Was haben Sie gelernt und inwiefern hat Corona die Lerneffekte beschleunigt?
Adler: Ich habe wahrscheinlich noch nie so schnell so viel gelernt wie jetzt in der Coronazeit. Ich hatte zum Beispiel null Ahnung vom Thema Kurzarbeit und plötzlich mussten wir uns damit auseinandersetzen und entscheiden, welche Mitarbeiter wir wie in Kurzarbeit schicken müssen. Unsere schlanken Strukturen haben uns geholfen, dass wir wieder schnell in die Spur gefunden haben, aber es war eine harte Zeit. Unser Markt ist vor allem der Amateursport und mit einem Schlag war alles auf Null gesetzt. Nur unsere niedrigere variable Kostenquote aufgrund unseres Geschäftsmodells hat uns massiv geholfen und gerettet. Im Vergleich zu den großen Tankern in der Wirtschaft sind wir da noch das Speedboat, aber für viele mit einer weniger flexiblen Kostenquote wird es schnell zappenduster. Da sieht man erst, wie fragil die Gebilde oft sind und wie schnell die Existenzen bedroht sind. Das ist brutal zu sehen. Es lehrt einen aber auch Demut. Vielleicht muss man nicht immer sofort nach der nächsten Expansion streben und immer noch mehr wollen.
Es trifft ja leider vor allem das kleine Café an der Ecke, das es bald nicht mehr geben wird.
Adler: Ich bin da sehr romantisch veranlagt, deshalb macht mich diese Entwicklung auch traurig. Immer wenn ich in London war, fand ich es großartig, dass es dort noch Regenschirmmacher gibt. Das ist einfach Tradition. Natürlich muss man mit der Zeit gehen und ich bin inzwischen auch im E-Commerce tätig, aber dennoch trifft es mich, wenn kleine Läden, die vielleicht seit mehreren Generationen in Familienbesitz sind, von großen Ketten rausgedrängt werden. Was gibt es Schöneres als den kleinen Italiener in zweiter, dritter Generation an der Ecke? Ich wünsche mir, dass viele belohnt werden, die jetzt in der Krise aus der Not eine Tugend gemacht haben und zum Beispiel als Gastronomen das Takeaway-Geschäft für sich entdeckt und so einen neuen Kundenstamm aufgebaut haben. Aber ehrlicherweise fürchte ich, dass uns insgesamt die große Pleitewelle erst noch bevorsteht.
Rene Adler: "Mir fehlt es, sich wöchentlich zu messen"
Die Torwarthandschuhe sind eine Beteiligung von Ihnen, jetzt kommt eine weitere dazu. Worum handelt es sich da?
Adler: Wir haben kürzlich eine Unternehmensberatung im Krankenversicherungswesen gegründet. Unser Thema ist das betriebliche Gesundheitsmanagement. Ich habe als Profisportler immer die beste medizinische Versorgung erfahren, die man sich nur vorstellen kann. Ich weiß, wie wichtig die Gesundheit ist. Uns geht es darum, uns um die Hochleistungssportler unserer Gesellschaft zu kümmern. Um die Arbeitnehmer, die uns als Gesellschaft durch die Coronakrise tragen, zum Beispiel in der Gastronomie oder im Einzelhandel. Um sie wollen wir uns kümmern und für Arbeitgeber Konzepte entwickeln, wie sie die Krankheitsquote bei ihren Mitarbeitern reduzieren können. Denn eines ist auch klar: Ein kranker Mitarbeiter ist nicht nur ein kranker Mensch, es ist auch ein Kostenfaktor betriebswirtschaftlich gesehen. Das ist ein großes Thema, das durch Corona und die Folgen hinsichtlich Home-Office-Regelungen und die dortigen Belastungen nur verstärkt wurde. Das ist eines meiner neuen Steckenpferde.
Sie arbeiten außerdem noch bei Sky und ProSiebenSat1 als Experte. Kann es sein, dass es Sie eines Tages doch wieder ganz in den Fußball zieht, oder sehen wir Sie eher bei der Höhle der Löwen?
Adler: (lacht) Gute Frage. Wenn ich etwas im Fußball gelernt habe, dann ist es, dass es keinen Sinn ergibt, viele Jahre nach vorne zu schauen. Ich habe mir vorgenommen, nach meiner Karriere zwei Jahre bis 2021 in meine Weiterentwicklung zu investieren. Das mache ich. Durch meine Beteiligungen und auch durch das UEFA-Management-Studium, das ich absolviere. Das Ziel des Studiums ist es, ehemalige Nationalspieler im Fußball-Business zu behalten, aber ich kann momentan noch nicht sagen, ob das bei mir gelingen wird. Ich war mein ganzes Leben lang fremdbestimmt, sodass ich es seit meinem Karriereende richtig genieße, selbstbestimmt leben und einfach schauen zu können, welches Setup mir am besten gefällt. Die unternehmerischen Tätigkeiten machen mir großen Spaß, gerade auch der Sales-Aspekt. Viele finden das ja gar nicht so cool, aber ich habe Freude daran, mein Netzwerk und meine Bekanntheit ein Stück weit zu nutzen und Türen zu öffnen. Ich weiß ja, dass ich immer als der Fußballer gesehen werde, was auch total in Ordnung ist. Und den Team-Gedanken, den ich aus dem Fußball vermisse, kann ich auch in einem coolen Team in der Firma, in dem alle an einem Strang ziehen, erleben.
