Mit dem Achtelfinale der Champions League geht der Wettbewerb in die entscheidende Phase. Vor dem Auftakt der K.o.-Phase diskutieren vier Redakteure fünf Thesen: Stehen die Bayern vor dem frühen Aus und ist Messi so torhungrig wie Ronaldo? Und verteidigt Real als erstes Team aller Zeiten den Titel?
These 1: Bayerns Form reicht nicht: Aus gegen Arsenal
David Kreisl (SPOX): Dieses Jahr fliegt Bayern gegen Arsenal. Dass im Münchner Lager nach dem einzigen (!) wirklich guten Spiel der Saison gegen Leipzig schon wieder die selbstdiagnostizierte Weltklasse ausgerufen wurde, zeigt das Problem und birgt die Gefahr: Die vergangenen vier Jahre, in denen die Bayern beinahe unverwundbar daher kamen, sind "dank" Ancelotti vorbei, wirklich realisiert hat man den Abstieg in die Sterblichkeit und die nicht stattfindende Weiterentwicklung im Süden aber noch nicht. Und klar: Die Londoner haben mit den Diskussionen um Wenger, Özil und Sanchez gerade genug eigene Probleme und spielen bei Weitem keinen Weltklasse-Fußball, gegen diese planlosen Bayern kommt aber sogar Arsenal weiter. Zumindest nach zwei Spielen.
Benedikt Treuer (SPOX): Ancelotti kann die großen Spiele, hieß es vor allem nach dem Leipzig-Spiel. Ich glaube tatsächlich daran, dass die Bayern - wenn sie nun wirklich gefordert werden - auf einem ganz anderen Niveau spielen können als sie es bisher in dieser Saison getan haben. Allerdings: Das wird dann nicht an Ancelotti, sondern vielmehr am Ehrgeiz der einzelnen Spieler liegen. Bayern kommt gegen ein ebenfalls schwächelndes Arsenal weiter. Aber nicht so deutlich, wie viele es nach der Auslosung vorausgesagt haben.
Jochen Rabe (SPOX): Ehrgeiz der einzelnen Spieler ist das richtige Stichwort, Benedikt. Für die Robbens, Lewandowskis und Co. ist es einfach ein anderes Gefühl, wenn der Duft der Königsklasse in der Luft liegt, als wenn es samstagnachmittags auf einem stumpfen Platz gegen Ingolstadt geht. Die Körperspannung und die Motivation wird definitiv eine andere sein. Trotzdem glaube ich, dass die Leistungsexplosion nicht aus dem Nichts kommen wird. Sich darauf zu verlassen, dass es jetzt in der K.o.-Phase einfach so läuft, halte ich für eine gewagte Annahme. Gegen Arsenal wird es trotzdem reichen. Aber nicht, weil Bayern Sahneleistungen abrufen wird, sondern weil die Gunners auch nicht alles auseinander schießen. Zumal sich bei der Wenger-Truppe der Kopf einschalten wird: Warum fliegen wir immer gegen die Bayern raus?
Andreas Lehner (SPOX): Die Zahlen sprechen für den FCB: seit Ende November zehn Siege und ein Unentschieden, dazu sieben Punkte Vorsprung in der Liga und gerade ins Viertelfinale des Pokals eingezogen. Aber wo ist die spielerische Form? Wo die fußballerische Klasse? Bayerns Saison ist ein Vabanquespiel. Die Bewertung hängt an den Leistungen in großen Spielen. In der Liga reichte bisher die individuelle Klasse für Punkte, in der Champions League ist das auf Dauer zu wenig. Für Arsenal könnte es reichen, aber einen CL-Sieger FC Bayern sehe ich in dieser Saison nicht.
These 2: Messi knackt Ronaldos Torrekord (17 Treffer)
David Kreisl (SPOX): Für Barcelona wird's diese Saison ins Finale gehen, inklusive des Endspiels würden noch sieben Spiele auf die Katalanen warten. Kollege Messi hat schon weniger Spiele für sieben Buden gebraucht, am Ende wird's aber nicht reichen. Schließlich gibt's da ja noch Mitspieler wie Suarez und Neymar, die auch gerne selbst mal eine Bude machen.
Benedikt Treuer (SPOX): Schafft Barca es bis ins Finale, muss Messi im Schnitt trotzdem mehr als einmal pro Spiel treffen. Macht er aber nicht! Messi ist in dieser wichtigen Phase mehr der Teamplayer als der torgeile Egomane. Nicht, dass er es nicht könnte, aber er legt es nicht so sehr darauf an. Das unterscheidet ihn in diesem Punkt so von Ronaldo, der den Rekord vielleicht sogar dem mannschaftlichen Erfolg überordnen würde.
