Schalke 04 hat sich am Tag nach dem 1:5 gegen den VfB Stuttgart auf einen Schlag von Trainer Christian Gross (66), Sportvorstand Jochen Schneider (50), Lizenzspieler-Koordinator Sascha Riether (37), Co-Trainer Rainer Widmayer (53) und Athletik-Coach Werner Leuthard (59) getrennt. Somit tauscht Schalke für seine höchstwahrscheinlich vorerst letzten elf Spiele in der Bundesliga seine komplette sportliche Leitung aus. Langfristige Lösungen kann der Tabellenletzte aber vorerst nicht präsentieren. Fünf Fragen zum nächsten Beben.
Welche Rolle spielte der angebliche Spieleraufstand?
Der elfköpfige Aufsichtsrat unter der Führung von Jens Buchta beschloss in der Nacht auf Sonntag in einer Telefonkonferenz die Freistellungen des bereits vierten Schalker Cheftrainers in dieser Saison und der zwei Assistenztrainer. Mitgeteilt wurde Gross das Aus nach 62 Tagen laut der Schweizer Boulevardzeitung Blick am Sonntag um 8.30 - vom ebenfalls geschassten Jochen Schneider.
Die mutmaßliche und angeblich von den drei Winterzugängen Sead Kolasinac, Klaas-Jan Huntelaar und Shkodran Mustafi angeführte Rebellion der Schalker Profis gegen Gross wäre demnach erfolgreich gewesen.
Am Vorabend der Klatsche in Stuttgart hatten verschiedene Medien übereinstimmend darüber berichtet, dass die drei im Winter als Führungsspieler geholten Profis bei Sportvorstand Schneider und Lizenzspielerkoordinator Sascha Riether auf die Entlassung von Gross gedrängt haben sollen. Das Trio soll dem Schweizer unter anderem falsche taktische Entscheidungen und ein mangelhaftes, unstrukturiertes Training vorgeworfen haben. Außerdem soll Gross mehrmals die Namen der eigenen Spieler und Gegner durcheinander gebracht haben.
Die Schalker Vereinsikone Klaus Fischer kann vor allem der Art und Weise des angeblichen Spieleraufstands nichts abgewinnen. "Wenn die Mannschaft ein Problem mit dem Trainer hat, erwarte ich von den Spielern, dass sie direkt zu ihm gehen und das direkte Gespräch suchen, statt ihn zu hintergehen", sagte Fischer zu SPOX und Goal.
Gross beharrte auch nach seiner Freistellung, dass sich bei ihm direkt kein Spieler beschwert habe. "Diese Meldung von der Revolte, vom Aufstand oder von was auch immer, brachte natürlich große Unruhe. Ich habe mich am Samstagmorgen mit Jochen Schneider unterhalten - er sagte mir explizit, bei ihm sei kein Spieler gewesen. Und ich habe auch die Spieler direkt angesprochen. Dass sie bei Problemen direkt zu mir kommen sollen. Es kann ja sein, dass einem mein Gesicht nicht gefällt, dass er mich nicht mag. Aber dann kann man es doch offen aussprechen, kein Problem", sagte er dem Blick.
Letztlich bekam die Mannschaft, die in dieser Saison nur ein Spiel gewonnen hat (am 9. Januar beim 4:0 gegen die TSG Hoffenheim), aber ihren vermeintlichen Willen: Riether wurde ebenfalls freigestellt, der für Sport und Kommunikation zuständige Vorstand Schneider abberufen. Schneiders Aus auf Schalke wurde somit vorgezogen, der 50-Jährige sollte ohnehin nur noch bis Saisonende tätig sein.
"Die getroffenen Entscheidungen sind nach den enttäuschenden Auftritten gegen Dortmund und Stuttgart unausweichlich geworden. Wir brauchen nicht drumherum zu reden: Die sportliche Situation ist eindeutig, deshalb müssen wir bei jeder noch zu treffenden Personalentscheidung auch über die Saison hinausdenken", ließ Buchta verlautbaren.
Langfristige Lösungen konnte der Aufsichtsrat, der im Sommer durch die anstehenden Neuwahlen von fünf Posten ein neues Gesicht bekommen soll, aber zunächst nicht präsentieren. NLZ-Leiter Peter Knäbel übernimmt "bis auf Weiteres" Schneiders sportliche Kompetenzen. Er soll von U19-Coach Norbert Elgert und Ex-Eurofighter Mike Büskens unterstützt werden. U23-Manager Gerald Asamoah übernimmt die Aufgaben Riethers.
