Hertha-Boss Fredi Bobic im Interview: "Ich habe den Schlüssel in den Decoder gesteckt und NFL geschaut"

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Sie haben den jungen Brady live gesehen. Wie haben Sie seine Karriere dann im Laufe der Zeit verfolgt?

Bobic: Es war eine Art kleine Hassliebe. Er war mir von seiner Spielart manchmal einfach zu langweilig. Das war mir alles zu eintönig. Zu unspektakulär. So ein bisschen wie bei Lionel Messi, wenn er schon wieder zum Dribbling ansetzt und ich mir denke: Mach doch mal was anderes. Aber auf der anderen Seite steht natürlich Bradys wie Messis Genialität. Die Fähigkeit, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wie Tom Brady Defenses zerlegt, wie er mit der anderen Mannschaft Katz und Maus spielt - das ist extrem beeindruckend. Und wovor ich am meisten den Hut ziehe, ist seine überragende Konstanz. Er liefert ab, Jahr für Jahr für Jahr. Diese Konstanz, diese Ausstrahlung, gepaart mit seiner Fitness - das ist großartig. Es gibt so viele Sportler, die nach zwei starken Jahren einen fetten Vertrag unterschreiben und dann nie mehr an ihre Leistung herankommen. Und am Ende werden sie dreimal getradet und haben irgendwann bei neun Klubs gespielt. Aber Brady liefert immer ab. Das macht ihn für mich - auch unabhängig von den ganzen Titeln - so besonders. Deshalb freue ich mich auch, dass er doch noch ein Jahr weiterspielt.

Die Chancen Ihrer 49ers erhöht das in der NFC aber natürlich nicht. Bei der vorletzten Super-Bowl-Teilnahme hieß der Quarterback noch Colin Kaepernick.

Bobic: Ich war immer ein großer Kaepernick-Fan. Ich finde es falsch, wie mit ihm umgegangen wurde in der NFL. Das ist nicht zu akzeptieren. Vor kurzem ist mit Bill Russell eine absolute NBA-Legende verstorben. Viele kennen ihn leider nicht mehr, aber ich kann nur jedem empfehlen, seine Biografie zu lesen. Und Kaepernick geht auf moderne Weise in eine ähnliche Richtung. Im Endeffekt hat man Kaepernick seine Karriere genommen, weil hier wieder Dinge vermischt wurden, die man nicht vermischen sollte. Natürlich hat auch er den Sport als Plattform für seine Überzeugungen genutzt, das ist immer ein schmaler Grat, aber es war richtig, was er gemacht hat. Wir müssen uns nur anschauen, was seitdem in den USA alles passiert ist. Er hatte recht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die 49ers mit Kaepernick den einen oder anderen Titel hätten gewinnen können. Der ganze Umgang mit ihm, die Heuchelei an vielen Stellen - das ist auf jeden Fall ein Schandfleck für die Liga.

Die 49ers suchen seitdem immer noch den neuen Franchise-Quarterback. Glauben Sie, dass Trey Lance das sein kann?

Bobic: Ich hoffe es natürlich. Wichtig ist, dass man ihm jetzt die Chance gibt. Die 49ers brauchten dringend frischen Wind auf der QB-Position. Jimmy G hat es zwar ordentlich gemacht, aber er hat auch sehr von Kyle Shanahan profitiert und war nie der Mann, der in den wirklich entscheidenden Situationen abgeliefert hat. Genau dann musst du als Quarterback aber liefern. Ganz entscheidend war es unabhängig davon, dass Deebo Samuel verlängert hat. Er ist aktuell mein Lieblingsspieler. Sein Abgang wäre schlimm gewesen. Gefühlt kannst du ihn überall auf dem Feld hinstellen und er ist brandgefährlich. Ich glaube, dass er MVP-Potenzial hat.

Bobic: Das können wir uns von den 49ers abschauen

Wenn wir von der NFL die Brücke zum Fußball schlagen, was kann sich die Hertha denn von den 49ers abschauen?