Jochen Rabe (SPOX): Ja, Ihr habt Recht, Messi wird es nicht schaffen. Für mich aber aus anderen Gründen. Ihr sprecht beide vom Finale. Ich glaube, er hätte eine realistische Chance, die Rekordmarke zu holen, wenn Barca tatsächlich nach Cardiff fliegen würde. Werden sie aber nicht. Spätestens im Halbfinale ist dieses Jahr Schluss und Messi holt die goldene 17 nicht.
Andreas Lehner (SPOX): Doppel-, Dreier-, Viererpack, Messi hat auch in der K.o.-Phase schon alle möglichen Kunststücke vollführt. Er wird Barca mindestens bis in Halbfinale führen und dabei mindestens sieben Treffer erzielen. Also: Ja, Messi knackt Ronaldos Bestmarke.
These 3: Real Madrid verteidigt als erstes Team den Titel
David Kreisl (SPOX): Real mag zwar die Primera Division anführen, haben mich aber weder während ihres Rekordlaufs noch - und vor allem - in den vergangenen Wochen fußballerisch überzeugt. Nach den Titeln 2014 und 2016 wirken die Königlichen auch ein bisschen satt. Da gibt's dieses Jahr zu viele kleine, eklige und motivierte Stolpersteine wie zum Beispiel Sevilla, Napoli oder Monaco, an denen die behäbigen Königlichen hängen bleiben werden.
Benedikt Treuer (SPOX): Nein! Dieser Mythos bleibt bestehen! Ich will Real nicht die Qualität absprechen. Wer aber den CL-Titel verteidigen will, macht das (fast) ausschließlich über die Mentalität. Wäre das so einfach, hätte es sicher schon jemand geschafft. Reals individuelle Klasse und die Ergebnisse der bisherigen Saison machen das Team per se zum Titelfavoriten. Je näher es Richtung Finale geht, findet sich aber irgendwann ein Team, das ein paar Prozent mehr auf den Platz bringt. Real wird seine Überheblichkeit diesmal zum Verhängnis.
spoxJochen Rabe (SPOX): Ja, diese wunderbar romantische Trope vom unwiederholbaren Coup wird dieses Jahr fallen. Genau diese "Überheblichkeit" werden die Königlichen in dieser Saison nicht an den Tag legen. Der Schlüssel zum Titel ist das Achtelfinallos Napoli. Warum? Weil Napoli eklig ist, leidenschaftlich spielt und das entscheidende Quäntchen Konzentration und Bodenhaftung aus dem Titelverteidiger herauskitzeln wird. Nach zwei Schlachten kommt Real weiter und weiß, dass es nur über die absolute Hingabe reicht. Und diese mentale Spritze führt zum Titel. Als erster Back-to-Back-Champion. Ein weiteres historisches Kapitel in der Karriere von Cristiano.
Andreas Lehner (SPOX): Real muss erstmal an Napoli vorbei, das halte ich mit dem Rückspiel im San Paolo für eine schwere Aufgabe. Ich glaube auch nicht, dass Real den Titel verteidigen kann. Es wäre ja nicht nur der zweite in Folge, sondern der dritte in vier Jahren. Eine solche Dynastie sehe ich bei dieser Mannschaft nicht.
These 4: Halbfinalfluch beendet: Guardiola schafft's mit City ins Finale
David Kreisl (SPOX): Nein. Guardiolas City wird frühestens kommende Saison wirklich ernst zu nehmen sein. Aktuell wuselt sich Pep mit einem Kader durch die Wettbewerbe, der vor allem defensiv nicht ansatzweise das Format für ein CL-Finale hat. Da können nicht mal die guardiola'schen Taktikmanöver etwas ändern. Was hinzukommt: Auf der anderen Seite steht Monaco, die diese Saison beinahe alles kurz und klein schießen und dazu einen richtig, richtig geilen Ball spielen. Sofern sich die junge monegassische Mannschaft nicht selbst im Weg steht, ist für Pep sogar schon im Achtelfinale Feierabend.