Zuletzt war auch über eine Rückkehr von Horst Heldt zum FC Schalke spekuliert worden. Der Vertrag des 51-Jährigen als Sport-Geschäftsführer beim 1. FC Köln läuft am 30. Juni 2021 aus. Heldt war von 2010 bis 2016 in verschiedenen Positionen bei Schalke tätig gewesen.
Wie reagierte Gross auf die Entlassung nach nur 62 Tagen?
Der 66-Jährige zeigte sich weiter davon überzeugt, mit Schalke die Klasse hätte halten können. "Ich bin sehr enttäuscht. Zumal ich als Trainer immer noch das Gefühl habe, dass sich die Mannschaft entwickelt. Dass wir sportlich auf dem richtigen Weg waren und Fortschritte machen. Und ich nach wie vor überzeugt bin, dass Schalke den Abstieg noch verhindern kann", sagte er dem Blick.
Im Nachhinein hätte er beispielsweise auf die Verpflichtung von Klaas-Jan Huntelaar verzichtet. "Aber er ist nach wie vor an der Wade verletzt und war auch in den Trainings nicht mit dabei. Sie sind ja erfahren, diese Spieler, aber ja, es lief nicht alles glücklich", sagte er.
gettySeine Karriere beenden möchte Gross, der einräumte, dass ihm einfach die Siege gefehlt hätten, nicht. "Es wäre kein Happy End für meine Karriere", sagte er. Auf die Frage, ob Schalke die größte Enttäuschung seiner Karriere gewesen sei, sagte er: "So wie es gelaufen ist: Ja."
Wer sind die Männer, die nun in der Verantwortung stehen?
- Peter Knäbel erlangte während seiner Zeit als Direktor Profifußball beim HSV von 2014 bis 2016 traurige Berühmtheit, als ihm im Sommer 2015 ein Rucksack mit vertraulichen Unterlagen wie Gehaltslisten und Scouting-Reports gestohlen wurde. Der Rucksack tauchte in einem Park wieder auf. Knäbel war in der Saison 2014/2015 auch für zwei Spiele Interimstrainer des HSV. Seit April 2018 ist Knäbel als Technischer Direktor des Schalker NLZ angestellt.
- Gerald Asamoah spielte von 1999 bis 2011 beim FC Schalke 04, absolvierte 381 Pflichtspiele (64 Tore) und wurde auf Schalke auch zum Nationalspieler. Seit 2015 ist er Funktionär auf Schalke, erst als Co-Trainer der U15, seit 2016 als Manager der U23.
- Norbert Elgert ist seit 1996 Trainer der A-Junioren, besitzt bei den Königsblauen einen unbefristeten Vertrag und verantwortet die berühmte Knappenschmiede, aus der etwa Manuel Neuer, Leroy Sane, Mesut Özil, Julian Draxler oder Kolasinac stammen.
- Mike Büskens betreute den FC Schalke bereits für 15 Spiele als Cheftrainer - 2008 nach der Trennung von Mirko Slomka und 2009 nach dem Aus von Fred Rutten. Außerdem half er Huub Stevens bei seinen Interimstätigkeiten auf Schalke 2019 und 2020. Der einstige Eurofighter war Cheftrainer bei Greuther Fürth (2009-2013 und 2015), Fortuna Düsseldorf (2013), Rapid Wien (2016) und betreute auch schon die deutsche U16-Nationalmannschaft. Nun ist er offiziell als Betreuer der Schalker Leihspieler angestellt.
Welchen Anteil hat Jochen Schneider am Schalker Niedergang?
Der 50-Jährige trägt sicher nicht die alleinige Schuld. Weite Teile des teuren Kaders wurden noch von Christian Heidel, der mittlerweile wieder beim 1. FSV Mainz 05 arbeitet, zusammengestellt.
Auch für die Irrungen und Wirrungen des früheren Aufsichtsratschefs und Fast-Alleinherrschers Clemens Tönnies kann Schneider nichts. Aber sein Anteil ist gewaltig.
