Sie wurden auch in der Schule mit der Kamera begleitet. Haben Sie neidische Blicke von den Mitschülern geerntet?
Tah: Die Reaktionen fielen tatsächlich nicht immer unterstützend aus (lacht). Es gab Schüler und Lehrer, denen es nicht unbedingt gefallen hat. Aber das hat mich eher gestärkt als runtergezogen. Letztlich hat das Ganze einen Meinungsquerschnitt abgebildet, den ich heute noch beobachten kann.
Inwiefern?
Tah: Es gibt einige Leute, die sagen: 'Der Tah kann gar nichts!' Andere Leute sagen genau das Gegenteil und schätzen meine Leistungen als überragend ein. Dass es sehr unterschiedliche Meinungen gibt, war schon damals so.
Was lernt man daraus?
Tah: Dass es nicht so wichtig ist, was andere Menschen denken und sagen. Es zählt in erster Linie die Meinung, die man selbst von sich hat.
Inwiefern haben Sie Ihre Mitschüler manchmal beneidet, wenn am Wochenende Party gemacht wurde?
Tah: Es war mir wirklich egal. Ich habe nie gedacht: 'Mist, die anderen können jetzt feiern gehen und ich nicht.' Ich war nie auf irgendwelchen Partys, weil ständig Spiele oder Turniere anstanden. Ich hatte nie das Gefühl, etwas zu verpassen. Ich habe das einfach nicht gebraucht.
Stattdessen feierten Sie als 17-Jähriger Ihr Startelfdebüt vor 50.000 Zuschauern im Derby gegen Werder Bremen. Welche Emotionen verbinden Sie mit dem Spiel?
Tah: Sehr viele, ich habe unglaubliche Eindrücke mitgenommen. Dass ich ausgerechnet im Derby gegen Bremen mein Startelfdebüt geben durfte, war extrem aufregend. Meine Familie und meine Freunde waren im Stadion und total nervös. Ich habe es genossen, das war ein besonderer Moment, der mir immer in Erinnerung bleiben wird.
Schon bald mussten Sie Erfahrungen mit der Kehrseite der Ruhm-Medaille machen. Der Boulevard leakte Ihren HSV-Vertrag in sämtlichen Zeitungen. Was macht so etwas mit einem Jugendlichen?
Tah: Eigentlich wollte ich nur meine Zeit als junger Profi genießen, immerhin hatte sich mein Traum erfüllt. Ich konnte nichts dafür, dass der Vertrag plötzlich im Internet gelandet ist. Ich konnte außerdem nicht beeinflussen, wie im Anschluss darüber berichtet wurde. Ich habe aber zu spüren bekommen, wie das Leben in der Öffentlichkeit aussehen kann.
Tah: "Habe schon mitbekommen, dass Leute Mist erzählen"
Welche Erfahrungen haben Sie im Anschluss gemacht?
Tah: Ich habe im Laufe der Jahre schon häufiger miterlebt, dass Leute Mist erzählen und Unwahrheiten verbreiten. Nicht nur über mich, sondern ganz allgemein. Es wird teilweise von Leuten über unseren Job gesprochen, die wenig Ahnung davon haben. Das muss ich so deutlich sagen. Egal in welchem Beruf - wenn Menschen die Leistungen anderer Menschen bewerten, müssen Sie normalerweise etwas vorweisen, das sie dazu befähigt. Im Fußball ist das nicht immer so.
Im Sportjournalismus dient beispielsweise die Einzelkritik als typische Bewertungsmöglichkeit. Wie sehr beschäftigt Sie eine schlechte Note?
Tah: Ich gucke mir das meistens gar nicht mehr an. Ab und zu wurden mir derartige Berichte geschickt, aber ich habe dann ganz klar gesagt, dass die Leute sich das sparen können. Ich will das nicht sehen. Ich sitze nicht auf dem Sofa und grüble darüber, warum ich eine schlechte Note bekommen habe. In die andere Richtung gilt übrigens dasselbe: Wenn ich weiß, dass ich ein schlechtes Spiel gemacht habe und mir jemand eine viel zu gute Note gibt, nervt mich das auch.
Nach Ihrer ersten Saison als HSV-Profi ging es 2014 per Leihe zu Fortuna Düsseldorf. Was gab den Ausschlag?
Tah: Ich wurde beim HSV in die Jugend zurückgeschickt. Da kurz vor Schließung des Transferfensters noch ein weiterer Innenverteidiger verpflichtet wurde, war ich Innenverteidiger Nummer fünf oder Nummer sechs. Ich wusste, dass ich keine Rolle mehr spielen würde, außerdem wurde mir klar gesagt, dass es schwierig werden dürfte. Also musste ich mich entscheiden - und ich wollte unbedingt Spielpraxis sammeln. Dann kam das Angebot aus Düsseldorf und glücklicherweise ging der Deal noch kurzfristig über die Bühne.