Bobic: Vorbild wäre ein zu starkes Wort, weil wir die NFL nicht mit der Bundesliga vergleichen können. Aber es gibt sicher einige Bereiche, bei denen wir uns etwas abschauen können. Ich war selbst vor Ort und habe gesehen, wie modern die 49ers zum Beispiel beim Thema Analytics arbeiten. Wie datenbasiert sie arbeiten, das ist wirklich hochinteressant, genauso kann man sich anschauen, wie eine NFL-Organisation strukturell aufgebaut ist und einiges auch auf uns übertragen. Auf der anderen Seite ist es eben eine komplett andere Welt. Wenn der Besitzer einer NFL-Franchise sieht, dass alle Season Tickets verkauft sind und das Marketing läuft, dann ist er zufrieden. Und wenn es sportlich nicht so gut läuft, kommt ja schon der nächste Draft. Dann halt "next year". Und wir kämpfen hier im Abstiegskampf ums nackte Überleben. Diesen Druck kennen sie da drüben nicht. Und ich konnte nach der letzten Saison für die Hertha leider auch keinen Jungstar an Position 3 draften. (lacht)

Fredi Bobic hat bei der Hertha die wohl größte Herausforderung seiner Karriere gefunden.
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Fredi Bobic hat bei der Hertha die wohl größte Herausforderung seiner Karriere gefunden.

Wie würden Sie die Kräfteverhältnisse in der Bundesliga denn aktuell einschätzen? Kämpft jeder Verein ab Platz sieben fast schon um den Klassenerhalt?

Bobic: Wir haben mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre keinen wirklich spannenden Meisterschaftskampf mehr, das sieht jeder, aber ich finde dennoch, dass viel Bewegung drin ist in der Bundesliga. Beim Kampf um die Champions-League-Plätze ist der vierte Spot meistens vakant. Bei den Klubs, die sich für die Europa League und Europa Conference League qualifizieren, wird einigermaßen bunt durchgemischt. Und dann gibt es das angesprochene breite Mittelfeld, zu dem wir auch gehören und wo du nie genau weißt, schwingt das Pendel eher in die obere Hälfte aus, oder geht es in Richtung Abstiegszone. Die Bundesliga ist vielleicht langweilig geworden, was den Kampf um den Titel angeht, aber ansonsten überhaupt nicht, da erleben wir jedes Jahr einige Überraschungen.

Sie haben mal gesagt, als Sie nach Berlin gekommen sind, sei die Hertha wie ein gemischter Salat gewesen, der nicht so richtig geschmeckt hat. Wie schmeckt er denn aktuell?

Bobic: (lacht) Besser. Wir mussten eine absolut brutale Rückrunde inklusive Relegation überstehen. Es war extrem viel Unruhe um den Verein, aber auch im Verein selbst. Jetzt kann ich aber nach den letzten Monaten sagen, dass wir in ein ruhiges Fahrwasser gekommen sind. Wir haben einen neuen Präsidenten bekommen, mit dem nicht nur ich sehr gut zusammenarbeite, wir haben im Sport einen neuen Trainer bekommen, über den wir alle hier sehr glücklich sind. Man spürt endlich eine gewisse Ruhe und auch eine Art Aufbruchsstimmung, die unserer täglichen Arbeit enorm guttut. Dazu gehört auch eine neue Spielart der Mannschaft, die wir entwickeln wollen - aggressiver, aktiver, mutiger. Der Prozess hat begonnen, aber es muss auch jedem klar sein, dass es ein Prozess ist und dass wir Hausaufgaben zu erledigen haben. Wir stecken noch mitten in einer Transferperiode, in der wir noch versuchen müssen, Überschuss zu erwirtschaften. Wir befinden uns in der Post-Corona-Zeit, hoffentlich Post-Corona, muss man ja sagen. Und wir müssen immer noch einige Dinge aus der Vergangenheit aufarbeiten und auf ein gesundes Fundament stellen. Das braucht aber Zeit.