Exakt einen Monat, nachdem Borussia Dortmund das erste Training der Vorbereitung absolvierte, steht am Freitagabend beim TSV 1860 München im DFB-Pokal der Pflichtspielauftakt für den BVB an (20.45 Uhr im LIVETICKER). Ein Überblick über die drängendsten Fragen bei den Schwarz-Gelben.
BVB: Wie wird Borussia Dortmund in der Abwehr auflaufen?
Niklas Süle, Nico Schlotterbeck, Mats Hummels - ist das genau richtig so oder einer zu viel? Vollständig in die Karten gucken ließ sich Trainer Edin Terzic nicht. Eine Dreierkette, in der alle drei Innenverteidiger auflaufen, ist aktuell genauso wahrscheinlich wie eine Viererkette, mit der Terzic den Großteil der Spiele während seiner ersten Amtszeit als BVB-Coach agieren ließ.
Besonders Vize-Kapitän Hummels steht nach seinem längsten Urlaub der vergangenen Jahre voll im Saft, die ständigen Beschwerden des Vorjahres sind Vergangenheit. Fürs Erste ist es schwer vorstellbar, dass Terzic auf ihn in der Anfangsformation verzichtet.
Süle und Schlotterbeck dagegen stießen aufgrund der Verpflichtungen mit der Nationalelf erst spät zu ihrer neuen Mannschaft, der Anpassungsprozess steckt noch in den Kinderschuhen. Süles Vorteil im Kampf um einen Startplatz ist, dass er mit beiden Kollegen schon zusammenspielte - mit Hummels beim FC Bayern, mit Schlotterbeck im DFB-Team.
Terzic ließ in den zwei verloren gegangenen Testspielen des Trainingslagers beide Varianten einüben: Gegen Valencia bot er eine Vierer-, gegen Villarreal eine Dreierkette auf. Schlotterbeck ist im Vergleich zu den beiden Kontrahenten grundsätzlich der deutlich offensivere Verteidiger und schiebt immer wieder hoch nach vorne.
BVB-Dreierkette: Das wäre ein Vorteil
Süle und Hummels dagegen bewegten sich in der Viererkette eher auf einer Linie und konzentrierten sich darauf, die Tiefe zu verteidigen. Am Ball bewiesen beide aufgrund ihrer Erfahrung eine große Ruhe und streuten hin und wieder etwas gewagtere Pässe ins Mittelfeld ein, um den anlaufenden Gegner zu überspielen. Als alle drei gegen das tief stehende Villarreal auf dem Platz standen, sah man sie jedoch gleichermaßen weit in der gegnerischen Hälfte am Spielaufbau beteiligt.
Zum 3-4-1-2, das Terzic gegen Villarreal aufbot, sagte er: "Wir haben drei sehr gute Innenverteidiger, die es auch gewohnt sind, in einer Dreierkette zu spielen. Deshalb war es für uns wichtig, das Ganze nicht nur im Training zu testen, sondern gegen einen guten internationalen Gegner." Ein Vorteil dieser Anordnung ist, dass sie auch den offensiven Stärken der beiden Flügelspieler Raphael Guerreiro und Thomas Meunier entgegenkommt.
Die höchste Prämisse ist, egal in welcher Formation, dass der BVB die zahlreichen Gegentore der Vorsaison in den Griff bekommt. Gegen die beiden renommierten Testspielgegner klappte das nicht. Dort war es ein weiteres Mal zu einfach, besonders als Dortmund in der zweiten Halbzeit jeweils stark abbaute, der Borussia den Ball ins Netz zu legen. Es ist daher gut denkbar, dass Terzic gerade zu Saisonbeginn die defensiven Stärken von Süle, Schlotterbeck und Hummels allesamt auf dem Feld sehen möchte und auf eine Dreierkette zurückgreift.
BVB: Wie kompensiert Dortmund den Ausfall von Haller?
Seit Mittwoch ist klar, was zuvor schon wahrscheinlich erschien: Neuzugang Sebastien Haller wird aufgrund seiner Tumordiagnose mehrere Monate ausfallen. Diese Nachricht hat der Vorbereitung des BVB einen heftigen Dämpfer verpasst und sehr aufs Gemüt geschlagen. Sie wiegt auch in sportlicher Hinsicht schwer.
