Mit 16 Jahren wechselte Jacob Bruun Larsen ins Nachwuchsleistungszentrum von Borussia Dortmund. Beim BVB durchlief der Däne die U17 und U19, ehe er unter Thomas Tuchel sein Debüt als Profi feierte. Nach einer zwischenzeitlichen Leihe zum VfB Stuttgart spielt der 22-Jährige mittlerweile für die TSG 1899 Hoffenheim.
Im Interview mit SPOX und Goal spricht Bruun Larsen vor dem Wiedersehen mit dem BVB (Sa., 15.30 Uhr im LIVETICKER) über seinen Wechsel nach Dortmund, "Wahrsager" Tuchel und die schwierige Zeit beim VfB.
Zudem erklärt der Offensivspieler, warum er es unter Lucien Favre geliebt hat, weshalb er dem BVB den Rücken kehrte und wie er die Zeit erlebte, als seine Schwester Line an Krebs erkrankt war.
Herr Bruun Larsen, bald sind Sie seit sechs Jahren in Deutschland. Sie hatten einst beim FC Liverpool und der PSV Eindhoven vorgespielt, sind dann aber im Januar 2015 ins Nachwuchsleistungszentrum von Borussia Dortmund gewechselt. Wie erinnern Sie sich an diese Probetrainings?
Jacob Bruun Larsen: Ich war 13 Jahre alt und bei jedem Verein zweimal eingeladen. Die erste Reise ging nach Liverpool. Dort war ich eine Woche lang und habe auch bei ein paar Testspielen mitgemacht. Das war eine anfangs extreme Erfahrung für mich. Alles fühlte sich sehr groß an, auch später in Eindhoven und Dortmund. Ich habe dort jeweils einen kleinen Teil vom großen europäischen Fußball kennenlernen dürfen. Am Ende hatte ich die freie Wahl und konnte selbst entscheiden, wohin ich gehe. Mein Bauchgefühl hat Dortmund gesagt. Dort hatte ich zwar kein Testspiel absolviert, aber es war trotzdem die absolut richtige Entscheidung.
Wie fremd fühlte sich das Ausland für Sie verglichen mit Dänemark an?
Bruun Larsen: Nicht wirklich, denn ich hatte mich vorab ganz gut auf die neue Umgebung vorbereitet und auch Lust auf das Ausland. Ich wurde in Dortmund sehr gut von allen aufgenommen, was es einfacher gemacht hat. Klar, die ersten drei, vier Monate waren nicht ganz einfach, sie gingen aber auch sehr schnell vorüber. Ich weiß noch, wie ich jeden Tag total platt nach Hause kam, aber auch immer mit viel Vorfreude auf das nächste Training aufgewacht bin. Das Niveau im deutschen Jugendfußball war einfach eine ganz andere Dimension als das, was ich aus Dänemark kannte. Auch wenn am Anfang alles neu war und ich die Sprache nicht konnte, empfand ich es schon damals als wunderschöne Zeit.
imago images / EibnerBereits mit 16 trainierten Sie erstmals unter Jürgen Klopp bei den Profis mit. Wie hat er beim ersten Mal auf Sie gewirkt?
Bruun Larsen: Ich habe ihn bereits während meines Probetrainings kennengelernt, weil ich dann noch bei den Profis zuschaute. Kloppo kam zu uns herüber, da er meinen Berater kannte. Er hat sofort irgendwelche lustigen Bemerkungen gemacht, die ich aber damals noch nicht verstanden habe. (lacht) Mein erster Eindruck war, dass er sehr freundlich und ein sehr respektvoller, empathischer Mensch ist - und das hat sich in den Jahren danach voll und ganz bestätigt.
Sie gewannen mit dem Dortmunder Nachwuchs drei Meistertitel in Serie und schossen für U17 und U19 in 71 Pflichtspielen 39 Tore bei 32 Assists. Damals gab es einige Berichte über Sie, in denen das Wort "Supertalent" fiel. Wie sind Sie damit umgegangen?
Bruun Larsen: Dem, was geschrieben wird, habe ich noch nie große Bedeutung beigemessen. Es kommt letztlich auf die Perspektive an. In Dänemark war ich ein Supertalent, da wir dort von maximal zwei Spielern pro Jahrgang reden, die zu einem europäischen Top-Klub wechseln. In Deutschland hatte ich dieses Gefühl nicht, denn dort war ich einer von vielen. In Dortmund bin ich sofort auf viele Spieler getroffen, die schon damals extrem gut waren und heute auf einem sehr hohen Niveau kicken. Das jedoch hat mich gepusht und auch verbessert.
