Hertha-Boss Fredi Bobic im Interview: "Ich habe den Schlüssel in den Decoder gesteckt und NFL geschaut"

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Sie wussten ja, dass die Hertha eine große Herausforderung sein wird. Jetzt sind Sie ein Jahr dort. Waren Sie vom Ausmaß der Probleme dennoch überrascht?

Bobic: Du kannst zwar von außen auf einen Verein draufschauen und du kannst dich auch informieren vorab, aber es bleibt trotzdem Halbwissen. Das habe ich in meinem ersten Jahr festgestellt. Du weiß nie genau, wie tief die Probleme zum Beispiel reichen, bis du selbst involviert bist. Ich habe eine Organisation kennengelernt, die in vielen Bereichen wirklich faszinierend ist, die aber auch hier und da zerstritten und teilweise verkrustet war. Das zu erkennen ist auch gar nicht so schlimm, solange du die Probleme gemeinsam anpackst und offen und ehrlich miteinander umgehst. Wir haben es jetzt geschafft, dass wir in die richtige Richtung rudern und jetzt hoffe ich, dass wir im Sport auch das nötige Quäntchen Glück auf unserer Seite haben, dass die Ergebnisse stimmen und wir uns als Verein insgesamt gut weiterentwickeln können.

Sie haben nach der aktiven Karriere schon einiges erlebt, wenn wir an Ihre Stationen in Stuttgart, Frankfurt und jetzt in Berlin denken. Sie mögen es kompliziert, oder?

Bobic: Ich fühle mich eigentlich so ein bisschen in die Zeit als Spieler zurückversetzt. Auch dort habe ich Höhen und Tiefen erlebt. Ich bin ein Mensch, der immer neue Herausforderungen sucht, da haben Sie recht. Ich hätte mich auch ganz gemütlich in ein gemachtes Nest setzen können, statt nach Berlin zu kommen, aber das wäre nicht ich. Ich habe Bock auf schwierige Challenges, so bin ich wohl gestrickt.

Sie haben schon den neuen Präsidenten Kay Bernstein angesprochen und die Zusammenarbeit gelobt. Wie ist der Austausch?

Bobic: Der Austausch ist ganz entspannt. Wir sprechen ganz offen und ehrlich über alle Themen, die auf der Agenda stehen. Niemand sollte Kay unterschätzen, er hat einen sehr klaren Blick auf die Themen und er ist auch nicht mehr der Mensch und der Ultra, der er vor 20 Jahren war. Das war ein Teil von ihm, aber eben auch nur ein Teil, das sollte jeder akzeptieren und respektieren. Der Start der Zusammenarbeit hätte besser nicht sein können. Jetzt versuchen wir gemeinsam, einen neuen Geist bei der Hertha zu erzeugen, weil wir uns alle einig sind, dass jetzt wirklich genug gestritten wurde. Sowohl Kay als auch ich wollen positiv vorangehen und ein Miteinander vorleben, das von Offenheit, Respekt und auch Transparenz geprägt ist.

Bobic: "Neue Gewinner, aber auch neue Loser"

Der neue Präsident wird sicher auch positiv für das Verhältnis zu den Fans sein, nachdem es im Abstiegskampf bekanntlich zu einigen Zerwürfnissen gekommen ist. Generell ist es ja in der Gesellschaft inzwischen ein sehr schmaler Grat zwischen Emotionen und berechtigter Kritik, aber auch Hass und Häme, gerade in den sozialen Netzwerken. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?

Bobic: Das ist leider nichts, was nur in Vereinen verankert ist. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen, das sich auch im Sport widerspiegelt. Und jede Saison trifft es andere Vereine. Wir erleben in jeder Saison die großen Gewinner, bei denen ins andere Extrem fast schon über jedes vernünftige Maß gefeiert wird. Und dann erleben wir die großen Verlierer mit den bekannten und auch bedenklichen Auswirkungen, dass es Hass und Anfeindungen gibt. Jetzt beginnt eine neue Saison und wir werden wieder neue Gewinner sehen, aber auch neue Loser. Und dann werden wieder Grenzen überschritten werden. Aber so ist der Mensch, das muss man auch so klar sagen. Über das Ausmaß sollten wir uns allerdings alle Gedanken machen. Emotionen gehören zum Sport dazu, die Fans leiden positiv und negativ mit der Mannschaft mit. Aber wenn eine Grenze überschritten wird, ist es unsere Aufgabe, das zu benennen. Ich sage immer: Wenn du Kritik üben willst, dann mach das doch, aber dann zeig dich auch. Verstecke dich nicht hinter irgendwelchen Nicknames im Netz, sag, wer du bist und was Dir nicht gefällt, alles andere ist für mich nicht akzeptabel.

Fredi Bobic im Gespräch mit Kevin-Prince Boateng
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Fredi Bobic im Gespräch mit Kevin-Prince Boateng

Aus sportlicher Sicht ist Sandro Schwarz als neuer Cheftrainer die wichtigste Personalie und wohl Ihre wichtigste Entscheidung bislang. Wann wussten Sie, dass er jetzt genau der richtige Mann für die Hertha ist?

Bobic: Ich wusste es sehr schnell. Ich kannte Sandro schon seit längerem und habe seinen Weg intensiv verfolgt. Ich mochte ihn als Typ schon von Beginn an und fand es sehr imponierend zu sehen, welche Entwicklung er als Trainer genommen hat. Als wir uns dann das erste Mal getroffen haben, hat es sofort gepasst. Man merkt das ja sehr schnell, ob es matched oder nicht. Wir haben die gleichen Vorstellungen, was die Art und Weise angeht, wie wir Fußball spielen lassen wollen bei der Hertha. Aber genauso wichtig, wir haben auch die gleichen Werte im persönlichen Miteinander, die uns wichtig sind. Dazu gefällt mir Sandros Klarheit und Zielorientiertheit in allen Abläufen, ich bin total davon überzeugt, dass wir hier einen Trainer gefunden haben, mit dem wir gemeinsam einen guten und erfolgreichen Weg gehen werden.

Pokal-Aus und die Niederlage bei Union - das war natürlich jetzt rein ergebnistechnisch kein guter Start, was passiert, wenn es nicht schnell besser wird?

Bobic: Wir haben mit Sandro jetzt mit voller Überzeugung einen Weg begonnen. Daher machen wir das nicht nur an den Ergebnissen fest. Das ist unser Weg. Wir werden ihn nicht verlassen, auch nicht, wenn wie in Braunschweig oder bei Union Stolpersteine kommen. Wir werden auf diesem Weg bleiben, wohl wissend, dass das nicht von heute auf morgen gehen wird, wohl wissend, dass wir die Mannschaft nicht in einer Transferperiode umkrempeln können, aber alles andere ergibt keinen Sinn. Das sollte jeder verstehen.

Hertha BSC: Die Bilanz der letzten Jahre

SaisonTabellenplatzPunkte
2021/221633
2020/211435
2019/201041
2018/191143
2017/181043
2016/17649