Etwas mehr als einen Monat ist das Transferfenster noch geöffnet, um einen Ersatz für Haller zu verpflichten. Dieser müsste freilich ähnliche physische Eigenschaften mitbringen wie der Ivorer: eine gewisse Größe, gutes Durchsetzungsvermögen am Boden wie in der Luft, einen ausgeprägten Torinstinkt.
Es wird sportlich wie wirtschaftlich - erst Recht dann, wenn sich auf der Abgabeseite weiterhin so wenig tut wie bislang - nicht leicht sein, einen Kandidaten zu finden, der alle Wünsche des BVB befriedigt. Dafür ist der Stürmer-Markt schlicht zu dünn. Und es benötigt natürlich vor allem einen Spieler, der die entsprechende Qualität mitbringt, um der Borussia aus dem Stand zu helfen.
Für den Moment ist Terzic daher gezwungen, seine Überlegungen in diesem Mannschaftsteil über den Haufen zu werfen und neu zu denken - mit dem Personal, das ihm aktuell zur Verfügung steht. In Youssoufa Moukoko weist der Kader nur einen einzigen echten Stürmer auf.
Der gibt sich zwar stets selbstbewusst und ist sehr erfreut, dass nicht mehr Marco Rose an der Seitenlinie steht. Dennoch: Moukoko ist erst 17 Jahre alt, dazu schweben die bislang ergebnislosen Gespräche über eine Verlängerung seines 2023 auslaufenden Vertrags weiter über ihm. Ob er derjenige ist, der den Ausfall von Haller über Monate hinweg auffangen kann, darf bezweifelt werden - und kann zugleich nicht der Anspruch des BVB sein.
BVB: Edin Terzics Aussage etwas schöngefärbt
"Wir haben in der Vergangenheit auch ohne Stoßstürmer erfolgreichen Fußball gespielt", sagte Terzic dazu passend. Diese Aussage ist allerdings etwas schöngefärbt, denn bei den durchaus zahlreichen wie notgedrungenen Versuchen mit falschen Neunern wie Marco Reus, Julian Brandt, Thorgan Hazard entwickelte die Borussia deutlich weniger Torgefahr als mit einem echten Angreifer.
Gegen Villarreal testete Terzic eine Doppelspitze mit den schnellen Donyell Malen und Karim Adeyemi, die gegen die Vielzahl der tief stehenden BVB-Gegner jedoch kaum Raum bekommen werden, um ihr Tempo ausspielen zu können. Auch körperlich sind beide nicht besonders robust, um Bälle mit dem Rücken zum Tor zu verarbeiten und mit einer Körpergröße von um die 1,80 Meter zudem keine Option für Flanken.
Moukoko ist ebenfalls nicht größer, hohe Bälle festzumachen, ist auch seine Stärke nicht. Dortmund geht die Haller-Komponente, die man ja bewusst im Kader haben wollte, somit komplett ab. Es gilt daher als sicher, dass sich die Borussia mit einem weiteren Angreifer, der Hallers Profil nahe kommt, verstärken wird - und dies nicht erst gegen Ende des Transferfensters.
BVB: Was muss sich noch an der Größe des Kaders tun?
Der Mannschaft der Westfalen gehören mit 30 Profis derzeit zu viele Spieler an. Für ein homogenes Gefüge müssen in den gut fünf Wochen, in denen es noch möglich ist, Verkäufe realisiert werden. Diese sind nicht nur für eine bessere Kadergröße vonnöten. Auch rein wirtschaftlich würden sie dem von Corona geplagten Klub, der laut Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in diesem Sommer "bisher netto vielleicht 15 Millionen Euro investiert" hat, gut zu Gesicht stehen.
Allerdings geschieht kaum etwas. Im Segment der Spieler, die bei ihren aktuellen Arbeitgebern perspektivlos oder gar vereinslos sind, zeigt sich der Markt bislang sehr abwartend. Das wird so nicht bleiben, sondern mehr Fahrt aufnehmen, je näher das Ende des Transferfensters rückt. Dortmund muss also weiter Geduld haben, wenngleich unsicher bleibt, wie das finale Ergebnis auf Abgabeseite aussehen wird.
Von den "Ladenhütern" verkauft hat der neue Sportdirektor Sebastian Kehl noch niemanden, wenn man einmal von Steffen Tigges absieht, der für 1,5 Millionen Euro zum 1. FC Köln wechselte - und übrigens zwar nicht der Qualität, aber dem Spielertypen Haller am nächsten kommen würde. Der BVB ließ jedoch bereits wissen, dass man allen potentiellen Verkaufskandidaten klar mitteilte, was die Stunde geschlagen hat.