Als beim BVB Thomas Tuchel Trainer wurde, kamen Sie zwar zu Ihrem Pflichtspieldebüt bei den Profis, mehr Einsätze ganz oben gab es aber nicht. Wie eng war Ihr Austausch mit Tuchel?
Bruun Larsen: Ich war 16 und zu diesem Zeitpunkt erst drei Monate in Dortmund, als Tuchel ein paar Nachwuchsspieler und mich mit zu einem Testspiel gegen St. Pauli nahm. Das hat mich schon sehr erstaunt. Wir durften dann auch mit ins Trainingslager. Daher war der Gedanke früh da, eines Tages einmal ganz oben anzukommen. Die Zeit unter Tuchel war letztlich mein erster Schritt in den Profibereich. Ihm habe ich sehr viel zu verdanken, unter ihm habe ich extrem gelernt. Ich weiß noch genau, was er zu uns vor meinem Debüt im Pokal gegen Union Berlin gesagt hat.
Und zwar?
Bruun Larsen: Er hat genau das prognostiziert, was schließlich eingetroffen ist: Er hat uns empfohlen, über deren zwei zentrale Zehner zu spielen, weil dort viel Raum aufgehen wird und wir dann schnell nach vorne kommen. Beim 1:0, an dem ich ja einen kleinen Anteil hatte, ist das genauso passiert. Ich habe mich von Tuchel sehr gut vorbereitet gefühlt und wusste ganz genau, was ich auf dem Feld zu tun habe. Das war echt faszinierend.
Im März 2017 fielen Sie dann mit einem Ermüdungsbruch ein halbes Jahr lang aus. Nur einen Monat später fand der Anschlag auf den BVB-Mannschaftsbus statt. Wissen Sie noch, wo Sie davon erfahren haben?
Bruun Larsen: Ich saß mit ein paar meiner Mitspieler aus dem Nachwuchsbereich zusammen. Plötzlich erhielten wir von Felix Passlack, der damals im Profikader stand, eine Nachricht. Er schrieb, was passiert ist, dass alle glimpflich davongekommen sind und das Spiel ausfallen wird. Wir waren sehr schockiert, uns haben die Worte gefehlt.
Wie erinnern Sie sich, als Sie anschließend das erste Mal auf die Ihnen vertrauten Gesichter trafen?
Bruun Larsen: Es herrschte verständlicherweise eine ganz komische Stimmung. Ich habe natürlich mit der Zeit mit den Jungs gesprochen, aber es war schnell klar, dass es für einen Außenstehenden wie mich vollkommen unvorstellbar ist, wie sich das angefühlt hat. Viele meinten, dass ihr Leben innerhalb von Sekunden an ihnen vorbeigezogen ist. Ich habe totalen Respekt davor, wie sie alle in der Folge damit umgegangen sind. Diese Geschichte hat gezeigt, wie unwichtig der Fußball eigentlich am Ende ist.
Als Sie wieder fit waren, stand Peter Bosz beim BVB an der Seitenlinie, doch Sie verletzten sich erneut und spielten unter ihm nur sieben Minuten. Ab wann war denn klar, dass es im Januar 2018 auf ein Leihgeschäft in der Winterpause hinauslaufen würde?
Bruun Larsen: Man muss das alles etwas weiter gefasst sehen. Es war insgesamt ein sehr schwieriges erstes Jahr im Profibereich. Im Grunde zählt das für mich gar nicht so richtig. Ich erlitt im März 2017 den Ermüdungsbruch und fehlte ein halbes Jahr lang. Im November kamen unter Bosz dann zwei Monate Pause wegen einer Knieverletzung hinzu. Bei ihm spielte ich als Rechtsverteidiger und meine Perspektiven waren nicht so rosig. Daher ergab es Sinn, sich ein halbes Jahr ausleihen zu lassen - nach Stuttgart, wo ich mit Hannes Wolf auf meinen langjährigen Jugendtrainer traf.
Wie problematisch war es beim VfB, dass Sie zuvor fast ein ganzes Jahr ohne Spielrhythmus waren?
