Viele große Rätsel

Von Stefan Rommel
Drei deutsche Figuren der EM: Sami Khedira, Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger (v.l.)
© Getty
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Das Mittelfeld

Lars Bender: Schaffte es anders als sein Bruder Sven mit in den Flieger nach Danzig. Auch, weil der Bundestrainer schon früh das Experiment mit Bender auf der rechten Außenbahn im Kopf hatte. Gegen Dänemark bekam er als gelernter Mittelfeldspieler dann tatsächlich seine Chance und nutzte sie prompt. Nicht nur wegen seines Tores hat Bender gezeigt, dass man ihn bringen und sich auf ihn verlassen kann. Obwohl die Konkurrenz im Mittelfeld schon enorm groß ist, darf sich Lars Bender auch in Zukunft Hoffnungen auf mehr machen.

Mario Götze: Er kam nicht austrainiert im Trainingslager an und fand erst spät Anschluss an die Mannschaft. Vor dem Turnier wurde er als Tipp für den Newcomer der EM gehandelt - als er dann nach drei Vorrundenspielen keine einzige Minute auf dem Platz stand, leistete er sich einen Anflug an Kritik. Die 15 Minuten Einsatzzeit gegen Griechenland waren letztlich nicht mehr als ein kleines Zugeständnis. Dabei wäre Götze mit seinen Ideen gerade gegen Italien in der Schlussphase noch eine Option gewesen, vielleicht sogar im defensiven Mittelfeld für Bastian Schweinsteiger und an der Seite von Sami Khedira. So endete das erste große Turnier für Götze doch einigermaßen ernüchternd.

Ilkay Gündogan: Rutschte gefühlt als Letzter in den 23er-Kader. Die Meisten hatten ihm nicht mal dies zugetraut. Aber Gündogan überzeugte in der Vorbereitung und hätte gegebenenfalls an Stelle von Schweinsteiger eine Option werden können, als dessen Wadenverletzung noch Rätsel aufgab. Wurde erst nach gut zwei Wochen in Danzig von einem Reporter belangt, der doch tatsächlich ein Interview mit Gündogan angefragt hatte. Lief ansonsten unter dem Radar, sammelte aber wie einige andere auch Eindrücke und Erfahrungen. Da er hauptsächlich auf die Rolle in der Mittelfeldzentrale festgelegt ist, muss er sich in Zukunft ziemlich langmachen, um im engeren Kreis zu bleiben. Das Gute: Gündogan hat auf jeden Fall die Klasse dazu.

Sami Khedira: Unterm Strich wohl der beste deutsche Feldspieler bei der EM. Von der ersten Minute an ein Eckpfeiler im Team, bei Real Madrid sichtlich gereift und noch dominanter als vor zwei Jahren, als sein Stern erst aufging. Drängte automatisch und nur durch Leistung in die bestimmende Rolle im deutschen Mittelfeld. Sein Selbstverständnis und seine Souveränität halfen der Mannschaft auch in schwierigen Momenten. Gegen Italien aber in der zweiten Halbzeit auch nicht derjenige, der voranzugehen vermochte. Trotzdem bedeutete die EM den vorläufigen Höhepunkt seiner DFB-Karriere. In der Verfassung einer der ganz wichtigen Spieler für die nächsten Jahre.

Toni Kroos: Kam zuerst nur sporadisch zum Einsatz, immer nur von der Bank aus. Dabei hatte er berechtigte Hoffnungen, für den angeschlagenen Schweinsteiger auflaufen zu dürfen. Als er sein Schicksal kommen sah, scherte er aus und bemängelte sein Reservistendasein. Gegen Italien dann wegen Löws Planungen plötzlich wie aus dem Nichts in der Startelf. Enttäuschte da in seiner Rolle zwar nicht komplett, ließ die Niederlage aber auch über sich ergehen. Mit einem Turnier, das seiner Saison bei den Bayern in etwa entsprach: für seine Möglichkeiten unterdurchschnittlich. Irgendwie möchte man Kroos immer mal wieder an seine überragenden Fähigkeiten erinnern und dass er sie doch vehementer zur Geltung bringen möge.

Thomas Müller: Auch er fand trotz guter Ansätze nie so richtig in den Wettkampf. Der Grundsatz "Müller spielt immer" wurde schon früh aufgeweicht, im wichtigsten Spiel des Turniers wurde er ein Opfer der Taktik - vermutlich wäre er aber andernfalls auch von Marco Reus aus der Mannschaft gedrängt worden. Müllers Problem war dabei natürlich auch immer seine Leistung vor zwei Jahren in Südafrika, die sofort als Referenzgröße herangezogen wurde. Ein solides Turnier des Münchners, angesichts der Tatsache, dass er in der K.o.-Runde aber zweimal nicht zur ersten Elf gehörte, auch ein Zeichen für die Zukunft. Von Müller muss und wird wieder mehr kommen.

Mesut Özil: Es sollte sein Turnier werden. Letztlich konnte Özil seine eigenen Erwartungen aber immer nur streckenweise erfüllen. Kam schwer in Tritt, weil die Gegner ihm einfach keinen Raum lassen wollten und ihm offensichtlich auch der eine oder andere geeignete Spielpartner fehlte. Trotzdem der Kreativste aller deutschen Spieler, auch wenn viele seiner guten Ideen an der Umsetzung scheiterten. Gegen Italien ein Sinnbild für die Leistung einiger anderer: Zuerst gewillt und gut, mit zunehmender Spieldauer aber immer verzagter. Für die Rolle des Anführers nicht gemacht. Trotzdem wird er auch in den nächsten Jahren die bestimmende Figur in der deutschen Offensive bleiben.