Doch einen Spieler gegen seinen Willen und trotz laufenden Vertrags zu verkaufen, ist nicht möglich. Profis wie Nico Schulz, Marius Wolf oder auch Thorgan Hazard sind noch bis 2024 an den Klub gebunden und mit einem üppigen Kontrakt ausgestattet. Es muss einiges zusammenkommen, damit sich für beide Seiten eine sinnvolle Lösung ergibt - und die scheint momentan eher weit entfernt.
BVB: Manuel Akanji brächte das meiste Geld ein
Die meiste Kohle brächte ein Verkauf des abwanderungswilligen Manuel Akanji ein. Der Schweizer will in die Premier League, so dass es kaum an den Finanzen des aufnehmenden Vereins scheitern würde. Ein Angebot, das Akanji genügt, scheint bis dato von dort allerdings noch nicht eingetrudelt zu sein. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich diese Personalie noch zur Zufriedenheit aller klären wird.
Vieles deutet darauf hin, dass es bei Raphael Guerreiro anders laufen wird. Der Linksverteidiger steht nur noch diese Saison unter Vertrag, ist besonders für Muskelverletzungen anfällig und wechselt Licht und Schatten in seinen Leistungen regelmäßig durch. Er würde ebenfalls ein hübsches Sümmchen bringen, will Dortmund dem Vernehmen nach aber nicht zwingend verlassen. Einigt man sich nicht, droht der BVB, den Portugiesen im kommenden Sommer ablösefrei zu verlieren.
BVB: Die Neuverpflichtungen von Borussia Dortmund im Überblick
Name | Position | Bisheriger Verein | Ablöse |
Sebastien Haller | Angriff | Ajax Amsterdam | 31 Mio. Euro |
Karim Adeyemi | Angriff | RB Salzburg | 30 Mio. Euro |
Nico Schlotterbeck | Innenverteidiger | SC Freiburg | 20 Mio. Euro |
Salih Özcan | Mittelfeld | 1. FC Köln | 5 Mio. Euro |
Niklas Süle | Innenverteidiger | FC Bayern München | ablösefrei |
Marcel Lotka | Torwart | Hertha BSC | ablösefrei |
Alexander Meyer | Torwart | Jahn Regensburg | ablösefrei |
BVB: Chefscout Markus Pilawa verlässt Dortmund - und nun?
Schon längere Zeit war BVB-Chefscout Markus Pilawa, der seit 2017 offiziell als "Leiter Scouting und Analyse" firmierte, Bestandteil von Gerüchten. Der 44-Jährige, dessen Vertrag 2023 ausgelaufen wäre, schien offen für den nächsten Schritt in seiner Karriere.
Den wird er jetzt nicht in einer exponierteren Rolle gehen, sondern zum 1. September in selber Funktion zum FC Bayern wechseln. Es ist daher besonders in der aktuellen Saisonphase nur folgerichtig, dass die Borussia die Zusammenarbeit mit Pilawa sofort einstellte. Laut Bild soll Pilawa ohnehin nicht mehr unumstritten in seiner Abteilung gewesen sein, so dass eine Vertragsverlängerung mit ihm nicht mehr angedacht war.
Den entgegengesetzten Weg ging zuvor Laurent Busser, der in München "Teamleiter Scouting Lizenzspieler" hieß und erst seit ein paar Wochen für Dortmund arbeitet. Busser gilt als extrem gut vernetzt und fleischgewordene Spieler-Datenbank. Er kehrte den Münchnern ein Jahr vor Ablauf seines Vertrags auch deshalb den Rücken, weil er sich eine andere Rolle vorstellte.
Die könnte Busser nun fürs Erste in Dortmund einnehmen, obwohl er ursprünglich nicht dafür vorgesehen war und stattdessen Pilawas Team erweitern sollte. Unbestritten ist, dass Pilawas Abgang den BVB zu einem ungünstigen Zeitpunkt trifft.
imago imagesSeit 2012 war Pilawa in Dortmund angestellt, damals war er als Scout vom VfL Bochum gekommen. Mit der Zeit wurde sein Verantwortungsbereich immer größer, er war an zahlreichen starken Transfers der Borussia federführend beteiligt - aber auch an einigen der Deals, bei denen der BVB Millionenbeträge in den Sand setzte.