Fünf Trainerwechsel hat es bei Schalke während seiner nicht einmal dreijährigen Amtszeit gegeben, zweimal halfen Huub Stevens und Mike Büskens interimistisch aus. An Schneiders erstem Arbeitstag am 14. März 2019 trennte sich Schalke von Domenico Tedesco, der den Revierclub zuvor noch in die Champions League geführt hatte. Schneiders Festhalten an Trainer David Wagner nach der katastrophalen und sieglosen Rückrunde in der letzten Saison war ebenso schwer zu verstehen wie Wagners Entlassung nach dem zweiten Spieltag der aktuellen Saison. Taktikfuchs Manuel Baum war der falsche Trainertyp zur falschen Zeit. Auf die Idee, in höchster Not Christian Gross, der zuletzt vor elf Jahren in der Bundesliga gearbeitet hatte, aus den Ruhestand zu holen, wären sicher nicht sehr viele andere gekommen.
Schneider kannte Gross aus gemeinsamen Stuttgarter Zeiten. Die damaligen Hoffnungen optimistischer Beobachter, der nun abberufene Sportvorstand würde womöglich Kenntnis über eine Superkraft des Schweizers haben, von denen sonst keiner weiß, waren illusorisch.
Schneider, der sich sowohl beim VfB Stuttgart als auch bei RB Leipzig als Zuarbeiter etwa von Felix Magath, Hors Heldt, Fredi Bobic und Ralf Rangnick einen exzellenten Ruf erarbeitet hatte, reihte Fehlentscheidung an Fehlentscheidung und wirkte mit der Moderation der Schalker Probleme überfordert - und befeuerte das Chaos noch.
Sein auch öffentlich ausgetragener Zwist mit Sportdirektor Michael Reschke trug ebenso wenig zur Beruhigung bei wie das ewige Hin- und Her bei den Suspendierungen verschiedener Spieler wie Nabil Bentaleb. Auch die Verpflichtung der drei mutmaßlichen Rädelsführer Kolasinac, Huntelaar und Mustafi vor wenigen Wochen, als die Rettung eigentlich schon illusorisch war und die schwer auf der Bilanz des schon mit 240 Millionen Euro verschuldeten Klub liegen, fällt unter Schneiders Verantwortungsbereich.
Wer sitzt beim Abstiegsgipfel gegen Mainz auf der Bank?
Diese Frage ist momentan noch völlig offen. Nach Informationen von SPOX und Goal soll der Aufsichtsrat Mike Büskens gebeten haben, bis auf Weiteres das Training der Profis zu betreuen. Doch der einstige Eurofighter soll sich zieren. Das gleiche gilt für Schalkes Talenteflüsterer Norbert Elgert. Schalke sei gerade "Chaos hoch drei. Es ist niemand mehr da. Ich bin gespannt, wer sich das jetzt noch antun will", sagte Klaus Fischer, der erfolgreichste Stürmer der Vereinsgeschichte zu SPOX und Goal.
Das Training am Montag leiten "die Athletik-Trainer", heißt es in der Klub-Mitteilung lapidar. Die Namen der Besagten - etwa Quirin Löppert oder Onur Cinel, der als einziger aus dem verbliebenen Schalker Trainerteam auch Fußballehrer ist - wurden nicht genannt.
Theoretisch könnte auch U23-Trainer Torsten Fröhling, von Februar bis Oktober 2015 schon mal Cheftrainer des TSV 1860 München in der Zweiten Liga, das Amt übergangsweise übernehmen können.
Fünf Cheftrainer in einer Saison hatten übrigens in der Geschichte der Bundesliga nur zwei Klubs - Kickers Offenbach 1970/1971 mit Alfred Schmidt, Kurt Schreiner, Rudi Gutendorf, Horst-Gregorio Canellas und Kuno Klötzer und der MSV Duisburg in der Saison 1977/1978 mit Rolf Schafstall, Herbert Burdenski, Otto Knefler, Friedhelm Wenzlaff und Carl-Heinz Rühl. Sechs Cheftrainer, wie sie Schalke noch erreichen könnte, wären eine Premiere.
Schalke 04: Trainer in der Saison 2020/2021
Name | im Amt von - bis |
David Wagner | Saisonbeginn - 27.9.2020 |
Manuel Baum | 30.09.2020 - 18.12.2020 |
Huub Stevens | 18.12.2020 - 26.12.2020 |
Christian Gross | 27.12.2020 - 27.02.2021 |