Eintracht Frankfurts Auswärtsspiel gerät zum Horrortrip: "Die Blutlache haben wir deutlich gesehen"

Von Stefan Petri
sge-marseille
© imago images

Eintracht Frankfurt hat am Dienstagabend bei Olympique Marseille das erste Champions-League-Spiel der Vereinsgeschichte gewonnen. Überschattet wurde der historische Sieg aber von Ausschreitungen der Fans vor Ort: Die begannen bereits vor Anpfiff - und fanden in einem vermeintlichem Hitlergruß auf den Rängen und einem schwer verletzten Eintracht-Anhänger ihren traurigen Höhepunkt.

Cookie-Einstellungen

SPOX und GOAL fassen die Ereignisse in Marseille zusammen. Exklusive Einblicke in die Zustände vor Ort gab uns dafür Eintracht-Fan Marvin Mendel, Mitbetreiber des Eintracht-Videopodcasts FUSSBALL 2000. Mendel, Redakteur des Hessischen Rundfunks, war als Fan vor Ort. Er beschreibt "kriegsähnliche Zustände" bei der "krassesten Auswärtsfahrt", die er bisher persönlich erlebt habe.

Marseille - Eintracht: Angespannte Lage im Vorfeld

Nicht grundlos hatten die Verantwortlichen beider Klubs schon im Vorfeld versucht, beruhigend auf die eigenen Fanlager einzuwirken. "Ganz klar friedlich", solle das erste Auswärtsspiel in der Königsklasse ablaufen, betonte SGE-Coach Oliver Glasner: "Unterstützt einfach eure Mannschaften." OM-Trainer Igor Tudor blies ins gleiche Horn: "Ein gutes Beispiel für den Fußball und die Kultur des Fußballs" wolle man abgeben, schließlich schaue "die ganze Welt" auf dieses Spiel.

Dazu gehörte auch die UEFA - schließlich spielten beide Klubs nach Fehlverhalten der Fans in der Vergangenheit auf Bewährung: Der Eintracht etwa droht nach dem Platzsturm gegen West Ham United in der Europa League im Mai ein Geisterspiel.

SGE-Präsident Peter Fischer hatte sich schon im August auf einem Fanfest eine emotionale Auseinandersetzung mit einem Fan geliefert, nachdem zum Bundesliga-Auftakt gegen den FC Bayern (1:5) massiv Pyrotechnik abgebrannt worden war: "Den Jungs und Mädchen in den Schulen, wie soll ich denen denn erklären, dass die nicht mehr ins Stadion dürfen, weil da ein paar Arschlöcher auf den Platz rennen und irgendeine Feuer-Scheiße auf andere werfen?"

Dennoch war die Lage in Marseille schon am Montag angespannt. "Es wurde patrouilliert, wir hatten da schon ein ungutes Gefühl. Wir sind lieber im Hotel geblieben, um nichts zu provozieren", sagt Mendel gegenüber SPOX und GOAL. "Sobald sich alles in der Innenstadt zentriert hat, war die Lage ungemütlich."

Um die vielleicht fanatischsten Fanlager in Europa auseinanderzuhalten, wurde der Ticketverkauf an Auswärtsfans massiv eingeschränkt und erschwert, Eintracht-Fans wurde verboten, sich in Kluft in der Innenstadt aufzuhalten. Die Gewaltexzesse der Effzeh-Fans in Nizza, erst wenige Tage alt, taten ihr Übriges. Die Polizei meldete eine erste Schlägerei und mehrere Festnahmen.

Marseille - Eintracht: Tränengas und Böller vor dem Spiel

Einen Fanmarsch der SGE-Anhängerschaft zum Stadion hatte die Polizei-Präfektur verboten, auch individuell durften die Fans nicht anreisen. Stattdessen mussten sie sich am Place de la Joliette sammeln, von dort ging es dann mit Bussen zum Stadion. "Ohne Zwischenfälle" ging es laut Präfektur dann aus der Innenstadt in den Süden zum Stade Velodrome.

Was keine Erwähnung fand: Schon auf dem Weg zum Bus-Treffpunkt waren die Fans von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet worden. RMC Sport meldete da schon erste Spannungen und kleine Auseinandersetzungen mit der Polizei - und den ersten Einsatz von Tränengas.

Vor der Ankunft im Stadiontunnel hätten "erlebnisorientierte Menschen beider Seiten versucht, aufeinander loszugehen", berichtet Mendel. Auch hier habe die Polizei Tränengas eingesetzt. "Kaum waren wir im Stadion selbst und wollten hochlaufen, gingen alle 30 Sekunden die Böllerschläge los. Du hast dich wie in einem Kriegsgebiet gefühlt."

Marseille - Eintracht: "Lebensgefährliche" Raketen - ein Fan schwerverletzt

"Vor Spielbeginn ging es dann los mit den Raketen, von beiden Seiten hin und her. Das war lebensgefährlich", sagt Mendel. Keine Übertreibung: Ein Eintracht-Fan wurde von einer Rakete am Hals getroffen und brach sich beim anschließenden Sturz einen Halswirbel und drei Rippen. "Ich stand nur fünf Meter weiter. Die Blutlache haben wir deutlich gesehen."