Bruun Larsen: Es war schlichtweg ein absolutes Lehrjahr für mich. Ich sage auch ganz bewusst: Ich habe all diese Erfahrungen gerne mitgenommen, denn durch die zahlreichen Erlebnisse fühle ich mich für die Zukunft eindeutig besser aufgestellt.
Was haben Sie denn konkret aus dieser Zeit mitgenommen?
Bruun Larsen: Ich war lange verletzt, immer noch ziemlich jung und dann lebte ich zum ersten Mal ganz allein in einer neuen Stadt, spielte bei einem neuen Verein und kannte das Umfeld nicht. Es waren einfach viele erste Male und schwierige Herausforderungen zu meistern. Fußballerisch war die Zeit beim VfB zwar nix, aber man merkt schnell, dass man trotzdem viel lernt.
Jacob Bruun Larsen: Seine Karriere im Überblick
Verein | Pflichtspiele | Tore | Vorlagen |
Borussia Dortmund U17 | 9 | 3 | 1 |
Borussia Dortmund U19 | 62 | 36 | 31 |
Borussia Dortmund | 42 | 3 | 5 |
VfB Stuttgart | 5 | - | - |
TSG 1899 Hoffenheim | 12 | - | 1 |
Anschließend übernahm Tayfun Korkut, doch der ließ sie kaum mehr spielen. Dennoch wollte Sie der VfB unbedingt weiterhin im Kader haben. War das ursprünglich auch Ihr Wille oder wollten Sie beim BVB einen neuen Versuch wagen?
Bruun Larsen: Dortmund hielt die Zügel in der Hand. Michael Zorc sagte mir, dass Lucien Favre unbedingt erst einmal alle Spieler anschauen möchte, bevor irgendwelche Personalentscheidungen getroffen werden. Ich war mir natürlich nicht ganz sicher, worauf das hinauslaufen wird, denn ich hatte beim VfB ja kaum gespielt. Nach dem Saisonende in Stuttgart bin ich kurz in den Urlaub gefahren und habe anschließend zwei Monate am Stück trainiert, um so fit wie möglich in Dortmund anzukommen. Ich wusste, dass ich Favre beeindrucken musste, weil es sonst sehr schwer für mich geworden wäre.
Wie haben Sie Favre erlebt?
Bruun Larsen: Ich habe es geliebt unter ihm. Er ist eine sehr menschliche Person. Als Trainer ist er bekanntermaßen sehr detailliert. Er hat tagtäglich mit mir gesprochen, wollte mir immer helfen und mich besser machen. Ständig hat er mir irgendwelche Übungen gezeigt, das war wirklich imposant.
Sie waren in Favres erster Saison beim BVB auf Anhieb einer der Gewinner der Vorbereitung. Am Ende standen Sie bei 30 Pflichtspielen mit drei Toren und drei Vorlagen, auch in der Champions League spielten und trafen Sie erstmals. Waren Sie selbst davon überrascht, wie gut es auf einmal lief?
Bruun Larsen: Nein. Ich denke nicht, dass ich unter ihm plötzlich ein besserer Fußballspieler war. Mir fiel es im Training leichter als in Stuttgart, da beim BVB die individuelle Qualität so hoch ist und man auch dank seiner Mitspieler einfacher glänzen kann. Es war fantastisch, dass ich bei meinem absoluten Lieblingsverein, bei dem ich schon in der Jugend spielte, auf einmal immer regelmäßiger zum Einsatz kam.
Im zweiten Favre-Jahr hat der BVB mit Thorgan Hazard und Julian Brandt aber die Konkurrenz für Sie noch einmal erhöht. Mit welchen Erwartungen sind Sie in die Saison gegangen?
Bruun Larsen: Es ist normal bei einem solchen Verein, dass er sich jedes Jahr mit Top-Spielern verstärkt. Im Grunde war die Situation ähnlich wie in der Saison zuvor nach meiner Rückkehr aus Stuttgart. Da sah es zunächst auch schwierig für mich aus. Und dann habe ich 17 Mal von Beginn an gespielt und bin 13 Mal von der Bank gekommen. Es war mein erstes richtiges Jahr im Profibereich und eine super Saison. Daher wollte ich nicht vor der Konkurrenz flüchten.
Als Sie in der Winterpause dann in Hoffenheim unterschrieben, sagten Sie: "Ich habe mir die Frage gestellt, wie viel Spielzeit ich in Dortmund bekommen werde." Was war denn die Antwort darauf?