Aber fehlt Ihnen nicht der Wettkampf?
Adler: Doch, das schon. Das ist genau der Punkt. Mir fehlt es, sich wöchentlich zu messen. Wöchentlich im Stadion - hoffentlich dann wieder mit Fans - zu sitzen und entweder zu gewinnen oder zu verlieren. In der Wirtschaft kannst du dich zwar auch messen, aber da sind wir dann schnell bei monetären Kriterien, das ist nicht das gleiche und diesen Wettkampf findest du in der Form nur im Sport. Deshalb schließe ich auch nicht aus, dass mich eines Tages die Emotionalität des Fußballs wieder richtig packt. Eine DNA bei einem Verein zu entwickeln, Werte in einem Verein zu entwickeln - das kann ich mir auch reizvoll vorstellen.
Rene Adler: Seine Karriere als Spieler im Überblick
Verein | Zeitraum |
Bayer 04 Leverkusen | 2003-2012 (138 Spiele) |
Hamburger SV | 2012-2017 (117 Spiele) |
FSV Mainz 05 | 2017-2019 (14 Spiele) |
Rene Adler: "Corona hat das ganze System Fußball sicher entlarvt"
Wenn wir bei Werten sind: Viele Fans bezeichnen das Fußball-Business nicht zu Unrecht inzwischen als krank. Wie krank ist das Geschäft aus Ihrer Sicht?
Adler: Corona hat das ganze System Fußball sicher entlarvt. In der Hinsicht, dass keinerlei Rücklagen da waren für Krisenfälle und Geschäftsmodelle ins Wackeln gekommen sind. Generell sind wir an einem Punkt, an dem vieles nicht mehr nachzuvollziehen ist. Es steht in keiner Relation, welche Summen im Fußball bewegt werden. Auf der anderen Seite spiegelt der Fußball auch nur die Marktwirtschaft wider. Wenn so viel Fußball nachgefragt wird, entwickelt sich die Spirale immer weiter nach oben.
Aber besteht nicht die Gefahr, dass sich die Fans irgendwann abwenden und lieber zu Ihrem Dorfverein gehen als zur Bundesliga?
Adler: Für mich ist es ein zweischneidiges Schwert. Ich kann viele Fans, gerade auch die Ultras, sehr gut verstehen, wenn sie gewisse Missstände anprangern. Und ich finde es maximal beschissen, um es mal sehr klar auszudrücken, dass wir keine Zuschauer in den Stadien haben können aktuell. Aber ich finde, dass wir alle Perspektiven beleuchten müssen. Corona hat auch gezeigt, dass das Spiel über allem steht. Und politisch ist es auch immer sehr einfach, in der Opposition und gegen alles zu sein. Es gibt nun mal auch eine wirtschaftliche Sicht der Dinge. Wenn wir alle wieder wollen, dass wir für 7,80 Euro in der Kurve stehen und nach dem Spiel treffen wir die Spieler auf eine Zigarette in der Kneipe nebenan - das wird nicht passieren. Und gleichzeitig wollen wir in der Champions League erfolgreich sein. Das funktioniert so nicht.
Vielen Fans ist es aber relativ egal, ob Bayern, Dortmund oder Leipzig in der Champions League erfolgreich sind oder nicht. Und mit einigen Spielern fällt die Identifikation inzwischen auch schwerer.
Adler: Ich bin zu tausend Prozent dabei, dass wir aufpassen müssen, dass die Identifikation nicht verloren geht. Ohne Zweifel. Nochmal: Ich bin Romantiker. Ich habe es am liebsten, wenn sich ein junger Fan ein Trikot von seinem Lieblingsspieler kauft und in drei Jahren spielt der als Publikumsliebling immer noch bei seinem Verein. So bin ich großgeworden. Ich kann mich auch mit manchen Gedankengängen der jüngeren Generation nicht mehr identifizieren und bin da inzwischen sehr weit weg. Ich verstehe nicht, was die Jungs teilweise auf Social Media veranstalten, aber wir können die Zeit nicht zurückdrehen und uns an frühere bessere Zeiten zurücksehnen, das will ich nur sagen. Und ich will auch nicht so rüberkommen, als hätte ich immer alles richtig gemacht. Ich habe als junger Profi auch nicht nur Top-Entscheidungen getroffen. Davon bin ich weit entfernt.