Nach dem Sieg beim FC Salzburg ließ Thomas Müller das Spiel ausführlich revue passieren. "Wir haben 6:2 gewonnen, wir waren schon auch ganz okay", sagte Müller, erinnerte sich trotz des letztlich (zu) deutlichen Ergebnisses aber auch an eine Phase Mitte der zweiten Halbzeit, als es auf einmal 2:2 stand und seine Mannschaft dringend ein Tor brauchte. Was nun?
Trainer Hansi Flick wechselte Leroy Sane, Javi Martinez und Bouna Sarr ein, die für frische Impulse und Scorerpunkte sorgten und somit ihren Anteil am späten Viererpack hatten. "Wenn du so wechseln kannst, hast du den Trumpf auf deiner Seite", verkündete Müller also. Als ausgewiesener Schafkopf-Enthusiast kennt er sich mit Trümpfen schließlich aus.
Den größten Trumpf des FC Bayern für solche Situationen erwähnte Müller aber nicht. Der wird nämlich selten (wobei: eigentlich nie) eingewechselt, ist 1,76 Meter groß, 25 Jahre alt, blond und heißt Joshua Kimmich.
Genau wie seine Mitspieler hatte er in Salzburg bis zu diesem Zeitpunkt eine wechselhafte Leistung gezeigt. Doch dann: In der 79. Minute flankte er eine Ecke perfekt auf Jerome Boatengs Kopf, der das 3:2 erzielte. Die Wende. Kurz darauf eroberte er in der gegnerischen Hälfte mit all der ihm angeborenen Konsequenz den Ball und spielte ihn mit all der ihm konsequent angelernten Präzision zu Sane, der zum 4:2 traf. Die Entscheidung.
Flick lobt Kimmich: "Ein Mentalitätsmonster"
"Joshua ist ein absoluter Profi, ein Mentalitätsmonster, einfach immer im Spiel, gibt nie auf, treibt immer weiter an, hat enorme Qualität mit dem Ball", lobte Flick nach dem Spiel und hätte mit dem Loben wohl nicht aufgehört, wenn es nicht schon gegen halb 12 gewesen wäre und der Mannschaftsbus auf die Rückfahrt nach München gewartet hätte. Zeit blieb aber noch, um explizit Kimmichs Ballgewinne, Standards und Pässe hervorzuheben.
Das belegen auch die Zahlen: Kimmich eroberte in Salzburg auf Seiten des FC Bayern die drittmeisten Bälle, bereitete mit einer Ecke ein Tor vor und brachte überragende 92 Prozent seiner Pässe zum Mitspieler. In der gegnerischen Hälfte waren es sogar 94 Prozent. Am wichtigsten für seine Mannschaft machte ihn aber einmal mehr seine beeindruckende, seine schier übermenschliche Fähigkeit, in entscheidenden Momenten als Trumpf zu stechen.
Kimmichs entscheidende Aktionen der vergangenen Monaten
Seine beiden so wichtigen Assists in Salzburg waren diesbezüglich nur die neueste Episode. Eine Auswahl der vergangenen Monate: Im Mai besorgte Kimmich mit einem Lupfer den Meistertitel-vorentscheidenden Sieg bei Borussia Dortmund. Beim Champions-League-Halbfinale gegen Lyon bereitete er das richtungsweisende 1:0 vor, beim Finale gegen Paris Saint-Germain dann Kingsley Comans Siegtor. Beim deutschen Supercup gegen Dortmund traf er in der Schlussphase zum 3:2, beim Champions-League-Spiel bei Lokomotive Moskau zum 2:1.
Egal ob Bauchplatscher-mäßig wie gegen Dortmund oder Balletttänzer-mäßig wie in Moskau: Der Trumpf Kimmich sticht immer - und das hat sich bei seinen Mitspielern herumgesprochen. Wird es eng und funktionieren die konventionellen spielerischen Lösungen gerade irgendwie nicht, geben sie Kimmich den Ball und er regelt das schon. Wobei: Es ist weniger ein Geben, als viel mehr ein sich Unterwerfen der Einforderung. Und wenn sie den Ball gerade nicht haben, dann erobert Kimmich ihn eben selbst.
Kimmich führt mit Präsenz und Kommandos
Seine ohnehin schon weit vorangeschrittene Entwicklung zum unumstrittenen Führungsspieler der Mannschaft wurde durch seine permanente Versetzung von der Rechtsverteidigerposition ins Mittefeldzentrum noch einmal beschleunigt. Mittlerweile dominiert er das Spiel des FC Bayern mit seiner körperlichen Präsenz, seinen lautstarken Kommandos und vor allem seinen Stichen in entscheidenden Momenten.
Nach Manuel Neuer und Müller, die gemeinsam mit Kimmich und David Alaba aktuell die wichtigste Achse im Spiel des FC Bayern bilden, absolvierte Kimmich in der bisherigen Saison die drittmeisten Pflichtspielminuten. In der vergangenen Saison belegte er in dieser Statistik Platz zwei hinter Neuer.
Wenn Kimmich mal nicht spielt, dann nur, weil ihn sein Trainer zwecks Belastungssteuerung unbedingt schonen will. Seit seiner Ankunft von RB Leipzig 2015 verpasste er nur drei Pflichtspiele verletzungsbedingt - das bisher letzte übrigens vor fast drei Jahren. Beim Bundesligatopspiel in Dortmund wird sich daran nichts ändern.