Vollgas hinter Sichtschutz

Stefan Rommel
21. Mai 201420:19
Die deutsche Nationalmannschaft bereitet sich in Italien auf die WM 2014 vorgetty
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Aus 27 Spielern besteht Joachim Löws Reisegruppe, die am Mittwoch ins Trainingslager der Nationalmannschaft ins Passeiertal in Südtirol aufbrechen wird. Elf Tage hat der Bundestrainer dann unter der Sonne Italiens Zeit, seiner Mannschaft den nötigen Feinschliff für die WM-Endrunde in Brasilien zu verpassen. Die Mission WM-Titel geht dann in die heiße Phase. SPOX beantwortet die wichtigsten Fragen zum Trainingslager der DFB-Auswahl.

Was erwartet die Spieler im Trainingslager?

Anders als in den Turnierjahren zuvor gibt es dieses Mal kein Regenerationstrainingslager. Vor den letzten großen Turnieren lud Löw seine Spieler samt Familien rund eine Woche zum Ausspannen ein, um dann gestärkt in die intensive Vorbereitungsphase einzutauchen. Das fällt in diesem Jahr flach.

Der Bundestrainer wollte unbedingt so früh wie möglich die Reise nach Brasilien antreten, um die Mannschaft an die sehr speziellen Bedingungen in Südamerika gewöhnen zu können. Schon am Abend des 7. Juni - also neun Tage vor dem ersten Spiel gegen Portugal - fliegt der DFB-Tross ins WM-Quartier nach Porto Seguro. Entsprechend verschiebt sich der Vorbereitungsplan nach vorne.

Im Hotel "Golf & Spa Ressort Andreus" in Sankt Leonhard, einer Fünf-Sterne-Anlage, die umringt ist von einer 18-Loch-Golfanlage, findet ein kleiner Teil der Einheiten statt. Darunter diverse Koordinations-, Beweglichkeits- und Stabilisationsübungen, den Spielern bieten sich genügend Freizeitangebote und auch die medizinische Abteilung wird ihre Behandlungsräume hier einrichten.

Trainiert wird im Nachbardorf Sankt Martin auf einem frisch verlegten Rollrasen. Der DFB wird das Trainingsgelände für Fans wie immer unzugänglich machen und den Platz mit einem Sichtschutz umzäunen. Trainiert wird im Normalfall zweimal pro Tag, eine Einheit am Morgen, eine zweite am späten Nachmittag. Dazwischen gibt es um die Mittagszeit eine Pressekonferenz mit zwei oder drei Protagonisten.

Neu ist, dass als Sparingspartner eine deutsche Juniorenauswahl mit ins Trainingslager reisen wird. Die U-20-Nationalmannschaft soll bei bestimmten Trainingsinhalten die Simulation erleichtern. Bisher probte die Mannschaft stets gegen eine ortansässige Landes- oder Kreisauswahl. Das Niveau war entsprechend nicht vergleichbar mit dem einer Nationalmannschaft, selbst wenn es sich "nur" um eine U-20-Auswahl handelt. "Das war eine Idee von Hansi Flick, die ich gerne aufgenommen habe", sagt Löw. "So können wir alle zwei Tage in Testspielen Situationen gegen unsere Gegner simulieren."

Insgesamt wird die Mannschaft elf Tage in Südtirol weilen, rund 20 Einheiten dürften geplant sein. Anders als vor zwei Jahren in Tourettes/Frankreich sind kaum Aktivitäten außerhalb des Trainingsbetriebs geplant. Damals besuchte die Mannschaft unter anderem ein Formel-1-Rennen in Monaco. Niko Rosberg soll das Team wie damals wieder ein paar Stunden besuchen - mehr ist nicht geplant.

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Wie ist die Gemengelage innerhalb der Mannschaft?

Löw hat den Vorteil, dass er anders als in den Jahren zuvor seinen Kader vom ersten Tag an quasi komplett beieinander hat. Bis auf das Champions-League-Finale sind alle Wettbewerbe auf Klubebene beendet. Aus diesem Grund muss Löw lediglich auf Sami Khedira verzichten, der am Sonntag oder Montag nach dem CL-Finale mit Real Madrid zur Truppe stoßen wird.

Allerdings machen die vielen Verletzungen sorgen. Philipp Lahm soll erst am Freitag zum Team stoßen, ob Manuel Neuer überhaupt ins Trainingslager kommt, ist fraglich.

Die personelle Situation könnte ohnehin besser sein. Einige wichtige Spieler haben es nach langer Verletzungspause erst gar nicht geschafft (Mario Gomez, Ilkay Gündogan), andere reisen mit wenig Spielpraxis oder angeschlagen an (Khedira, Miroslav Klose, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Manuel Neuer).

Vor zwei Jahren formierten sich schnell große und kleinere Grüppchen, die Dortmunder und die Bayern, die zudem noch mit der Last von zwei niederschmetternden Niederlagen im Gepäck anreisen mussten, dazu die Spieler von Real Madrid und der Rest. Die Stimmung im Trainingslager war angespannt, was sich auch bis ins Turnier durchziehen sollte.

Trotz des jüngsten Vergleichs zwischen den Bayern und dem BVB beim dramatischen Pokalendspiel vom Samstag ist eine ähnlich belastete Atmosphäre in Südtirol nicht zu erwarten. Der Dortmunder Block ist mittlerweile etabliert und von den Platzhirschen aus München akzeptiert - auch als Meinungsführer innerhalb der Mannschaft.