Bruun Larsen: Ich habe mich mit Favre zusammengesetzt und wir haben meine Situation bewertet. Am Ende habe ich mich entschieden, wechseln zu wollen, um mich auf diesem Niveau weiter entwickeln zu können. Das war natürlich ein großer Schritt und sehr emotional für mich. Dortmund war ja meine Heimat. Ich kannte mich dort in der Stadt besser aus als zu Hause in Dänemark.
Wollten Sie unbedingt innerhalb Deutschlands bleiben?
Bruun Larsen: Ja, das war mein Ziel. Ich mag es hier und man kennt mich hier.
In Dänemark werden Glücklichsein oder Gemütlichkeit mit dem Wort "hygge" umschrieben. Wie sieht es damit denn in Hoffenheim aus?
Bruun Larsen: Im Trainingszentrum ist es sehr hygge. (lacht) Die Leute sind alle sehr nett und entspannt, wir haben hier tolle Bedingungen. Mein Start war wie schon in Stuttgart leider etwas kurios, da plötzlich die Pandemie über uns hereinbrach und dann noch der Trainerwechsel hinzukam.
Wie einst in Stuttgart musste mit Alfred Schreuder in Hoffenheim der Trainer, mit dem Sie vor dem Wechsel gesprochen haben, gehen. Wie überraschend kam das für Sie?
Bruun Larsen: So ist eben der Fußball, die Entscheidung gilt es zu akzeptieren. Wir hatten dann noch vier Spieltage vor uns und sind als Mannschaft wahnsinnig eng zusammengerückt, um den internationalen Wettbewerb zu erreichen. Dass und wie wir das geschafft haben, war beeindruckend.
Sie sind in den bisherigen vier Pflichtspielen unter dem neuen Coach Sebastian Hoeneß noch keine Sekunde zum Einsatz gekommen. Wie bewerten Sie Ihre aktuelle Lage, wo stehen Sie genau?
Bruun Larsen: Gute Frage, die richtet sich eher an den Trainer. Mein Anspruch ist es natürlich, in jedem Spiel zu spielen - da bin ich aber nicht der einzige. Wir werden sehen, im Fußball kann sich in kurzer Zeit sehr viel verändern. Das habe ich ja wie gesagt auch selbst schon erfahren. Wir haben in dieser Saison sehr viele Spiele, daher werden alle gebraucht und ihren Beitrag leisten. Unter dem neuen Trainer spielen wir nun auch etwas anders und es gibt ein paar Umstellungen, an die wir uns als Mannschaft noch weiter gewöhnen müssen. Bisher ist das ganz gut gelungen, aber es bleibt für alle ein Prozess, der manchmal auch ein halbes oder sogar ein ganzes Jahr dauern kann. Ich bleibe geduldig, bin aber auch sehr hungrig.
Jetzt haben wir quasi über Ihre gesamte Karriere als Fußballer gesprochen, doch das wichtigste Thema noch gar nicht gestreift: Wie geht es Ihrer Schwester Line?
Bruun Larsen: Sie ist gesund, es ist alles top und die Familie sehr, sehr glücklich. Leider habe ich sie alle seit langer Zeit nicht mehr gesehen, denn wenn man derzeit von Kopenhagen nach Deutschland fliegt, muss man sich 14 Tage lang in Quarantäne begeben. Das ist nicht ganz einfach für mich, aber letztlich vollkommen egal, solange meine Schwester gesund ist.
Line kämpfte zwei Jahre lang gegen den Krebs an, seit Mitte 2019 ist Sie gesund. Wie schwer war es für Sie in dieser Zeit, sich auf den Fußball zu konzentrieren?
Bruun Larsen: Von außen wird man meist nur als Fußballer gesehen. Das ist auch in Ordnung und wird sich nicht ändern, doch hinter jedem Fußballer steckt eben auch ein ganz normaler Mensch. Wir haben uns als Familie in dieser Phase wahnsinnig gegenseitig unterstützt und alle Kräfte gebündelt. Das war das Wichtigste. Ich habe auch viel Hilfe und Nachrichten von Menschen bekommen, die mir privat nah sind. Sie können sich nicht vorstellen, was es für eine unglaubliche Freude war, als wir erfahren haben, dass sie geheilt ist.