Benedikt Treuer (SPOX): City macht in der Offensive immer mehr von dem richtig, was Guardiola fordert: schnelles, schnörkelloses Spiel, das auch optisch fein daherkommt. Defensiv ist das Team aber eben auch noch typisch Guardiola: durchaus sehr risikofreudig. Da die individuelle Klasse der Abwehr jener der Bayern aber in einigem nachsteht, sieht das bei Peps Citizens noch ziemlich wild aus. Das kann er mit diesem Personal nicht mehr in dieser Saison hinbiegen. Das reicht für Monaco, im Viertelfinale ist aber Schluss.
Jochen Rabe (SPOX): Es gehören so viele Faktoren dazu, um ein Champions-League-Finale zu erreichen: die richtigen Lose, die passende individuelle Klasse, wenige Verletzte in der Crunchtime der Saison, die richtige Form, die richtige Tagesform, das Momentum, kluge taktische Entscheidungen und vor allem Glück. Ich bezweifle stark, dass City alle diese Faktoren in diesem Jahr schon in den Ring werfen kann. Defensiv fehlt die individuelle Klasse, dazu wird man in der entscheidenden Phase die großen Qualitäten von Ilkay Gündogan vermissen. Und ob man sich das Momentum nur aus der Königsklasse selbst ziehen kann? Ja, gut, hat Real letztes Jahr geschafft. City schafft es nicht.
Andreas Lehner (SPOX): Das wäre natürlich die maximale Ironie des Schicksals. Realistisch gesehen hat City keine Chance auf das Finale, aber das sind doch genau die Geschichten, die nur der Fußball schreibt! Oder doch nicht? Auch wenn das Spiel 0:4 ausging, aber wer City in Barcelona die erste Halbzeit hat spielen sehen, der weiß, dass diese Mannschaft in Momenten überragend sein kann. Es muss viel zusammenkommen, aber ausschließen würde ich einen Finalteilnehmer Manchester City nicht.
These 5: Tuchel kann große Spiele: BVB kommt weiter als Bayern
David Kreisl (SPOX): Da ich der festen Überzeugung bin, dass sich die Münchner gegen Arsenal verabschieden und der BVB gegen Benfica wenig Probleme haben wird: Ja, der BVB kommt weiter als die Bayern. Zwei Remis gegen Real Madrid in der Gruppenphase, der Hinrunden-Sieg gegen die Münchner und das bockstarke Rückspiel gegen Leipzig stimmen mich auch recht zuversichtlich, dass der BVB auf großer Bühne liefern kann. Auch dürfte die Underdog-Rolle ab dem Viertelfinale dem BVB in die Karten spielen. Mehr als das Halbfinale sehe ich aber nicht, dazu sind Tuchel und seine Mannen noch nicht weit genug.
Benedikt Treuer (SPOX): Ich bin voll bei David: Ganz gleich, wie sehr Dortmund in dieser Saison in der Liga herumdümpelt, in der Champions League war der BVB da, wenn es darauf ankam. Entsprechend wird sich Tuchels Team gegen Benfica problemlos durchsetzen und im Viertelfinale auch einen der Großen raushauen. Weiter als die Bayern kommt Dortmund aber nicht. Dazu ist der Kader nicht auf allen Positionen hochwertig genug besetzt - die zweite Reihe liefert nicht, wenn sie gebraucht wird.
Jochen Rabe (SPOX): Ich packe sogar einen drauf und sage, der BVB hat in beiden Pokalwettbewerben sogar Möglichkeiten, den Titel zu gewinnen - eben weil es in der Liga nicht läuft. Das ganze Blabla über die zwei Gesichter in Liga und CL bzw. Pokal wird sich zum Positiven für Dortmund verselbstständigen. International schaut man schon jetzt ganz genau auf Dortmund. Zu Recht! Der BVB wird die Königsklasse aufmischen und ins Halbfinale einziehen. Ob das dann weiter als Bayern ist, hängt von der Auslosung ab. Ich halte es absolut für möglich!
Andreas Lehner (SPOX): Ich teile euren Optimismus nicht. Ich glaube auch nicht, dass der BVB mit Benfica kaum Probleme haben wird, David und Benedikt. Das wird eine ganz enge Kiste! Sicher, Dortmund hat in der Vorrunde auf Augenhöhe mit Real gespielt und sich Platz eins verdient. Diese BVB-Mannschaft hat brutal viel Talent, aber es fehlt an hierarchischer Struktur und Erfahrung ist in der K.o.-Phase der CL ein wichtiges Gut. Das kann trotzdem für mehr reichen als bei Bayern, aber Halbfinale? Da braucht's viel Losglück!
Das Achtelfinale der Champions League im Überblick