19 Spieler dürften für das Endturnier gesetzt sein, inklusive Khedira. An der Entwicklung des Mittelfeldspielers hängt gleich eine ganze Reihe von Personalentscheidungen. Löw räumt Khedira alle Zeit ein, die der braucht. Acht Spieler spielen in Südtirol und dann im letzten Test vor der Nominierung am 1. Juni gegen Kamerun für vier freie Plätze vor.

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Was sind die Trainingsschwerpunkte?

Das zentrale mannschafts- und gruppentaktische Thema wird wie eigentlich immer vor großen Turnieren das Training der Defensivabläufe sein. Der Bundestrainer ist sich sicher, dass seine Mannschaft prinzipiell "auf einem guten Niveau ist. Wir sind weiter als 2010." Nicht nur das einzige ernstzunehmende Länderspiel des Jahres im März gegen Chile hat aber einmal mehr gezeigt, dass die Mannschaft in der Defensivbewegung noch einige Defizite aufzuarbeiten hat.

In den letzten Trainingslagern lag der Fokus dabei stark auf den klassischen Aufgabengebieten der Viererkette wie seitliches Verschieben, Zurückweichen, Vorschieben, Höhe halten, Klemmen und Lenken oder Durchschieben zum Doppeln. Die werden auch in Südtirol verstärkt eingefordert werden, um die viel zitierten Automatismen auch mit entsprechendem Leben zu füllen.

Die Bestandsaufnahme nach den Qualifikations- und Testspielen seit der EM vor zwei Jahren hat auch ergeben, dass es eine beziehungsweise zwei Linien weiter vorne auch noch einiges zu tun gibt. Das Angriffs- und Mittelfeldpressing war nicht immer gut, ebenso wie das Umschalten auf Abwehr. Der Druck auf die Viererkette in einigen Spielen deshalb zu groß.

Die Disziplin mit den größten Entwicklungsfortschritten dürfte das Gegenpressing sein. Geplant sind Trainingsformen in Gruppen- und Mannschaftsstärke - hier kommt die U 20 dann zum Einsatz, die den Ernstfall und bestimmte Spielsysteme der Gruppengegner im wettspielmäßigen Elf gegen Elf simulieren soll.

In der Schulung der Offensive dürfte besonders interessant werden, wie weit sich das Trainerteam dieses Mal auf das Thema Standardsituationen einlassen will. Für die letzte EM wurden kaum Offensivstandards einstudiert, weil laut Löw schlicht die Zeit dazu fehlte. Dabei sind Standards gerade auf absolutem Topniveau ein Mittel, das den Gegner wirklich noch überraschen kann und das - verglichen mit anderen Kernpunkten des Trainings - weniger Zeit des Einstudierens in Anspruch nimmt.

Auch in individueller Hinsicht kommt den Tagen in Südtirol und hier der medizinischen und der Athletikabteilung eine entscheidende Bedeutung zu, um die entsprechenden körperlichen Reize zu setzen. Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Philipp Lahm, Marcel Schmelzer, Julian Draxler, Sami Khedira, Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose reisen angeschlagen an oder waren bis vor wenige Wochen noch lange verletzt und sind dementsprechend noch nicht bei einhundert Prozent ihrer Leistungsfähigkeit.

Für zunächst daheim gebliebenen Lahm und Neuer pendelt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt täglich zwischen Südtirol und München.

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Wer muss zittern, wer darf hoffen?

Die drei nominierten Torhüter sind gesetzt, ebenso dürfte Kevin Volland im Angriff als einzige echte Alternative zu Miro Klose seinen Platz sicher haben. Die Konkurrenzkämpfe reduzieren sich also auf die Mannschaftsteile Abwehr und Mittelfeld.

Shkodran Mustafi, Erik Durm, Kevin Großkreutz und auch Benedikt Höwedes stehen bei den Abwehrspielern im Fokus. Die besten Chancen dürfte der Dortmunder Großkreutz haben. Der spielt zwar im Verein aktuell wieder vermehrt auf einer offensiven Position, hat aber in der Vorrunde als Rechtsverteidiger und zuletzt auch ab und an als Linksverteidiger ausgeholfen.

Ein Konkurrent dafür ist der Schalker Höwedes, dessen bevorzugte Position aber in der Innenverteidigung ist. Newcomer Mustafi werden lediglich Außenseiterchancen eingeräumt. Besser sieht es für Durm aus, der nach der Ausbootung von Marcell Jansen eine Alternative für die Stelle links in der Viererkette ist.

Im Mittelfeld drängeln ebenfalls vier Spieler: Lars Bender, Julian Draxler, Matthias Ginter und der spätberufene Christoph Kramer. Bender hat in Leverkusen eine schwächere Rückrunde erlebt, ist im Mittelfeld und auch als rechter Verteidiger aber unheimlich flexibel einsetzbar.

Ginter gilt als Geheimtipp auf eine überraschende Nominierung. Der Freiburger hat zwar kaum Erfahrung auf internationalem Niveau, kann aber sowohl den vierten gesuchten Innenverteidiger geben, als auch im defensiven Mittelfeld spielen. Gladbachs Kramer bringt zwar vieles mit, bekleidet als Sechser aber eine Position, auf der das Angebot zu groß sein dürfte - vorausgesetzt, Khedira und Schweinsteiger werden rechtzeitig fit.

Aufregend dürften die Tage in Südtirol für Draxler werden. Der hatte mit Verletzungen zu kämpfen und in der Endphase der Saison nicht mehr seinen gewohnten Rhythmus. Zudem haben seine Kontrahenten auf einer der Offensivpositionen zuletzt im Klub überzeugt. Für Draxler käme eine Nichtnominierung am 2. Juni gleich doppelt bitter: Bereits vor zwei Jahren musste der 20-Jährige nach dem Trainingslager doch noch die Heimreise antreten.

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