"Freiburg war die Station in meiner Karriere, die mich am weitesten nach vorne gebracht hat. Ich kam aus der zweiten Liga und habe dort meine erste richtige Saison als Bundesliga-Profi absolviert. Für mich, aber auch für das ganze Team, lief es super. Es war ein sehr gutes und erfolgreiches Jahr", hatte Kruse unter der Woche beim klubeigenen Werder TV einen kleinen Blick zurück in die Vergangenheit gewagt.
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Sportlich wie auch menschlich hatte es für ihn in Freiburg in jener 2012/13er Saison schlicht gepasst. Genau wie beim FC St. Pauli unter Andre Schubert und zu einem gewissen Grad in Gladbach unter Lucien Favre wurden Kruse bestimmte Freiräume innerhalb des Konzepts des jeweiligen Trainers zugestanden. Freiräume, auf die er selbst auf sowie abseits des Platzes hohen Wert legt.
"Ich will mich nicht verbiegen lassen. Ich würde gerne zeigen, dass man ein erfolgreicher Fußballer sein kann, auch ohne total angepasst zu leben", hatte Kruse gegenüber der 11 Freunde Ende des vergangenen Jahres erklärt.
Eben jener Kruse hatte nach seinem Wechsel nach Wolfsburg noch verkündet: "Ich bin froh, dass ich in der Spitze Deutschlands angekommen bin." Fehltritte abseits des Platzes allerdings ließen ihn sowohl beim VfL, als auch bei der Nationalmannschaft in Ungnade fallen, das "Bad-Boy"-Image begleitet ihn stetig. Werder ließ sich von alledem nicht beirren.
Eine kräftige Portion Ernüchterung
Dabei war Kruse für nicht wenige Experten potentiell ein teurer Fehler. Rund 7,5 Millionen Euro soll er die Bremer gekostet haben, nach Marko Marin (8,2 Mio.) und Carlos Alberto (7,8 Mio.) macht ihn das zum drittteuersten Neuzugang der Vereinsgeschichte.
Was allerdings wie ein Hauch der alten, glor- und torreichen Tage der Bremer wirkte, wurde schnell mit einer kräftigen Portion Ernüchterung vertrieben. Kruse verletzte sich während der 1:2-Pleite in der ersten Runde des DFB Pokals in Lotte am Außenband - und fiel fast drei Monate lang aus. Werder verlor die ersten vier sowie acht der ersten elf Saisonspiele, das alles bestimmende Thema war wieder einmal der Abstiegskampf.
Das mag zwar übergreifend noch immer der Fall sein. Doch sind Tendenz und Stimmung im Werder-Lager um 180 Grad gedreht.
Die omnipräsente Pressing-Waffe
Ende November kehrte Kruse dann endlich aus dem Lazarett zurück, gegen Ingolstadt und Hertha sorgten seine Treffer prompt für wichtige Siege vor dem Jahreswechsel. Während Bremens Anfälligkeiten in der Defensive noch immer sichtbar sind, kann Kruse dem Bremer Spiel immer deutlicher seinen Stempel aufdrücken. Als Leader, aber auch als Schlüsselspieler.
Denn der 29-Jährige ist alles andere als ein Strafraumstürmer, der stark auf gute Zuarbeiter angewiesen ist. Kruses Einfluss auf das Spiel ist deutlich größer, er arbeitet vielseitig für das Team: Werder hat seit dem 21. Spieltag fünf Siege bei nur einem Remis, ein 1:1 in Leverkusen, geholt - Kruses Laufleistungen in diesen Spielen: 10,6 Kilometer, 11,2 Kilometer, 9,8 Kilometer, 10,7 Kilometer sowie 10,1 Kilometer am Samstag in Freiburg.
Trainer Alexander Nouri räumt ihm die entsprechenden Freiheiten auf dem Platz ein, Kruse weicht immer wieder auf die Flügel aus. Mit seiner Ballsicherheit kann er den Mitspielern die Chance geben, nachzurücken, während er mit seiner Dynamik gleichzeitig konstant als erster Pressing-Spieler agiert. Sinnbildlich dafür war Kruses Treffer gegen die Hertha Ende Dezember, als er einen Pass von Niklas Stark abfing und den Siegtreffer erzielte.
Des Glückes Schmied
Auch gegen sein Ex-Team lohnte sich Kruses Einsatz auf ähnliche Art und Weise. Als zwei Freiburger den Ball nicht klären konnten, landete die Kugel bei Kruse - der aus 22 Metern kurzerhand abzog und den Ball ins rechte Eck jagte.
Sinnbildlich für Kruses Spielweise sind die 24 Zweikämpfe, die er gegen die Breisgauer bestritt. In der gegnerischen Hälfte brachte er über 60 Prozent seiner Pässe zum Mitspieler. Sowohl im Umschaltspiel, als auch als erste Reihe der Verteidigung glänzt Kruse im Bremer System, und nimmt dadurch Druck von der eigenen Defensive.
Werder hat sich so aus den Nachwirkungen des schwachen Saisonstarts herausgearbeitet, maßgeblich bedingt durch Delaney als Strategen im Mittelfeld sowie durch Kruse als offensive Allzweckwaffe. Und manchmal auch durch Kruses Rolle als des Glückes Schmied.
So etwa beim 2:0-Sieg über Darmstadt Anfang März: 9:15 Torschüsse, 2:7 Ecken, 295:396 Pässe, 8:27 Flanken, sechs Kilometer weniger zurückgelegte Strecke standen am Ende zu Buche. Aus Werder-Sicht, wohlgemerkt. Zwei Tore von Kruse bedeuteten letztlich dennoch drei Punkte.
"Bin ihm heute noch dankbar"
Seit nunmehr sechs Spielen in Serie ist Bremen unbesiegt, das hatte es zuvor unter Nouri noch nie gegeben. Kruse selbst zeigte nach dem Führungstreffer gegen Freiburg Stil, verzichtete auf einen größeren Torjubel. Der 29-Jährige wächst zunehmend in die verantwortungsvolle Rolle, welche die Klubbosse bei der Verpflichtung auch im Kopf hatten - es scheint, als wäre die Rückkehr zu dem Klub, bei dem er einst in der U19 gespielt hat, genau die richtige Entscheidung gewesen.
"Christian Streich hat einen sehr, sehr großen Anteil an meiner Entwicklung, dafür bin ich ihm heute noch dankbar", fuhr er im Vorfeld der Partie fort, und schob einen für ihn selbst so wichtigen Aspekt hinterher: "Er gibt sich so, wie er ist. Er verstellt sich nicht. Er hat zu sehr vielen Dingen eine Meinung und äußerst diese in der Öffentlichkeit. Das finde ich gut."
Auch weil Kruse im Bremer Spiel eine immer größere Rolle einnimmt, hat Werder inzwischen immerhin drei Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz. Dabei gilt allerdings stets: Mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben. "Eine Vorentscheidung im Kampf um den Klassenerhalt war es definitiv nicht. Sollten wir demnächst wieder drei Spiele verlieren, sieht es ganz anders aus", weiß auch Delaney.
Bereits am Dienstagabend kann Werder gegen Schalke den nächsten Schritt machen.
Max Kruses Statistiken im Überblick