Der 52-jährige Busser, der bereits für Hoffenheim (2008-2011) und Leverkusen (2011-2018) arbeitete, bringt in jedem Fall ausreichend Erfahrung auf seinem Gebiet mit. Für den BVB bedeutet Pilawas Wechsel ein weiteres Themenfeld, für das eine Lösung gefunden werden muss. Verhindern lässt sich dagegen nicht, dass Pilawa Dortmunder Interna und Erkenntnisse mit nach München nimmt.
BVB: Wie lautet das Fazit der Dortmunder Vorbereitung?
Am 29. Juni bat Terzic seine Mannschaft zum ersten Training der Vorbereitung, genau einen Monat später wartet mit dem Pokal-Auftakt beim TSV 1860 München keine leichte Aufgabe auf die Borussen. Vier Wochen sind ohnehin knapp, die zahlreichen Nationalspieler stießen erst später zum Team - Stolpergefahr ist in Giesing durchaus gegeben.
Und die unmittelbar folgenden Gegner werden nicht leichter: In der Bundesliga geht es mit einem Heimspiel gegen Leverkusen los, darauf folgt der Auftritt beim SC Freiburg. "Es könnte holprig werden", ist sich auch Watzke bewusst. "Aber das dürfen wir nicht als Alibi in irgendeiner Weise nutzen, sondern müssen das als Herausforderung sehen."
Haller ausgeklammert lief die Vorbereitung, in der laut Kapitän Marco Reus "so hart wie noch nie" gearbeitet wurde, für ein paar Spieler ungünstig. Besonders Neuzugang Salih Özcan, der mit seinem aggressiven Spielstil auf der Sechs einen wichtigen Part beim Charakter-Wandel des Teams einnehmen soll, hat ein paar alles andere als zufriedenstellende Tage hinter sich. Ein Pressschlag machte mehr Probleme als anfangs gedacht, gegen die Löwen fällt er aus.
Bevor Özcan einsetzbar ist, muss er ähnlich wie Emre Can (muskuläre Beschwerden) seinen Rückstand wettmachen. Can ist dabei deutlich weiter und könnte früher eine Alternative werden - sollten sich die zahlreichen Gerüchte um einen vorzeitigen Abgang nicht bestätigen.
BVB baute bei den Härtetests teils bedenklich ab
Auch der aus der U19 hoch gezogene Tom Rothe musste kürzer treten. Den Linksverteidiger plagen Hüftprobleme, was die weiterhin unklare Situation hinten links bei einem künftigen Ausfall von Guerreiro noch einmal etwas brisanter machen würde.
Die in unterschiedlichen Besetzungen absolvierten Testspiele verliefen sehr wechselhaft. In den beiden Härtetests im Trainingslager baute das Team in der zweiten Halbzeit teils bedenklich ab, das von Terzic bevorzugte Pressing ging ins Leere. Es gab jedoch auch genügend Phasen, in denen es gut griff und man zahlreiche frühe Ballgewinne erzielte - nur an der Klarheit rund um den Strafraum haperte es.
Während in Dortmund an einigen Stellen noch Unklarheit herrscht, ist eines bereits jetzt gewiss: Der BVB wird nach dem Umbruch Zeit brauchen, um das neue Gesicht zu entwickeln, das die Verantwortlichen und Fans von der Mannschaft sehen wollen. Es bedeutet einen Balanceakt, auf dem Weg dorthin sozusagen nebenbei ausreichend Punkte zu sammeln, um den Entwicklungsprozess nicht durch frühzeitige Unruhe zu torpedieren.
BVB: Die Testspiele der Vorbereitung von Borussia Dortmund
Datum | Gegner | Austragungsort |
Dienstag, 5. Juli | Lüner SV (3:1) | Kampfbahn Schwansbell, Lünen |
Samstag, 9. Juli | Dynamo Dresden (2:0) | Rudolf-Harbig-Stadion, Dresden |
Donnerstag, 14. Juli | SC Verl (5:0) | Sportclub-Arena, Verl |
Montag, 18. Juli | FC Valencia (1:3) | Cashpoint-Arena, Altach |
Freitag, 22. Juli | FC Villarreal (0:2) | Cashpoint-Arena, Altach |