Der Fan befindet sich mittlerweile im Krankenhaus und ist ansprechbar. "Aber ihm geht es nicht so gut", erklärte seine Lebensgefährtin gegenüber hr-sport. "Er ist vor allem geschockt, weil er seinen linken Arm so gut wie gar nicht bewegen kann." Eine OP am Halswirbel sei nicht auszuschließen." Es habe zudem "mehrere gegeben, die Brandverletzungen erlitten haben", schildert Mendel.

Und wo war die französische Polizei? "Im Stadion selbst kam überhaupt nix", so Mendel zu SPOX und GOAL. Die Sicherheitskräfte hätten sich trotz der massiven Raketenbeschüsse von OM-Seite - Eintracht-Vorstand Philipp Reschke schätzte das Verhältnis der Täter auf 15:1 - "nicht eingeschaltet, sondern maximal zugeschaut. Die Raketenunfälle waren ihnen reichlich egal."

eintracht-fans
© imago images

Marseille - Eintracht: Hitlergruß von deutschem Fan?

Für Empörung sorgten Videos auf Twitter, die einen Eintracht-Fan vor Spielbeginn beim Zeigen eines Hitlergrußes zeigten. Anders war seine Geste zumindest erst einmal nicht zu deuten. Die Eintracht, die sich auch in Person von Präsident Fischer immer wieder gegen Rechts positioniert, reagierte noch am gleichen Abend mit einer Stellungnahme und distanzierte sich "in aller Deutlichkeit".

Der Vorfall wird ein Nachspiel haben: Der auf den Aufnahmen zu sehende Fan habe sich noch während der ersten Halbzeit gemeldet "und weist den Vorwurf einer antisemitischen Intention nachdrücklich zurück", schilderte die Eintracht. "Der Fan hat sich bei der Fanbetreuung gemeldet: 'Hey Leute, das bin ich. Ich habe nicht den Hitler-Gruß gezeigt. Das waren die üblichen ‚klassischen' Bewegungen'", erklärte Reschke. "Es gibt diese nach rechts ausscherenden Gesten ohne politischen Hintergrund. Wir müssen klären, ob das glaubhaft ist."

Mendel zeigt sich ob der Fan-Erklärung skeptisch. "Ich finde es gut, dass er sich selbst gemeldet hat, um größeren Schaden von der Situation abzuwenden", sagt er. Aber: "Wenn man zu dem Ergebnis kommt, dass es eher eine Schutzbehauptung ist, finde ich es gut, wenn da hart durchgegriffen wird."

Marseille - Eintracht: Backsteine fliegen auf die Fan-Busse

Der historische 1:0-Erfolg der Eintracht beruhigt die Lage nicht. "So richtig ruhig war es erst, als wir in unserem Auto saßen", sagt Mendel. Die Busfahrt weg vom Stadion wurde erneut von Gewalt überschattet: "Mehrere wurden mit Steinen beworfen, und zwar erfolgreich: Scheiben gingen zu Bruch."

An ihrem Auto erwartete Mendels Gruppe dann der nächste Schock: Das Fahrzeug wurde aufgebrochen, Laptop und Koffer gestohlen. Der Schaden beläuft sich auf mehrere tausend Euro. Unangetastet ließen die Diebe nur das Götze-Trikot.

"Wirklich hilfreich war die Polizei auch nicht, als wir den Diebstahl melden wollten", berichtet Mendel: "Es hieß: Da kann man nix machen. Das passiert hier täglich."

Marseille - Eintracht: Die Partie wird ein Nachspiel haben

Aus sportlicher Sicht war die Partie für Eintracht Frankfurt ein voller Erfolg: Mit nun drei Punkten aus zwei Spielen ist das Achtelfinale weiter in Reichweite.

Die schlimmen Szenen abseits des Rasens haben allerdings ihre Spuren hinterlassen. "Es ist schon sehr befremdlich, welches Ausmaß an Aggressivität und Hass uns entgegen schlug", klagte Reschke, der aber auch die eigenen Anhänger in die Pflicht nahm. "Das war ein Tag, den wir in dieser Form noch nicht erlebt haben und wie wir ihn nicht für möglich gehalten hätten."

Er glaubt nun an Konsequenzen für den eigenen Anhang: "Ich befürchte eine Strafe eher für ein Auswärtsspiel. Ich kann aber auch nicht ausschließen, dass die Bewährung für ein Heimspiel greift." Am 4. Oktober empfängt die Eintracht am 3. Gruppenspieltag Tottenham Hotspur.

Champions League: Die Tabelle in Gruppe D

PlatzTeamSpieleDifferenzPunkte
1Sporting Lissabon266
2Tottenham Hotspur203
3Eintracht Frankfurt2-23
4Olympique Marseille2-40
Artikel und Videos zum Thema