Lukas Podolski: Sein Vorhaben war so groß - seine Umsetzung dagegen ziemlich minimal. Defensiv in den ersten Spielen mehr gefordert als erwartet und es ihm lieb sein konnte. Verrichtete die Arbeit aber wenigstens nach Vorschrift. Das Tor gegen Dänemark und die Erwartung, endlich auf polnischem Boden spielen zu dürfen, ließen eine Explosion Podolskis erhoffen. Leider war dann genau das Gegenteil der Fall. Das Griechenland-Spiel verpasste er, gegen Italien ging er komplett unter. Fasst man die Voraussetzungen zusammen, wurde die Europameisterschaft in seiner zweiten Heimat zu einer einzigen großen Enttäuschung für ihn. "War stets bemüht" reicht nicht (mehr). Beim FC Arsenal muss er jetzt zeigen, dass er in einer guten Mannschaft mit viel Konkurrenzkampf bestehen kann. Im Nationaldress wird es demnächst im Prinzip genauso sein: Die Kontrahenten auf seiner Position haben auf- und ihn vielleicht auch schon überholt.

Marco Reus: Er hatte nur 135 Minuten Zeit, nutzte die aber sensationell gut. Reus zeigte, dass er auch auf internationalem Niveau mithalten kann, obwohl er noch kein einziges Europapokalspiel auf Klubebene bestritten hat. Wenn es vor dem Italien-Spiel im deutschen Kader einen Spieler gab, der so etwas wie einen Lauf hatte, dann Reus. Trotzdem durfte er im Halbfinale erst zur zweiten Halbzeit ran. Er ist einer der Gewinner, weil er gezeigt hat, dass er alles mitbringt für die Anforderungen auf höchster Ebene. Sein Wechsel zu Borussia Dortmund dürfte seiner Entwicklung schon recht bald noch einen weiteren Schub geben. Ein großer Hoffnungsträger für die Zukunft.

Andre Schürrle: Der Leverkusener zeigte ansprechende Leistungen bei der EM, ohne dabei aber ähnlich auffällig zu werden wie sein Kumpel Reus. Schürrle gegen defensive Griechen auf seine eine große Stärke beschränkt, von Außen zum Tor zu ziehen und abzuschließen. Als Einwechselspieler gegen Dänemark einen Tick gefährlicher, weil dort seine Schnelligkeit besser zum Tragen kam. Im Prinzip ist er auf die Rolle im linken offensiven Mittelfeld oder vielleicht noch als hängende Spitze beschränkt. Auf Podolski dürfte er einiges an Kredit aufgeholt haben.

Bastian Schweinsteiger: Das größte aller Rätsel. Fit? Nicht fit? Keiner wusste so genau Bescheid, auch Schweinsteiger selbst nicht, der sich wenige Tage vor dem Halbfinale körperliche Leistungsbereitschaft attestierte, ihm aber nach eigenem Bekunden auch einige wichtige Teilaspekte für sein Spiel fehlten. Die Wende schien dabei schon beim Niederlande-Spiel geschafft, als er zusammen mit Khedira das Mittelfeld beherrschte und zweimal überragend für Gomez vorbereitete. Der leichte Rückfall (gegen Dänemark) und dann schwere Rückfall (gegen Griechenland) ließ seine Leistung so nebulös erscheinen wie die der Mannschaft, die man nie so richtig einschätzen konnte - wegen der veränderten Spielweise oder der personellen Umstellungen. Für Schweinsteiger endete so eine verkorkste Saison inklusive zweier schwerer Verletzungen mit einem neuerlichen Niederschlag. Das muss er jetzt wegstecken und gleichzeitig endlich wieder richtig fit werden.

Der Angriff

Mario Gomez: Noch so einer, dessen Leistungen nur schwer einzuordnen sind. Zuerst die drei Tore, die für zwei Siege gut waren und ihm in der Gruppenphase den Vortritt vor Miroslav Klose ließen. Trotzdem wurde Gomez auch da schon nicht nur im TV kritisiert. Dabei nahm er sich die Ratschläge durchaus zu Herzen und bewegte sich besser. Gegen Italien war er beileibe nicht gut, aber auf Grund der eigenwilligen taktischen Ausrichtung auch nahezu auf verlorenem Posten vorne drin im Sturm und ohne vernünftige Anspiele der Kollegen. Gomez war voll drin in der EM und am Ende doch wieder irgendwie draußen. Offenbar bleibt dies sein Schicksal im Nationaldress.

Miroslav Klose: Er musste wie Mertesacker und Götze speziell fit gemacht werden, nachdem ihn eine Verletzung wochenlang außer Gefecht gesetzt hatte. Der Bundestrainer vertraute auch deshalb zunächst auf Gomez, im Hintergrund machte sich Klose für seinen Einsatz fit und zeigte dann gegen Griechenland, dass er da ist, wenn er gebraucht wird. Seine Nichtnominierung gegen Italien war ein Fehler, gerade im Zusammenhang mit dem Plan, Andrea Pirlo und Daniele de Rossi irgendwie einzubremsen. Immerhin will Klose, mittlerweile 34, noch bis zur WM in Brasilien weitermachen. Angesichts der fehlenden Konkurrenz auf seiner Position ein wichtiges Signal.

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