Jonathan Tah von Bayer Leverkusen im Interview: "Habe viele Spieler gesehen, die es hart getroffen hat"

Von Dennis Melzer
Jonathan Tah spricht im Interview über seine Kindheit auf dem Bolzplatz, Idol Ronaldinho und die Zeit im HSV-Internat.
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Welche Menschen motivieren Sie?

Tah: Menschen, die in gewissen Bereichen schlauer und besser sind als ich. Davor sollte man keine Angst haben, man kann nur davon profitieren und lernen. Wenn man nur damit beschäftigt ist, zu geben, ist der Energietank irgendwann leer.

Das scheint sich in Ihrem Fall nicht nur auf das Umfeld im Fußballbereich zu beziehen.

Tah: Nein, damit meine ich das Leben insgesamt. Es ist eher belastend, wenn man nur über Fußball redet. Ich bin in erster Linie ein Mensch, der Fußball ist ein großer und wichtiger Teil meines Lebens, aber es wird danach weitergehen. Mit 35 oder 40 Jahren ist die aktive Karriere vorüber. Ich versuche, schon jetzt so viel wie möglich für diese Zeit mitzunehmen.

Gibt es auch andere Quellen, aus denen Sie Inspiration schöpfen?

Tah: Ich habe sehr viele gute Bücher gelesen. Eines, das mir ganz besonders in Erinnerung geblieben ist, heißt "Big five for life." Es geht - sehr grob zusammengefasst - darum, dass man im Leben machen sollte, was man möchte. Wenn man am Ende seines Lebens angekommen ist, sollte man zufrieden zurückblicken können. Es gab eine Studie, die in Altenheimen durchgeführt wurde. Die Leute wurden gefragt, was sie rückblickend bereuen. Die meisten haben gesagt, dass sie nicht so gelebt haben, wie sie es sich gewünscht hätten.

Die neue DAZN-Doku über Sie trägt den Namen "99 Prozent". Was hat es mit dieser Zahl auf sich?

Tah: Viele verstehen das falsch und denken, ich wolle nicht hundert Prozent erreichen Ich definiere die hundert Prozent als perfekt und als gänzliche Zufriedenheit. Perfekt gibt es für mich auf dieser Welt aber nicht. Es gibt kein perfektes Spiel, keinen perfekten Menschen, keinen perfekten Charakter - und das ist auch gut so. Dieser eine Prozentpunkt wird mich immer motivieren. Die absoluten Top-Sportler, die es nach ganz oben geschafft haben, werden nie sagen, dass sie bei hundert Prozent sind. Das würde bedeuten, dass sie aufhören können.

DAZN zeigt eine exklusive Dokuserie über Jonathan Tah.
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DAZN zeigt eine exklusive Dokuserie über Jonathan Tah.

Tah über Motivation und Extraschichten

Sie haben im Zuge der Neuausrichtung Ihres Privatlebens auch einen neuen Fitnesscoach engagiert. Worauf arbeiten Sie hin?

Tah: Das erste Ziel ist, präventiv zu arbeiten, um Verletzungen vorzubeugen. Wenn ich verletzt bin, kann ich nicht spielen. Ansonsten möchte ich meine Stärken noch weiter verbessern und meine Schwachstellen minimieren. Auf diesem Niveau geht es häufig nur um kleine Details.

Wie gelingt es Ihnen, trotz des aktuell sehr engmaschigen Trainings- und Spielplans, Motivation für private Extraschichten aufzubringen?

Tah: Ich halte mir immer vor Augen, wo ich hinmöchte. Dort bin ich noch nicht, das muss ich mir bewusst machen. Deshalb bin ich diszipliniert, aber mit Sicherheit nicht immer motiviert (lacht). Es gibt Tage, an denen ich extrem müde, kaputt oder schlechtgelaunt bin. Das kennt jeder, aber da muss ich dann durch.

Ihr Ex-Jugendtrainer Otto Addo hat bei DAZN von einer kurzen Phase berichtet, in der Sie damals mit Gewichtsproblemen zu kämpfen hatten. Welchen Stellenwert nimmt Ernährung mittlerweile bei Ihnen ein?

Tah: Dass Ernährung eine extrem wichtige Rolle spielt, habe ich leider erst spät gelernt. In meinen jungen Jahren war das Thema nicht so präsent wie heute. Die Ernährung beeinträchtigt die Laune, trägt dazu bei, wie wach oder kaputt man sich fühlt und steuert insbesondere die Leistungsfähigkeit. Auch die Regeneration ist eng mit der Ernährung verbunden. Kurz gesagt: Der Einfluss der Ernährung ist immens.

Trotz der zahlreichen Optimierungen büßten Sie im vergangenen Winter Ihren Stammplatz bei Leverkusen ein. Wie erklären Sie sich das?

Tah: Es gibt Entscheidungen, die man nicht direkt beeinflussen kann, die man also akzeptieren sollte. Aktuell mache ich wieder mehr Spiele und ich bin der Meinung, dass ich gute Leistungen abliefere.

Stattdessen spielte zumeist Neuzugang Edmond Tapsoba. Was war die Begründung des Trainers?

Tah: Es gab Gespräche. Und in denen sind Trainer und Spieler nun mal nicht immer einer Meinung. Viel wichtiger ist für mich aber, dass so etwas wie eine Feindschaft, die uns teilweise von außen angedichtet wurde, weit von der Realität entfernt ist. Edmond ist ein guter Kumpel von mir, ich betrachte ihn als kleinen Bruder, den ich unterstützt habe, als er neu bei uns war. Ich freue mich, dass er da ist, weil er unserer Mannschaft ungemein hilft. Stand jetzt spiele ich, bin topfit und auf einem guten Niveau. Das freut mich sehr.

Tah: "Die Premier League reizt mich"

Im Sommer wurde über einen möglichen Abgang aus Leverkusen spekuliert. Wo sehen Sie Ihre sportliche Zukunft?

Tah: Grundsätzlich bin ich überzeugt davon, dass ich im Fußball das Top-Level erreichen kann. Ich habe sportlich und persönlich einen Schritt nach vorne gemacht. Wo es mich im Laufe meiner Karriere hinverschlägt, weiß ich jetzt aber noch nicht.

Besonders Premier-League-Vereine wurden immer wieder mit Ihnen in Verbindung gebracht. Käme ein Wechsel nach England eines Tages infrage?

Tah: Die Premier League reizt mich, das war schon immer so. Ich hatte stets das Gefühl, dass meine Spielweise gut nach England passen würde. Das Körperliche und das schnelle Umschalten im Kopf sind Eigenschaften, die mir liegen. Es scheiden sich die Geister daran, welche Liga die beste der Welt ist - für mich ist es die Premier League.

Nach welchen Kriterien hält man auf der Suche nach einem potenziell neuen Arbeitgeber Ausschau?

Tah: Ich muss erst überzeugt davon sein, dass mich ein Wechsel weiterbringt. Dann hängt es davon ab, ob der Verein eine eigene Philosophie verfolgt oder seine Philosophie vom Trainer abhängig macht. Dann stellt sich die Frage, mit welchem System der Trainer spielen lässt und was er von seinen Spielern insbesondere auf meiner Position erwartet. Ganz wichtig ist natürlich auch, wie die Mannschaft insgesamt aufgestellt ist. Wie groß ist die Konkurrenz auf meiner Position, mit welchen Jungs würde ich zusammenspielen? Es gibt also einige Faktoren.