Sie waren erstmals länger weg aus Hamburg. Wie lief das Leben in der neuen Stadt?
Tah: Die Umstellung fiel mir nicht schwer. Es war nicht so, dass ich plötzlich zum ersten Mal in meinem Leben auf mich alleingestellt war. Mit 14 zog ich ins Internat, mit 17 folgte die erste eigene Wohnung in Hamburg. Mir wurde früh beigebracht, selbstständig zu sein. Ich konnte also ganz gut auf mich aufpassen (lacht). Die Beziehung zu meiner Familie und zu meinen Freunden hat darunter jedenfalls nicht gelitten.
In welcher Hinsicht haben Sie sich charakterlich weiterentwickelt?
Tah: Ich habe gelernt, mehr Verantwortung für mich selbst zu übernehmen und ein Stück weit, wie das wahre Leben aussieht. Ich habe die Situation sehr genossen, weil ich es liebe, so viel wie möglich zu erleben. Ich bin ein großer Freund davon, neue Menschen kennenzulernen und mich inspirieren zu lassen.
Tah über seine Leihe zu Fortuna Düsseldorf
Wie würden Sie rückblickend Ihre Zeit bei der Fortuna aus sportlicher Sicht skizzieren?
Tah: Mir wurde die Möglichkeit gegeben, Spielzeit in der 2. Bundesliga zu sammeln und mich zu zeigen. Rückblickend würde ich sagen, ich habe einen Schritt zurück gemacht, um im Anschluss zwei Schritte nach vorne zu gehen. Ich rückte in Hamburg etwas aus dem Fokus, es wurde gesagt: 'Okay, der Junge spielt jetzt in der 2. Liga, mal sehen, wie er sich gemacht hat, wenn er zurückkommt.' Aber ich hatte das Gefühl, dass sich beim HSV eigentlich niemand dafür interessiert hat, wie ich in Düsseldorf spiele. Anders als die Leverkusener, die mich auf dem Radar hatten und meine Leistungen genau beobachteten. Das war ein Lerneffekt fürs Leben.
Sie haben das Interesse von Leverkusen angesprochen. Warum kam eine Rückkehr zum HSV nicht mehr infrage?
Tah: Normalerweise sollte eine Leihe dazu dienen, dass besonders junge Spieler sich weiterentwickeln. Dazu gehört für mich auch, dass der Stammverein Kontakt hält. Das war damals nicht der Fall. Mir wurde nicht das Gefühl vermittelt, dass ich ein wichtiger Teil des Vereins bin. Dementsprechend hätte ich mich mit einer Rückkehr nicht wohlgefühlt.
Es folgte im Sommer 2015 Ihr Wechsel nach Leverkusen. Bei Bayer wurden Sie prompt Stammspieler und bestritten Ihr erstes Champions-League-Auswärtsspiel im Camp Nou. Worin lag der größte Unterschied zu Bundesligaspielen?
Tah: Das ging alles unfassbar schnell (lacht)! Es kam mir vor, als hätte ich erst vor wenigen Wochen mein Bundesliga-Debüt gegen Bremen gegeben - und plötzlich stand ich im Camp Nou und hörte die Champions-League-Hymne. Ich dachte mir: 'In der Bundesliga zu spielen, war offenbar noch nicht das Höchste, was ich erreichen kann.' Nach dem Spiel in Barcelona haben sich ganz ähnliche Gefühle breitgemacht.
Welche Gefühle waren das konkret?
Tah: Das Gefühl, einen Schritt weiter, aber immer noch nicht am Ziel zu sein. 'Ich spiele jetzt in dem Wettbewerb, in dem ich immer spielen wollte, ich darf in der Gruppenphase dabei sein und komme vielleicht sogar eine Runde weiter. Aber ich will das Ding irgendwann gewinnen!' Das ging mir durch den Kopf. Ich sehe immer Verbesserungspotenzial.
Verbesserungspotenzial sahen Sie zuletzt offenbar auch mit Blick auf Ihr privates Umfeld. Was war der Anlass, dass Sie sich mittlerweile mit anderen Menschen umgeben?
Tah: Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem ich mich sowohl aus fußballerischer als auch aus persönlicher Sicht als erwachsen betrachte. Als Erwachsener musst du manchmal solche Entscheidungen treffen und dich an die Menschen halten, die immer ehrlich zu dir waren, offen mit dir sprechen und nicht in ihrem eigenen Interesse handeln. Egal, ob Freundin, Freunde oder Familie. Die Leute, mit denen du dich umgibst, sollten dich inspirieren und motivieren.