kirsten im Februar 1994. Sie traten ihn in Höhe der Mittellinie geradezu in den Spielertunnel, wo er über einen Gullydeckel rutschte, sich das Bein aufriss und schwer verletzte.
Bodo Schmidt: Auf diese Szene bin ich sehr lange angesprochen worden. Das Tragische an diesem Zweikampf an der Außenlinie war, dass der Ball zuvor bereits knapp im Seitenaus war. Das habe ich aber nicht gesehen und das Tackling daher durchgezogen. Kirsten hatte schon abgeschaltet und nicht mehr damit gerechnet, dass ich ihn gleich seitlich ummähe. Er musste anschließend ins Krankenhaus, das tat mir unheimlich leid. Wir haben am nächsten Tag miteinander telefoniert und er hat meine Entschuldigung angenommen. Er war ein Spieler, der selbst auch unheimlich viel ausgeteilt hat, daher konnte man da gut mit ihm reden.
Und: Sie haben einmal verraten, dass Sie auf Mannschaftsfotos immer ganz rechts in der oberen Reihe standen, damit Sie schneller mit dem Autogramme schreiben fertig waren. Wie kamen Sie darauf?
Bodo Schmidt: Durch Thomas Helmer. Er hatte mir gezeigt, wie viel Zeit er damit sparte. Er musste die Plakate immer nur oben rechts am Knick packen und dann wegnehmen und unterschreiben, wegnehmen und unterschreiben. Als er den Verein nach meiner ersten Saison verließ, habe eben ich mich dort oben hingestellt. (lacht)