Vor nicht einmal einem Jahr saß Xavier Hernández i Creus zur späten Stunde im Pressesaal der Münchner Allianz Arena und verkündete: "Heute beginnt eine neue Ära!"
Die neue Ära des FC Barcelona war gemeint, der kurz nach der Übernahme des früheren Weltklassespielers in die Europa League abgerutscht war - nach einem 0:3 beim FC Bayern.
"Man muss Barca dorthin bringen, wo es verdient zu stehen - was nicht die Europa League ist. Ich reise verärgert ab, denn das ist unsere Realität. Wir fangen bei Null an, müssen Barca zurück in den Kampf um die Champions League führen", so Xavi damals.
Der FC Barcelona qualifizierte sich sportlich für die Champions League, was schon mal eine gute Voraussetzung für diesen Auftrag war. Denn selbst das wirkte in der abgelaufenen Saison 2021/22 nicht immer selbstverständlich. Aber Xavi meinte natürlich nicht, dass man an der Champions League einfach nur teilnehmen möchte, sondern im Idealfall bis zum Finale dabei ist. Es ist das logische Anspruchsdenken eines internationalen Topklubs.
Um in der Königsklasse weit zu kommen, bedarf es einer Mannschaft mit einem langen Atem und Qualität. Weit schwieriger als die sportliche Qualifikation war die Zusammenstellung dieser Mannschaft, die Barca allein 153 Millionen Euro an Ablösesummen kostete. Die Gehälter sind dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Der FC Barcelona muss auch den FC Bayern besiegen
Für einen Klub, der eigentlich keinen einzigen Cent mehr für Transfers übrig hatte, war das eine stattliche Summe. Die Defensive wurde verstärkt, das Mittelfeld, mit Robert Lewandowski auf höchstem Niveau der Sturm.
Am Dienstagabend saß Xavi erneut in einem Pressesaal, fast mit dem gleichen Gesichtsausdruck wie damals in München und mit der Befürchtung, dass das Vorhaben, den FC Barcelona kurzfristig wieder in die Beletage des europäischen Fußballs zu führen, zumindest in Gefahr ist.
Nach dem 0:1 bei Inter Mailand ist Barca nur Dritter in der Gruppe C - drei Punkte hinter Inter und sechs Zähler hinter Bayern. Für ein Weiterkommen brauchen die Spanier somit wohl nicht nur einen Sieg gegen Inter im Rückspiel am kommenden Mittwoch, sondern auch gegen die Bayern. Möglich ist das natürlich, planbar nicht.
FC Barcelona: Über 50 Millionen Euro Verlust?
Die Zeitung AS rechnete am Mittwoch vor, dass Barca bis zu 52,7 Millionen Euro an Einnahmen verlieren kann, wenn es vorzeitig aus der Champions League ausscheidet. "Für die Vereinskasse wäre das eine Katastrophe", schreibt die Zeitung, deren Verlustrechnung allerdings auf einem Champions-League-Sieg des FC Barcelona basiert. Auch das ist sicher möglich, aber nicht planbar. Jetzt schon gar nicht mehr.
Dabei hatte man bei Barca das Gefühl, dass sich die Investitionen im Sommer für Lewandowski, Raphinha, Jules Kounde und Co. bezahlt gemacht haben. In der Liga sind die Katalanen mit sechs Siegen und einem Unentschieden nach sieben Spieltagen Tabellenführer. Lewandowski hat schon neun Tore in sieben Liga-Spielen geschossen und harmoniert wunderbar mit seinen Teamkollegen. Barca gilt aufgrund der Kader-Alternativen wohl als größter Anwärter auf die Meisterschaft.
Wäre da eben nicht die Champions League, für die man den ganzen finanziellen Aufwand betrieben hat und eine Hypothek auf die Zukunft des Klubs nahm. Barca veräußerte TV-Rechte, Merchandising-Rechte, verkaufte Anteile an Klub-Unternehmen - und das auf Jahrzehnte. Die Einnahmen, die an dieser Stelle künftig verloren gehen, sollen über den lukrativsten Fußball-Wettbewerb der Welt kompensiert werden. Ein Aus in der Gruppenphase ist dabei natürlich nicht vorgesehen.
Was ein frühes Aus bei Barca auslösen könnte, mag man sich gar nicht ausmalen. Es wäre nicht nur finanziell ein großer Schaden, sondern auch für das neue Selbstvertrauen, das man sich in Katalonien wieder zugelegt hat. Der Klub begnügte sich nicht nur mit den Neuzugängen, die man schon in diesem Sommer zahlreich verpflichtete, sondern träumt mal wieder von einer Rückkehr von Lionel Messi.
Die fünf teuersten Transfers des FC Barcelona
Spieler | Ablöse (Gesamtsumme) |
Ousmane Dembele | 147 Millionen Euro (Borussia Dortmund) |
Coutinho | 135 Millionen Euro (FC Liverpool) |
Antoine Griezmann | 120 Millionen Euro (Atletico Madrid) |
Neymar | 88 Millionen Euro (FC Santos) |
Frenkie de Jong | 86 Millionen Euro (Ajax Amsterdam) |
Beim FC Barcelona spricht man über Lionel Messi
Offizielle sprechen offen über die Möglichkeit, den Argentinier nach Hause zu holen. Sie sagen, es sei wieder möglich, sich den Rekordspieler des Klubs zu leisten. Zumindest wenn er ablösefrei kommen würde. Über den FC Barcelona gibt es europaweit derzeit wohl die meisten Transfergerüchte, die häufig nicht von ungefähr kommen. Der Klub ist gewillt, weiter seinen Umbruch voranzutreiben.
Fraglich ist, ob ein Aus in der Champions League diesen Willen wirklich stoppen könnte. Schon im Sommer schienen die getätigten Transfers unmöglich. Genauso wie die Verlängerungen teurer Verträge mit Ousmane Dembele und Co. So richtig verwundern würde es niemanden, sollte Präsident Joan Laporta trotz eines vorzeitigen CL-Aus einen Weg finden, die Mannschaft mit Messi und Co. weiter zu verstärken.
Trainer Xavi macht das Spiel natürlich mit: Er hat damals in München den Eid geschworen, Barca zurück an die Spitze Europas zu führen. Die theoretische Möglichkeit dazu besteht schon mit der jetzigen Mannschaft.
Hätte Barcelona in München in der ersten Halbzeit nicht so viele Chancen vergeben und hätte man am Dienstag in Mailand etwas mehr Glück mit einem sehr unglücklich agierenden Schiedsrichter gehabt, würde das Tabellenbild in der Champions League ganz anders aussehen.
Die Realität sieht aber anders aus. Womöglich muss Barca am Ende dieser Champions-League-Saison schon wieder bei Null anfangen.